Burgund – Reise an eine Wiege der europäischen Zivilisation, Teil 1: Gallierhelden, Burgherren, Mönche und Gastronomen

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Burgund, auf französisch Bourgogne, ist ein malerisches Stück Frankreich mit großer Geschichte, vielen Sehenswürdigkeiten und Familienangeboten sowie einer Fülle an regionaltypischen Gaumenfreuden. Dabei liegt Burgund relativ nah: Vom Kraichgau aus ist es in fünf bis sechs Autostunden erreichbar. Im Juli 2017 waren wir eine Woche lang in der Region unterwegs.

24. Juli: Über die „Magistrale der Grand Crus“ ins ländliche Herz von Burgund

Ein klassizistischer Triumphbogen am Eingang zur Altstadt, an der Straße reiht sich ein Haus ans andere ohne Zwischenraum, auf den Dächern unendlich viele Kamine, und Platanenalleen zum Flanieren. In Beaune beginnt der Urlaub. Der Versuch, an einer Tankstelle am Ortsausgang nachzutanken, missglückt. Falsche Kreditkarte. Visa wird nur während der Öffnungszeiten akzeptiert, der Automat verlangt die landesübliche Carte Bleue (CB). Ob der schmale Rest im Tank bis zu unserem Ziel südwestlich von Beaune reichen wird?
Hinter Beaune, der Hauptstadt des burgundischen Weins, setzt sich die von Dijon nach Süden verlaufende Côte d´Or, auf deutsch in etwa die Goldlage, fort, von Weinkennern auch als „Magistrale der Grand Crus“ gerühmt. So weit das Auge reicht, erstrecken sich die Rebanlagen im Tal der Saone. Anders als in Deutschland wird der Wein in Frankreich gerne auch auf ebenem Terrain angebaut. Laut Reiseführer haben sich die Weingüter südlich von Beaune auf die Chardonnay-Rebe spezialisiert, die „einen der besten trockenen Weißweine der Welt“ ergibt, während nördlich der rote Pinot Noir oder Spätburgunder den Löwenanteil ausmacht. Die Straße erklimmt einen der sanften Hügel und gibt den Blick frei auf die weinselige Saone-Ebene. Wir durchqueren pittoreske beigefarbene Dörfer. Erste Dächer mit farbigen Mustern aus glasierten Dachziegeln und enge Gassen, in denen der Begegnungsverkehr zum Abenteuer wird, besonders wenn es sich wieder einmal um eines der Lkw-großen Wohnmobile handelt. Die Nummernschilder sind meist italienisch, niederländisch oder deutsch. Es wird wohl noch dauern, bis die Europäer Europa kennen gelernt und als ihr gemeinsames Land begriffen haben. Bei den Amerikanern hat es ja auch Jahrhunderte gedauert. Aber das ist eine andere Geschichte.
Beigefarben wie die Dörfer sind auch die Rinder auf den Weiden. Die landestypische Charolais-Rasse wird für ihre Fleischqualität geschätzt.

Begrüßung mit Weißwein und frischen Eiern

Durch das ehemalige Bergbaustädtchen Epinac-des-Mines nähern wir uns unserem Standort der nächsten Tage. Wie durch Zauberhand geleitet, finden wir auf Anhieb das kleine Häuschen am Ortsrand. Unsere Vermieter Lydie und Gerard erweisen sich als ausgesprochen liebenswürdige Gastgeber. Lydie führt durchs Haus und erklärt alle Funktionen, vor allem die Bedienung des großen TV-Geräts, die viel Geduld erfordert. Dann verschwindet sie zur Nachbarin und kommt mit einem Sixpack frischer Eier wieder, die sie uns in die Hand drückt: Für das Petit Dejeuner, das Frühstück, morgen. Im Kühlschrank steht der Begrüßungstrunk: eine Flasche Aligoté-Weißwein. Nur mit unserer Verständigung in der Landessprache hapert es noch ein bisschen, aber die Geste zählt. Und Gerard, ein netter Metzger im Ruhestand, spricht erstaunlicherweise auch etwas Spanisch und Englisch. Wir erfahren noch, dass es neben einer Tankstelle auch eine Epicerie, einen Tante Emma-Laden, im Dorf gibt und der Bürgermeister schräg gegenüber wohnt, dann sind wir wieder allein.
Ein kleiner Spaziergang führt uns entlang der Landstraße 1,5 Kilometer hinaus in die Landschaft und zurück ins Dorf. Die noch recht neu wirkende Kirche mit umgebendem Friedhof bildet die Dorfmitte, gegenüber, auf der anderen Seite eines enormen Straßenplatzes, liegt das stattliche Rathaus, die Mairie. Sie hat zwei separate Eingänge für „Garcons“, Jungen, und „Filles“, Mädchen. Rätselhaft. An der Bekanntmachungstafel erfahren wir unter anderem, dass Eric seine Angebetete geheiratet hat, dass dieses das Departement 21 ist und der Bürgermeister Daniel Torchon heißt. Um die Ecke, im Erdgeschoss des Rathauses, liegt die Epicerie, der Lebensmittelladen. Die Gemeindeverwaltung garantiert die Nahversorgung.

Bekanntschaft mit "Schmüsette"

Und dann kommt sie. Kaum zurückgekehrt in unser Feriendomizil streicht sie um die Ecke. Erst ein bisschen zögerlich, dann mit aller Macht. Es kann gar nicht genug Streicheleinheiten geben. Wir taufen sie „Schmüsette“. Die Katze ist den Rest des Abends unsere anhängliche Begleiterin, zeigt indes eine klare Präferenz für männliche Schmuseeinheiten. Was auch ein bisschen anstrengend ist, wenn man einen Reisebericht schreiben will. Auf einer Gartenbank lassen wir den Tag ausklingen mit Blick in den von Wolken zeitweise verdeckten Sonnenuntergang. Von den Latten des Bänkle blättert heftig der Lack. Bei uns hätte es wahrscheinlich längst jemand neu gestrichen. In Frankreich sieht man das gelassener. Zumal unsere Vermieter uns ausdrücklich auf die überdachten Sitzplätze im Garten hingewiesen hatten: für den Apéritif. Aber wir sitzen lieber im Freien – mit der Abendsonne im Gesicht – auf dem verwitterten alten Bänkchen. Kleine Kolibris schwirren zwischen den Gartensträuchern. Es sind Schwalbenschwänzchen-Schmetterlinge, die – wie Kolibris in der Luft stehend - mit ihrem langen Rüssel den Nektar aus den Lavendelblüten saugen. In der Dämmerung werden sie abgelöst durch Fledermäuse, die im Zickzack-Kurs über unsere Köpfe sausen.
Chris Heinemann

Weitere Folgen des Reiseberichts über Burgund sowie Berichte von anderen Reisenden aus der Region lesen Sie auf unserer Themenseite: Reiseberichte

Autor:

Chris Heinemann aus Bretten

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