Landkreis Karlsruhe: Fast jeder dritte Rettungseinsatz ist eine Fehlfahrt

Immer mehr Menschen machen auch ohne Notfall Gebrauch vom Rettungsdienst und wählen die 112. 20.245 Fehlfahrten verzeichnete das Deutsche Rote Kreuz im Raum Karlsruhe daher im Jahr 2016. Das ist fast jede dritte Rettungsfahrt. Politik, Verbände und Krankenkassen sind derzeit auf der Suche nach einer Lösung. Dabei wird auch laut über eine Kostenbeteiligung der Patientinnen und Patienten nachgedacht. Lesen Sie auch den Kommentar zum Thema.

Landkreis Karlsruhe (wh) 1. Mai-Feiertag: Im prallen Sonnenschein spielen einige Freunde Fußball, bewegen sich viel, trinken ein paar Biere. Kurze Zeit später erleidet einer der Männer einen Schwächeanfall. Ihm wird schwindlig, er kann sich nicht mehr auf den Beinen halten und möchte zum Arzt. Alle haben schon zu viel getrunken, um selbst zu fahren. Der Taxidienst ist ausgelastet, kann erst in zwei Stunden einen Wagen schicken. Was nun? Eigentlich ist dies ein Fall für den ärztlichen Bereitschaftsdienst. Trotzdem wählen laut einer Studie im Auftrag des Verbands der Ersatzkassen (vdek) aus dem Jahr 2016 immer mehr Menschen in solchen Fällen den Notruf – die 112. Diese Nummer ist aber eigentlich für lebensbedrohliche Notfälle gedacht.

20.245 Fehlfahrten registrierte der DRK-Kreisverband Karlsruhe

20.245 Fehlfahrten registrierte der DRK-Kreisverband Karlsruhe für das Jahr 2016. Das ist fast jeder dritte Rettungsdiensteinsatz. So viele, dass Politik, Krankenkassen und Verbände sich Gedanken machen. Sollen Strafen fällig werden, wenn der Notruf ohne wirklichen Notfall gewählt wurde? Sollen Patienten an den Behandlungskosten bei Notdiensten und ärztlichen Bereitschaftsdiensten beteiligt werden, wie es die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg in einer Pressemitteilung fordert? Oder ist die Verantwortung bei den Integrierten Leitstellen zu suchen, die zu schnell einen Rettungswagen statt eines Krankentransportwagens schicken? Die vedk macht ganz andere Gründe für den Anstieg der Fehlfahrten aus: Unklare Sprechstundenzeiten und Anlaufstellen der niedergelassenen Ärzte, unklare Aufgabenteilung zwischen ambulantem und stationärem Notdienst und die Unsicherheit der Patientinnen und Patienten.

Lange Wartezeiten auf Krankentransporte

Auch DRK-Kreisgeschäftsführer Jörg Biermann ist der Meinung, dass die Hemmschwelle, die 112 zu wählen, in der Bevölkerung immer noch recht hoch ist und kein flächendeckender Missbrauch vorliegt. Für ihn sind Fehlentscheidungen der Politik ein wesentlicher Grund dafür, dass die Anzahl der Fehlfahrten gestiegen ist. Große Probleme gebe es vor allem bei den Krankentransporten.

Preis für Rettungseinsätze ist nicht von Organisationen bestimmbar

Während in Baden-Württemberg der Rettungswagen innerhalb von zehn bis 15 Minuten am Unfallort sein muss, darf ein Krankenwagen bis zu 45 Minuten brauchen. So weit in der Theorie. In der Praxis seien die Wartezeiten für Krankentransporte sehr hoch. „Drei bis vier Stunden sind realistisch“, so Biermann. Dabei liege der Fehler nicht im System, das Kranken- und Notfalltransporte unterscheidet, sondern bei der Politik, die dafür gesorgt habe, dass etwas marktfähig werde, was eigentlich dem Markt nicht unterliege. Denn der Preis für Rettungseinsätze sei nicht von Organisationen bestimmbar, sondern in Form einer Pauschale vorgegeben. Die Finanzierung für die Krankentransporte sei einfach nicht ausreichend.

