Strukturwandel im Einzelhandel: Erfolg mit Wir-Gefühl und Investitionen - ein Blick nach Bruchsal

Dichtes Gedränge bei der Eröffnung der Rathausgalerie 2010. | Foto: Stadt Bruchsal/Heintzen
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Läden schließen und stehen teilweise Monate oder Jahre leer. Geschäftsinhaber beklagen mangelnde Laufkundschaft. Der wachsende Internethandel setzt vermehrt stationäre Einzelhändler unter Druck. Wir haben nachgefragt, wie Städte in der Region mit dem Strukturwandel im Einzelhandel umgehen: ein Blick über den Tellerrand nach Bruchsal.

BRETTEN/BRUCHSAL (ch) Läden schließen und stehen teilweise Monate oder Jahre leer. Geschäftsinhaber beklagen mangelnde Laufkundschaft. Der wachsende Internethandel setzt vermehrt stationäre Einzelhändler unter Druck. In Bretten bemüht man sich, gegenzusteuern und die Attraktivität der Innenstadt als Einkaufsziel langfristig zu erhalten. Diese Aufgabe soll künftig neben der Wirtschaftsförderung eine neue Fachkraft für Stadtmarketing übernehmen, die heute ihren Dienst antritt. Doch wie läuft es in anderen Städten der Region? Was tut man dort für Erhalt und Ausbau des Einkaufsstandorts? Wir haben über den Tellerrand geschaut und uns umgehört – heute in Bruchsal.

Nachhaltige Baumaßnahmen für attraktives Einkaufen

Tatsächlich scheint die Welt des Einzelhandels in der Bruchsaler Innenstadt in Ordnung: Zugkräftige Filialisten im Bereich Mode und Drogerie bestimmen das Bild. Ihre Ansiedlung geht auf das Jahr 2008 zurück, als Bruchsal in der Innenstadt baulich die Weichen für eine attraktivere Einkaufssituation stellte. Gerade noch rechtzeitig, bevor bedeutende Einzelhandelskonzerne angesichts der Internetkonkurrenz ihre Expansionsstrategie neu ausrichteten. Das aus den 1950er Jahren stammende Bruchsaler Rathaus wurde bis 2010 zur modernen Rathausgalerie aus- und umgebaut – mit einer Ladenzeile im Erdgeschoss und zwei Zusatzgebäuden. „Diese Entscheidung, die weit in die Zukunft wirkt, wurde unter dem bis 2009 amtierenden OB Bernd Doll getroffen“, lobt Margrit Csiky, die seit 2008 das Büro für Stadtmarketing im Hauptamt der Stadtverwaltung leitet. Kurz danach siedelte die damals neue gewählte Oberbürgermeisterin Cornelia Petzold-Schick als weiteres Highlight das Modehaus Jost an. Seitdem pulsiert Bruchsals Herz als Einkaufsstadt im Dreieck zwischen Rathausgalerie, Mode Jost und Sparkasse.

Gute Stimmung für die Stadtgesellschaft

Doch auf den zweiten Blick macht sich auch in Bruchsal der Wettbewerbsdruck durch den Internethandel bemerkbar. „Wir müssen uns auf eine ganz neue Struktur des Einzelhandels vorbereiten“, ist Margrit Csiky überzeugt. Als Reaktion auf zunehmende Leerstände in der Innenstadt, aber auch im Zuge der Umstrukturierung der Wirtschaftsförderung für die Region Bruchsal wurde im Jahr 2014 die Stelle „Kommunale Wirtschaftsförderung“ neu geschaffen. Diese ist direkt Oberbürgermeisterin Cornelia Petzold-Schick unterstellt. Die neue Aufgabenverteilung sieht vor, dass sich die Wirtschaftsförderung um die Ansiedlung neuer und die Stabilisierung bestehender Unternehmen einschließlich dem Management von Leerständen kümmert, während das Stadtmarketingbüro - vereinfacht gesagt - für ein gutes Klima sorgt, damit sich die Unternehmen gut eingebunden fühlen und sowohl Einheimische als auch Auswärtige gerne in die Stadt kommen. Margrit Csiky, die von einer engagierten Halbtagskraft unterstützt wird, vergleicht die Stadtgesellschaft mit einer Familie: „Es geht darum, für Zusammenhalt, gute Stimmung, Arbeitsplätze, Einkommen und Veranstaltungen zu sorgen, die allen das Gefühl geben, dass sie in der Stadtgemeinschaft willkommen sind und dass jeder gebraucht wird.“

Das Schloss als kulturelles Zugpferd

Nach Csikys Worten wussten schon die alten Römer, „dass „Brot und Spiele“ das Geheimnis eines florierenden Gemeinwesens sind.“ Im Bereich „Spiele“, sprich Events, kommt dem Bruchsaler Schloss eine bedeutende Rolle zu. „Es war ein Glücksfall für die Barockstadt, dass das Land Baden-Württemberg den Sitz seiner Staatlichen Schlösser und Gärten (SSG) 2009 nach Bruchsal verlegte, denn die organisieren Veranstaltungen mit einer Strahlkraft, die weit in die Region reicht und die Stadt profitiert davon“, sagt Margrit Csiky. Natürlich unterstütze die Stadt alle Veranstaltungen nach Kräften, beispielsweise die Schlossweihnacht als Mitveranstalter oder die Open-Air-Konzerte durch Bauhof- und andere Leistungen. „Auch die Fertigstellung der Beletage hat die Blicke in der Region auf unsere Stadt gelenkt“, weiß die Stadtmarketingfrau.

