Rheuma: „Jedes Milligramm weniger Kortison zählt“

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Wie die Rheumatherapie das Risiko von Begleiterkrankungen senkt und was Patienten selbst tun können.

(pr-nrw) Etwa acht von zehn Menschen mit einer rheumatoiden Arthritis leiden unter mindestens einer Begleiterkrankung. Zu den häufigsten Komorbiditäten zählen Herz-Kreislauferkrankungen, Osteoporose und Depression, aber auch Nieren, Magen-Darmtrakt oder Lunge können betroffen sein. Das Risiko von Begleiterkrankungen betrifft fast alle Formen von Rheuma, denn eine wichtige Ursache liegt in den Entzündungsprozessen, die mit einer rheumatischen Erkrankung einhergehen. Wie sich Betroffene vor Begleiterkrankungen schützen können, wie sie behandelt werden und welche Rolle die Rheumatherapie dabei spielt, dazu informierten Rheumatologen beim bundesweiten Lesertelefon anlässlich des Welt-Rheuma-Tags 2018. Die wichtigsten Fragen beantwortet Prof. Dr. Stefan Schewe, internistischer Rheumatologe und Vorstandsmitglied des Bundesverbands der Deutschen Rheuma-Liga in der Zusammenfassung:

Was sind erste Anzeichen, bei denen ich als Rheuma-Patient aufhorchen sollte?

Vor allem, wenn ein Brustschmerz oder ein Druckgefühl in der Brust bei körperlicher Belastung oder Aufregung auftritt und nach der Belastung rasch wieder endet. Auch Atemnot schon beim Steigen weniger Treppenstufen oder früher als bisher kann ein Hinweis auf eine Herz-Kreislauferkrankung sein; ebenso ein unregelmäßiger, ein sehr schneller oder sehr langsamer Puls. Ein Alarmzeichen ist sicher auch ein neu nachgewiesener erhöhter Blutdruck. Andere mögliche Anzeichen sind durch Wassereinlagerung geschwollene Beine am Abend sowie häufiges Wasserlassen in der Nacht, wenn dafür keine anderen Ursachen bekannt sind. Vorübergehende Sehstörungen, vor allem einen kurz andauernden Sehverlust auf einem Auge, sollten Sie ebenso ernst nehmen wie ungewöhnliche Schwindelzustände, vor allem bei körperlicher Belastung. Und nicht zuletzt können Schmerzen in den Waden oder Beinen beim Gehen, die nach kurzer Pause wieder verschwinden, ein Warnsignal sein. In allen beschrieben Fällen sollten Sie unbedingt Ihren behandelnden Arzt oder Ihren Rheumatologen konsultieren.

Warum sind Menschen mit Rheuma so häufig von Begleiterkrankungen betroffen?
Rauchen, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Diabetes, Übergewicht oder Bewegungsmangel sind für Rheumapatienten ebenso Risikofaktoren für Herz-Kreislauferkrankungen wie für alle anderen Menschen. Allerdings kommt bei ihnen die chronische Entzündung hinzu, die unabhängig davon zu einer vermehrten Verkalkung der Blutgefäße führt. Deshalb ist für Rheumapatienten eine möglichst optimale entzündungshemmende Therapie so wichtig – und zwar über möglichst lange Zeit. Idealerweise sind keine geschwollenen Gelenke mehr festzustellen und keine Entzündungswerte im Blut mehr nachzuweisen. Diese so genannte Remission ist als Therapieziel immer anzustreben und sollte von den Patienten auch eingefordert und unterstützt werden. Dabei spielt die medikamentöse Therapie eine wichtige Rolle, denn einige Medikamente gegen Rheuma tragen zur verstärkten Gefäßverkalkung bei. So sollten beispielsweise Kortison in höheren Dosen auf Dauer vermieden werden, zumal es auch das Risiko für Infektionserkrankungen erhöht. Es sollte bei rheumatoider Arthritis möglichst nur zu Anfang oder im Schub eingesetzt werden. Sind höhere Dosen notwendig, sollte die Basismedikation, etwa mit Methotrexat, überprüft und angepasst werden.