So erhalten das DRK und andere Hilfsorganisationen für eine Krankenfahrt pauschal 60 bis 70 Euro. Kostendeckend seien aber 105 Euro. Bei Krankenfahrten, die durch einen Rettungswagen durchgeführt werden, werden auch nur diese erstattet. Auf der Differenz bleiben die Organisationen sitzen. „Wir fordern, dass Krankentransporte besser bezahlt werden und mehr Fahrzeuge zur Verfügung gestellt werden“, so der DRK-Kreisgeschäftsführer. Die Mehrkosten könne man zum Teil durch die Entlastung bei Rettungsfahrzeugen einsparen.

Notaufnahmen in Krankenhäusern verzeichnen mehr Patienten

Laut Sozialgesetzbuch übernimmt die Krankenkasse die Kosten für den Rettungsdienst nur, wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse stehen. Wird ein Patient oder eine Patientin nicht befördert, übernimmt die Krankenkasse den Rettungseinsatz nicht. Das ist zum Beispiel auch in dem Falle eines Diabetikers, der eine gefährliche und auch lebensbedrohliche Unterzuckerung erleidet, so. Der Rettungsdienst kann und muss in diesem Fall bereits mit einer einfachen Spritze Soforthilfe leisten. Ein Transport in das Krankenhaus wird danach aber meist überflüssig. Für den Rettungsdienst ist es also, trotz berechtigtem Einsatz, eine Fehlfahrt.

Mehr Patienten in der Notaufnahme

Oder der Patient wird doch in die Notaufnahme gebracht und verursacht dort Probleme, denn auch die Krankenhäuser registrieren eine erhöhte Zahl an Patienten in der Notaufnahme, heißt es seitens der Regionalen Kliniken GmbH, zu der auch die Rechbergklinik Bretten sowie die Fürst-Stirum-Klinik Bruchsal gehören. Patienten würden nach der Schwere ihrer Verletzungen oder Erkrankung eingeteilt und dementsprechend nicht nach der Reihenfolge behandelt, in der sie erscheinen. Dies führe wegen zunehmender Wartezeiten zu Unzufriedenheit. Zudem entstehe durch steigende Patientenzahlen auch mehr Personalbedarf. Leidtragende sind also am Ende Patientinnen und Patienten. Entweder, weil sie mit schmerzhaften, aber nicht lebensbedrohlichen Verletzungen lange ausharren müssen, oder weil sie im schlimmsten Fall zu lange auf einen Rettungswagen warten müssen. Denn jeder Rettungswagen, der einen Krankentransport durchführt, fehlt im Notfall. Einen Notfall zu erfinden, ist daher schon jetzt strafbar. Nachzuweisen ist es jedoch kaum, denn mehr als nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln, kann man vom Einzelnen nicht erwarten.

Welche Nummer in welchem Fall?

Wenn Sie Ihre Situation selbst einschätzen können, wählen Sie die Nummer, die zu Ihrem Fall passt. Wenn Sie sich unsicher sind und Sie einen Notfall befürchten, können Sie die 112 rufen und den ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Leitstelle die Symptome schildern. Sie vermitteln dann an die richtigen Stellen.

112
Unter der 112 erreichen Sie die integrierte Leitstelle der Feuerwehr und des Rettungsdienstes. In medizinischen Fällen ist die 112 die richtige Nummer für lebensbedrohliche Situationen, also Verletzungen mit hohem Blutverlust, Kreislaufstillstand, Vergiftungen.

19222
Wählen Sie die 19222 kommen Sie direkt beim Krankentransport heraus. Dort vermittelt man Krankenwagen zum Transport bei nicht-lebensbedrohlichen Erkrankungen und Verletzungen oder für geplante Fahrten, zum Beispiel für Dialysepatientinnen und -patienten.

116117
Hier erreichen Sie den ärtzlichen Bereitschaftsdienst. Dieser kümmert sich um alle Fälle, die eines Hausarztes bedürfen, außerhalb der üblichen Sprechzeiten.

Autor:

Wiebke Hagemann aus Bretten

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