„Das gemeinsame Arbeiten bricht Barrieren“

Foto: wh
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Rene Sulzer, freischaffender Künstler aus Weingarten, verschönerte im Zuge des Stadtjubiläums mit Schülern, Flüchtlingen und Passanten die Unterführung am Brettener Bahnhof.

Bretten (hk) Harry ist ein Obdachloser – er lebt am Rande der Gesellschaft. Gerade für Menschen wie ihn gestaltet es sich schwierig, sich am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen oder sich sinnvoll zu beschäftigen. Doch an jenem Tag, als er in der Bahnhofsunterführung in Bretten auf Rene Sulzer trifft, kann sich Harry, wenn auch nur für eine Weile, aus seiner alltäglichen Routine befreien: Er greift zu einer Sprühdose, lässt sie über die kahle Wand gleiten, genauso wie der 16-jährige Schüler am anderen Ende der Unterführung. „Das gemeinsame Arbeiten bricht Barrieren“, erzählt Sulzer. Der 34-jährige freischaffende Künstler aus Weingarten stellt das immer wieder fest. Vielleicht liegt ihm deshalb die Kunst des Graffiti besonders am Herzen: Weil sie Menschen aller Art zusammenbringt und niemanden ausschließt.

Ehrenkodex der Sprayer

Genau diesem Bild begegnete man, als man Anfang April, den Brettener Bahnhof betrat. Schüler der Schillerschule, Flüchtlinge und Erwachsene fanden sich zusammen, um die Bahnhofsunterführung mit Hilfe einer Sprühdose innerhalb einer Woche neu zu gestalten. Ihnen zur Seite stand Rene Sulzer, der den zahlreichen Teilnehmern und Interessierten aus der Bevölkerung – sogar Privatpersonen, die sich im Voraus angekündigt haben – die Grundtechniken der Kunst aus der Sprühdose vermittelte. Auch Daniela Kerres, Koordinatorin des Stadtjubiläums, lernte ein paar Lektionen der Jugendkunst dazu: „Wir vertrauen auf den Ehrenkodex der Sprayer: Man darf nur übersprühen, wenn man besser ist.“

„Im Malen bin ich besser als im Skateboard fahren“

Sulzer, der in Bretten aufgewachsen ist erklärt dann lachend wie er überhaupt zum Graffiti kam: „Mit zwölf Jahren habe ich begonnen mein Skateboard mit Edding-Stiften anzumalen. Dann habe ich festgestellt: Im Malen bin ich besser als im Skateboard fahren.“ Mit 18 begann er eine Ausbildung zum Maler und Lackierer, drei Jahre später nimmt er seine Tätigkeit als freier Künstler auf. Inzwischen wohnt er in Weingarten, doch die Verbindung zu Bretten bleibt bestehen. Unter anderem führt er Graffiti-Kurse an der Volkshochschule durch, bekannt ist er aber auch durch die Gestaltung der Unterführung am Edith-Stein-Gymnasium. Nun koordinierte er die Verschönerung der Bahnhofsunterführung. Bürgermeister Michael Nöltner zeigte sich sehr erfreut über die Verwirklichung des Projektes: „Das Tolle ist, dass wir unsere Unterführung freundlicher machen. Der Deutschen Bahn war es lange Zeit egal, wie es hier aussieht, aber uns als Stadt kann es nicht egal sein“ Jetzt begrüßen der Spruch „Bretten is(s)t bunt“ in den Farben des Regenbogens und das Logo des Stadtjubiläums alle, die am Bahnhof der Melanchthonstadt ankommen.

Projekt ist Initiative der Stadt

Das Gemeinschaftsprojekt, das auf die Initiative der Stadt zurückgeht, lag dabei nicht nur in den Händen der Schüler. Erfolgreich wurden auch Flüchtlinge miteinbezogen. Und: „Jeder, der Lust hat, konnte sich einbringen“, sagt Sulzer. Dass Passanten sich tatsächlich getraut haben mitzumachen, habe ihn sehr gefreut. „Normalerweise rennt man hier durch. Stattdessen konnte man hier ein bisschen verweilen.“ Obwohl der Bahnhof schon immer ein Ort der Begegnung gewesen ist, so wurde er erst jetzt diesem Namen gerecht. Jeden Nachmittag, eine Woche lang, haben alle Beteiligten, nach zaghaften Versuchen am Schriftzug und am Jubiläumslogo gearbeitet. Danach durfte jeder der Lust hatte, die Graffiti-Kunst nach und nach mit eigenen, kreativen Motiven füllen und gestalten. Entstanden ist ein großer Farbfächer, das die vielseitigen Ideen der Brettener Ton in Ton beherbergt. „Das ist absolute Kunst, es ist Jugendkultur“, so Nöltner. Darüber hinaus verwirklicht das Projekt die Idee der Partizipation auch nachhaltig – solange niemand den Ehrenkodex der Sprayer bricht. hk

Videos zur Gestaltung der Bahnhofsunterführung finden Sie auf kraichgau.news/8379 und kraichgau.news/8421.

Auf unserer großen Themenseite „Jubiläum Bretten“ finden Sie weitere Informationen zum 1250. Geburtstag der Melanchthonstadt.

Autor:

Havva Keskin aus Bretten

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