"Das Feld nicht den ewigen Nörglern überlassen": Gemeinderäte sprechen über ihr Ehrenamt

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Noch rund zweieinhalb Monate bis zu den Gemeinderatswahlen am 26. Mai. Was leisten eigentlich Stadt- und Gemeinderäte? Welche Einflussmöglichkeiten haben sie? Und welchen Belastungen sind sie ausgesetzt? Drei Amtsträger aus Bretten, Oberderdingen und Kürnbach plaudern aus dem Nähkästchen.

BRETTEN/OBERDERDINGEN/KÜRNBACH (ch) Kindergartengebühren, Hundesteuer, Straßen- und Grünanlagenpflege, neue Sanierungs-, Wohn- und Gewerbegebiete – Entscheidungen von Stadt- und Gemeinderäten haben mehr Einfluss auf das alltägliche Leben, als vielen Bürgern bewusst ist. Gähnend leere Zuhörerreihen bei öffentlichen Gemeinderatssitzungen sprechen nicht gerade für ein ausgeprägtes Bürgerinteresse an vor Ort gelebter Demokratie. Andererseits kann die Kritik schnell hohe Wellen schlagen und sehr persönlich werden, wenn Erwartungen einmal enttäuscht werden. Wie gehen die Mandatsträger mit den Belastungen, aber auch Gestaltungsmöglichkeiten ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit um? Und welche Erfahrungen haben sie bei ihrem Einsatz für das Allgemeinwohl gesammelt? Das wollten wir vor den Gemeinderatswahlen am 26. Mai von drei amtierenden Ratsmitgliedern unterschiedlicher politischer Couleur aus drei verschieden großen Kraichgau-Orten wissen.

Die Welt verbessern?

„Als Anfänger wird man recht schnell auf den Boden der Realität geholt“, sagt der Brettener CDU-Stadtrat Martin Knecht, der nach eigenen Worten 2014 „sehr euphorisch mit vielen Ideen“ erstmals sein Amt antrat. Doch das hehre Ziel, „die Welt in Bretten ein Stückchen zu verbessern“, kontrastierte von Anfang an mit dem Alltag: Stundenlange Gemeinderats- und Ausschusssitzungen, vor denen es seitenlange Dokumente zu lesen galt über Bebauungspläne, Satzungen, Kanalerneuerungen - „nicht gerade die prickelndsten Themen“, wie Knecht feststellt. In den Sitzungen dann ausführliche Stellungnahmen jeder Fraktion und Gruppierung. „Das braucht Zeit“, sei aber „ein demokratischer Prozess“, so der 65-Jährige. Einschließlich Diskussionen in der Fraktion, Aufsichtsratstätigkeiten und repräsentativen Veranstaltungen rechnet er mit durchschnittlich bis zu 40 Stunden Zeitaufwand im Monat.

In Rolle hineinwachsen

Anders als der pensionierte Realschuldirektor, der sich erst im reifen Alter um ein Gemeinderatsmandat bewarb, reizte die heute 26-jährige Tamina Hommer „die Aussicht, schon im jungen Alter mitreden und mitmischen zu können.“ Nachdem sie vor fünf Jahren für die SPD in den Oberderdinger Gemeinderat gewählt wurde, habe sie allerdings erst in ihre Rolle „hineinwachsen“ müssen, gesteht sie. Man müsse sich „auch mit Themen beschäftigen, die einem vielleicht nicht so liegen“ und stehe „viel stärker in der Öffentlichkeit“. Da hatte es Silvia Nuber, die 2012 als Nachrückerin für die Freien Wähler erstmals in den Kürnbacher Gemeinderat einzog, leichter. „Weil ich aus der Verwaltung komme, wusste ich, was mich in der Gemeinderatsarbeit erwartet“, sagt die 56-jährige Diplomverwaltungswirtin, die zusätzlich den Fraktionsvorsitz innehat. Aufgrund mehrjähriger Tätigkeit in der Geschäftsstelle des Brettener Gemeinderats konnte sie aus unmittelbarer Anschauung schöpfen.