Einbeziehung möglichst vieler Akteure

Damit das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure reibungslos funktioniert, gibt es den Arbeitskreis Stadtmarketing. Zwei Mal im Jahr treffen sich dort Vertreter des Bruchsaler Branchenbundes B3, der vor rund acht Jahren aus einer Öffnung der Werbegemeinschaft der Bruchsaler Einzelhändler für Freiberufler und Gewerbetreibende hervorgegangen ist, mit Vertretern der Haus- und Grundeigentümer, des Hotel- und Gaststättengewerbes, des Gewerbevereins und der Marktbeschicker mit dem Büro für Stadtmarketing und erarbeiten eine Liste von Wünschen, einen so genannten Prioritätenplan.

Städtisches Werbebudget für den Einzelhandel

Übers Jahr arbeitet die Leiterin des Stadtmarketing aktiv im Bruchsaler Branchenbund B3 mit. In die monatlichen B3-Vorstandssitzungen bringt sie unter anderem die durch ihre Mitgliedschaft im Bundesverband City- und Stadtmarketing gewonnenen Erkenntnisse über neueste Trends und Entwicklungen ein. Noch wichtiger seien jedoch die jeweils zu Jahresbeginn veranstalteten B3-Klausurtagungen mit ihrer Konzentration auf ein Thema und Fachvorträge, die Entscheidungen auf Grundlage belastbarer Informationen ermöglichten. Csiky versteht sich als Moderatorin, die die verschiedenen Akteure der Stadtgesellschaft zusammenbringt und Know-how bereitstellt. Sie scheut sich aber auch nicht, die Interessen des Einzelhandels aktiv gegenüber Gemeinderat und Stadtverwaltung zu vertreten. Beispielsweise hat sie erreicht, dass die Stadt dem BranchenBund seit 2015 einen „verlorenen Zuschuss“ in Höhe von 40.000 Euro gewährt. Mit diesem Geld wird von allem die Werbung für das Frühlings- und Herbstfest sowie für die Events „Brusl Night“ und „Brusl leuchtet“ bezahlt, weil das gleichzeitig auch Stadtwerbung ist.

Suche nach einer Internet-Strategie

Um der zunehmenden Internetnutzung offensiv zu begegnen, hat der BranchenBund die erste Bruchsaler Branchen- und Veranstaltungs-App „Was geht App“ geschaffen. Mit dieser kostenlosen, interaktiven Plattform können User nicht nur von Gutscheinangeboten und Gewinnspielen der Bruchsaler Geschäfte profitieren, sondern sich auch per Push-Nachricht direkt über Aktionen oder Veranstaltungen aller Art informieren lassen.
Im Jahr 2015 beschloss der B3-Vorstand zudem, die vom Karlsruher Citymanager Sascha Binoth kreierten Regio-Geschenkgutscheine als Bruchsal-Gutschein zu übernehmen. „Damit versuchen wir, die Kaufkraft in der Region zu halten und nicht an große internationale Internethändler abfließen zu lassen“, so Margrit Csiky. Auch in Bretten bietet der Einzelhandel seit einigen Jahren die Regio-Geschenkgutscheine an. Weniger erfolgreich war das Projekt der Firma Lomeka aus Karlsdorf-Neuthard, für Waren, die man in Bruchsal kaufen kann, eine eigene Internetplattform aufzubauen. „Lomeka hatte die Ambition, Waren noch am Verkaufstag an die Kunden auszuliefern“, berichtet Csiky. „Das ist mangels Akzeptanz bei Einzelhändlern und bei Kunden gescheitert.“ Die Firma musste Anfang September schließen. „Wir stärken unseren Einzelhandel, indem wir möglichst viele Menschen, also potenzielle Kunden, zu verschiedenen Aktivitäten, Events und Feiern in die Stadt einladen“, macht Csiky deutlich. „Die Einzelhändler müssen das Ihre tun, damit die Leute auch tatsächlich etwas kaufen.“

Zukunftsthema Verkehr

Darüber hinaus gibt es auch in Bruchsal noch viel zu tun. An der Attraktivität der Ende der 1990er Jahre neu gestalteten Fußgängerzone werde weiter gearbeitet, sagt Csiky. Die Oberbürgermeisterin selbst hat sich vor ihrer Wiederwahl im Juli für eine „zukunftsfähige Mobilität“ stark gemacht. Neben einer Verbesserung des Verkehrsflusses und weiterer Förderung der Elektromobilität hat sie sich, auch um dem Verkehrskollaps in der City entgegen zu wirken, die konsequente Umsetzung einer Radverkehrsoffensive auf die Fahnen geschrieben. „Da haben wir noch viel Nachholbedarf“, meint Margrit Csiky. Sie betont, dass sie bei allen großen Maßnahmen gehört und immer an der Umsetzung beteiligt werde. Auf ihrer Wunschliste steht auch ein Parkleitsystem. Dass in der Stadt neue Parkhäuser und viele Stellplätze geschaffen wurden, wertet sie bereits als wesentlichen Schritt vorwärts. „Es ist wichtig, dass jeder Erfolg von irgendjemandem in der Stadt als Erfolg der ganzen Stadt gesehen und gefeiert wird. Dadurch entsteht eine positive Stimmung, die weitere Erfolge generiert“, fasst sie ihre Erfahrungen aus zehn Jahren Stadtmarketing in Bruchsal zusammen und fügt hinzu: „90 Prozent der Wirtschaft sind ohnehin Psychologie.“

Mehr zum Einzelhandel lesen Sie auf unserer Themenseite

Autor:

Chris Heinemann aus Bretten

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