Gibt es besondere Risikogruppen?
Allen voran Menschen, die rauchen. Fast alle entzündlichen Rheumaerkrankungen sind Erkrankungen, bei denen das Immunsystem körpereigene Eiweißstoffe angreift. Rauchen – auch Passivrauchen – kann diese Prozesse auslösen und verstärken. Wer seine Sucht erfolgreich bekämpft, schaltet also einen wichtigen Risikofaktor aus. Weitere Risikogruppen sind Menschen mit einer Vorbelastung des Herz-Kreislaufsystems, etwa Schlaganfall-Patienten, Diabetiker, Nierenerkrankte, Bluthochdruck-Patienten und Betroffene mit einer Lungenerkrankung wie COPD oder Asthma. Stärker gefährdet sind auch Patienten mit Gicht oder anderen Stoffwechselerkrankungen, zum Beispiel einem zu hohen Cholesterin. Auch Menschen mit direkten Verwandten, die schon früh eine Herz-Kreislauf-Erkrankung hatten oder daran verstorben sind, haben ein höheres Erkrankungsrisiko. Eine weitere Gruppe mit erhöhtem Risiko sind Patienten mit Depressionen, Angststörungen oder neurologischen Störungen, die eine regelmäßige Bewegung nicht zulassen.

Welche Rolle spielt die Rheuma-Therapie bei der Vermeidung von Begleiterkrankungen?
Die Rheumatherapie sollte so eingestellt sein, dass keine Entzündung mehr nachzuweisen ist: Keine geschwollenen Gelenke mehr, keine Entzündungszeichen im Blut. Die Rheumatologen nennen diesen Idealzustand Remission. Er mag nicht immer vollständig zu erreichen sein, sollte aber als Therapieziel immer hartnäckig verfolgt werden. Das bedeutet, Gelenke und Entzündungswerte regelmäßig zu kontrollieren und die Therapie fortlaufend zu adjustieren. Besonders zu Beginn der Erkrankung muss engmaschig kontrolliert werden, später können die Abstände vergrößert werden. Sie sind aber unbedingt weiterhin notwendig, um Organschäden durch die Erkrankung oder die Nebenwirkungen der Therapie abzuwenden. Als fester Teil der Behandlung muss zudem fortlaufend überwacht werden, ob eine Begleiterkrankung schon besteht oder droht. Das erfordert die enge Zusammenarbeit von Rheumatologen, Hausärzten und anderen Fachärzten, zum Beispiel Herz-Kreislauf- oder Nierenspezialisten.

Wie stelle ich fest, ob meine Rheuma-Therapie zur Vermeidung von Begleiterkrankungen beiträgt?
Indem Sie mit Ihrem Rheumatologen darüber sprechen, besonders wenn eine Kortisontherapie schon über längere Zeit durchgeführt wird. Es lohnt sich, um jedes Milligramm weniger zu kämpfen, um Langzeitfolgen für das Herz-Kreislauf-System, das Infektionsrisiko, für Augen, Haut und Knochen zu vermeiden. Einschränkend muss gesagt werden, dass bei bestimmten Rheumaerkrankungen bisher keine wirksame Alternative zu Kortison verfügbar ist. Auf jeden Fall sollten Sie sich die Ergebnisse aller Kontrolluntersuchungen geben lassen und abheften, damit auch andere Ärzte darauf zurückgreifen können. Übrigens: Da die Entzündung hemmende Therapie der Rheumaerkrankung die Abwehrkräfte des Immunsystems verringert, ist eine gute Vorsorge durch Schutzimpfungen sinnvoll, vor allem gegen Pneumokokken. Idealerweise wird vor Beginn der antientzündlichen Therapie geimpft.

Gilt das auch für andere Begleiterkrankungen wie Osteoporose und Depression?
Chronische Entzündungen greifen den Knochen an und führen zur Osteoporose, also zur Verminderung der Knochensubstanz mit dem erhöhten Risiko für Knochenbrüche. Deshalb gilt auch hier: Je besser die Entzündung unterdrückt werden kann, umso geringer ist das Risiko. Weiter senken lässt es sich durch regelmäßige Bewegung und die Versorgung mit Vitamin D. Von September bis April sollten Rheumapatienten Vitamin D zusätzlich in Tablettenform zu sich nehmen. Das gilt besonders für Patientinnen mit einem Lupus erythematodes. Auch die Depression als Begleiterkrankung steht im Zusammenhang mit der Entzündungsaktivität im Körper. Hinzu kommt, dass die Betroffenen unter der Belastung einer nicht heilbaren Erkrankung, chronischen Schmerzen und einer eingeschränkten Lebensqualität sehr stark leiden. Auch die Schmerzwahrnehmung im Gehirn spielt hier eine Rolle. Eine Anpassung der Medikation kann helfen, aus der Depression wieder herauszukommen.