Für die Bürger etwas erreichen

Trotz des beträchtlichen Zusatzaufwands, den auch die beiden Frauen nicht wegdiskutieren wollen, beurteilen alle drei Volksvertreter ihre Gestaltungsmöglichkeiten positiv. Silvia Nuber nennt ein Beispiel: Nachdem die Aufnahme Kürnbachs ins Landessanierungsprogramm geschafft war, bestimmten die Räte, in welchen Bereichen im Ort die Schaffung und Sanierung von Wohnraum gefördert werden soll. „Damit kann man für die Bürger, die hier leben, etwas erreichen“, so ihr Fazit. Ebenso Martin Knecht, der beispielhaft auf Erfolge bei der Nahversorgung in den Ortsteilen, den guten baulichen Zustand von Schulen und Kindergärten sowie große Fortschritte beim Bemühen um die gewünschte Süd-West-Umfahrung Brettens verweist. Allerdings betonen beide, dass Erfolge nur „gemeinsam mit allen Kollegen“ (Nuber), das heißt durch ständiges Bemühen um „vernünftige Mehrheiten“ sowie „Hand in Hand“ mit der Verwaltung (Knecht) erreichbar seien. Kritik von Bürgerseite hält er für "völlig in Ordnung, solange es auf der sachlichen Ebene bleibt".

Kontakt mit den Bürgern

Oberstes Ziel der Gemeinderatsmitglieder ist das Gemeinwohl. „Ich schaue nicht darauf, wer mich gewählt hat oder nicht“, betont Tamina Hommer. Wie sie fühlt sich auch Silvia Nuber allen Einwohnern verpflichtet. Als gewählte Gemeinderätin müsse sie die Interessen aller Bürger vertreten – „so breit wie möglich“. Zugleich räumt sie ein, dass es ihr selbst in einem kleinen Dorf wie Kürnbach nicht gelingt, zu allen Bürgern Kontakt zu halten. Aber dafür gebe es ja insgesamt zwölf Gemeinderäte, die ein breites Meinungsspektrum erfassten. Neben den vielen Gelegenheiten, bei denen Stadt- und Gemeinderäte von Bürgern direkt angesprochen werden, führt Martin Knecht noch die Stadtteilbesuche seiner Fraktion, den monatlichen Stammtisch und themengebundene Veranstaltungen an, um mit den Bürgern im Gespräch zu bleiben.

Frauen unterrepräsentiert

Die Verpflichtungen als Gemeinderatsmitglied mit den Anforderungen der Berufstätigkeit unter einen Hut zu bringen, erfordere “viel Koordinationsgeschick“, sagt Tamina Hommer. Sie selbst kann sich als Angehörige des Öffentlichen Dienstes „auch mal freistellen lassen“. Silvia Nuber arbeitet „nicht Vollzeit“ und hat erwachsene Kinder, während Martin Knecht seit einem halben Jahr im Ruhestand ist. Arbeiter und Angestellte mit Vollzeitjob oder Selbständige haben es deutlich schwerer. Frauen sind unter den rund 20.000 baden-württembergischen Stadt- und Gemeinderäten mit knapp 24 Prozent immer noch deutlich unterrepräsentiert. Silvia Nuber findet es schade, dass in Kürnbach nur zwei von zwölf Räten weiblich sind. „Denn als Frau sieht man doch manches unter einem anderen Aspekt als die Männer.“ Zum Beispiel bei den Betreuungsangeboten im Bereich Kindergarten und Schule könnten Frauen aus eigener Erfahrung die Anforderungen besser nachvollziehen.

Interesse an Gemeindethemen

Als persönliche Voraussetzung für die Gemeinderatstätigkeit nennen die Befragten vorrangig das Interesse an Gemeindethemen, an Kommunalpolitik und an Politik überhaupt. Tamina Hommer und Martin Knecht legen zudem großen Wert auf eine möglichst große Vielfalt an Alters- und Berufsgruppen im Gremium. Knecht hält darüber hinaus eine stabile persönliche Linie, Offenheit für andere Meinungen, Sitzfleisch, die Fähigkeit zum Kompromiss und konstruktiver Diskussion, Frustrationstoleranz, Verlässlichkeit, positives Denken und einen Schuss Humor für unerlässlich.

Ausdauer und Geduld

Mit fünf Jahren Erfahrung Gemeinderatstätigkeit im Rücken: Was würden die drei Mandatsträger neuen Bewerbern mit auf den Weg geben? „Ausdauer und Geduld“ – „Man kann nicht alles sofort verändern“, rät Silvia Nuber. Tamina Hommer möchte „gerade auch Frauen und junge Menschen ermutigen, zu kandidieren“. „Einfach probieren und sich trauen“ ist ihre Devise, denn: Man könne “sowieso nicht alles über jedes Thema wissen“ – man bekomme aber die Zeit, sich einzuarbeiten. Und Martin Knecht empfiehlt, sachbezogen zu argumentieren und Mehrheiten zu suchen, im Verhältnis zur Verwaltung „die Augenhöhe, nicht die Opposition“ anzustreben, diese zu kontrollieren immer mit dem Ziel, die beste Lebensqualität für die Bürger/innen zu erreichen und das Feld „nicht den ewigen Nörglern“ zu überlassen.

Autor:

Chris Heinemann aus Bretten

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