Mit wem spreche ich über das Thema Begleiterkrankung? Mit dem Hausarzt?

Der Hausarzt ist sicher ein guter erster Ansprechpartner und wird Sie bei Bedarf an einen Facharzt überweisen, der für die jeweilige Begleiterkrankung zuständig ist. Wichtig ist es, den Rheumatologen einzubeziehen, um zu einer gut koordinierten Behandlung zu kommen. Die Rheumatherapie spielt schließlich bei der Behandlung von Begleiterkrankungen – Stichwort Medikamente – eine große Rolle. Es ist aber auch sinnvoll, direkt Ihrem Rheumatologen Symptome zu schildern, die auf eine Begleiterkrankung hinweisen könnten.

Wie kann ich mich als Laie über meine rheumatische Erkrankung und die heutigen Therapiemöglichkeiten informieren?
Erste Adresse für Betroffene und Angehörige ist die Rheuma-Liga mit ihrem breiten und fundierten Informationsangebot. Erheblichen Nutzen ziehen Mitglieder der Rheuma-Liga zudem aus dem Austausch untereinander. Es ist nachgewiesen, dass informierte Betroffene mit einer chronischen Krankheit deutlich besser umgehen können als Nicht-Informierte. Doch das Angebot geht weit über reine Informationen hinaus: Bewegungsprogramme wie aktiv-hoch-r, eine App zur Unterstützung im Alltag oder Beratungsangebote vor Ort bedeuten konkrete Hilfe nah an am Alltag der Rheumapatienten. Derzeit baut die Rheuma-Liga neue Informations- und Selbstmanagement-Kurse auf, an denen man sich beteiligen sollte. Mehr zu den Angeboten der Rheuma-Liga unter www.rheuma-liga.de.

Gibt es systematische Untersuchungen von Rheuma-Patienten, um Komorbiditäten zu erkennen?

Derzeit arbeiten die Fachvertretungen der Rheumatologen, die Krankenkassen und die Rheuma-Liga an einem strukturierten Behandlungsprogramm für rheumatoide Arthritis, das diesen Punkt berücksichtigt. In Überarbeitung ist aktuell auch ein Informations- und Schulungsprogramm für Patienten mit rheumatoider Arthritis – der häufigsten entzündlichen Rheumaerkrankung –, das bundesweit von der Rheuma-Liga zusammen mit den Rheumatologen umgesetzt wird. Diese Maßnahmen zielen auf eine systematische Erfassung und Behandlung von Begleiterkrankungen ab. Sie können aber ein entscheidendes Problem der Rheumatologie in Deutschland nicht beheben: die niedrige Zahl der internistischen Rheumatologen. Hier müssen von der Politik strukturelle Änderungen in der Versorgung umgesetzt werden, besonders vor dem Hintergrund einer alternden Bevölkerung und damit einer weiter steigenden Zahl von Rheumapatienten.

Was kann ich als Patient selbst tun, um das Risiko einer Begleiterkrankung zu senken?
Das Stichwort lautet Selbst-Management. Es bedeutet einerseits, die Therapievorgaben konsequent einzuhalten: Medikamente nach Plan einnehmen, Kontrollen einhalten und mögliche Konsequenzen aus diesen Kontrollen umsetzen. Es bedeutet aber auch Engagement jenseits von Tabletten und Arztbesuchen. Gemeint sind regelmäßige Bewegung, gesunde Ernährung, eine Anpassung des Lebensstils auf die Erkrankung und – soweit nicht längst geschehen – ein sofortiger Rauchstopp. Das ist eine lebenslange, schwere Aufgabe, die aber belohnt wird: mit einer besseren Kontrolle der Erkrankung, weniger Schmerzen, mehr Beweglichkeit und Teilhabe am täglichen Leben, der Vermeidung von Behinderung und einer in allen Bereichen gesteigerten Lebensqualität.

Autor:

Christian Schweizer aus Bretten

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