Rat stimmt für Gründung von Kinderärzte-MVZ
Neue Wege, um Kinderärzte in Bretten zu halten

Der Ärztemangel macht sich besonders, aber nicht nur, in ländlichen Gebieten bemerkbar. Foto: AdobeStock – StockPhotoPro
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Bretten (hk) In vielen Teilen Deutschlands, so auch in Bretten, stehen Ärzte vor der Herausforderung, geeignete Nachfolger für ihre Praxen zu finden. Der bestehende Ärztemangel macht sich besonders, aber nicht nur, in ländlichen Gebieten bemerkbar. Bevor sich die Situation weiter zuspitzt, nehmen zwei Brettener Kinderärzte und die Stadt Bretten die Sicherung der kinderärztlichen Versorgung in der Melanchthonstadt nun selbst in die Hand: Gemeinsam streben sie die Gründung einer Genossenschaft an, mit dem Ziel, ein kinderärztliches Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) zu etablieren. Mit einem einstimmigen Beschluss gab der Gemeinderat in seiner jüngsten Sitzung grünes Licht für das vielversprechende Vorhaben. Außerdem beauftragte der Rat mit seinem Beschluss das Unternehmen Diomedes mit Beratungsleistungen. Die Gesamtkosten für die Gründung der Genossenschaft beläuft sich nach Angaben der Stadtverwaltung auf circa 27.000 bis 30.000 Euro, die die Stadt selbst übernimmt. Der Gemeinderat ermächtigte den Oberbürgermeister, die Stadt Bretten in der Generalversammlung der Genossenschaft zu vertreten.

Es droht eine Unterversorgung der Landkreise

Nach Informationen der Verwaltung werden bis 2035 etwa 11.000 Hausarztstellen unbesetzt bleiben, was zu einer Unterversorgung von fast 40 Prozent der Landkreise führen könnte. Diese Problematik, die sich landesweit bisher vorwiegend im hausärztlichen Bereich zeigte, betreffe nun auch die kinderärztliche Versorgung. Viele Kinderarztpraxen würden demnach keine Nachfolger finden und sich mit der Aussicht auf eine mögliche Schließung konfrontiert sehen. Zu den von einer Schließung bedrohten Praxen gehört auch die kinderärztliche Gemeinschaftspraxis in Bretten, die derzeit von Dr. Matthias Gelb und Dr. Roland Knecht betrieben wird. Die Schließung dieser Praxis, so die Verwaltung, würde dazu führen, dass es im Mittelzentrum Bretten keine Praxis für Kinder- und Jugendheilkunde mehr geben werde. Durch das dem Gemeinderat vorgestellte MVZ-Genossenschaftsmodell werde es den beiden Kinderärzten ermöglicht werden, in reduziertem zeitlichem Umfang weiterzuarbeiten und sie von einem „Großteil der ausufernden Verwaltungsarbeit“ zu entlasten, so die Verwaltung. Als Partner hat sich die Verwaltung die Firma Diomedes ins Boot geholt.

"Bretten hat eine eigenartige Sondersituation"

Martin Felger, Geschäftsführer von Diomedes, äußerte sich in der Ratssitzung zur besonderen Lage von Bretten, die durch eine "eigenartige Sondersituation" geprägt sei: Obwohl der Landkreis Karlsruhe rechnerisch ausreichend versorgt ist, sei Bretten durch seine Lage auch für die kinderärztliche Versorgung für den Bedarf aus dem Enzkreis von Bedeutung. "Sollte die Kinderarztpraxis in Bretten schließen, wird sich die Situation dramatisch verschärfen", sagte Felger. Die traditionelle Form der Einzelpraxis, in der ein Arzt selbstständig praktiziert, sei rückläufig. Die junge Generation von Ärzten habe andere Vorstellungen von ihrem Berufsleben, wünsche sich geregelte Arbeitszeiten und die Möglichkeit der Teilzeitarbeit. "Das ist heute sehr viel stärker nachgefragt als vor 30 Jahren", so Felger. Das Genossenschaftsmodell setze genau hier an.

Unterschiedliche Anstellungsoptionen, auch in Teilzeit möglich

Unterschiedliche Anstellungsoptionen, auch in Teilzeit, eine konsequente Entlastung von Bürokratie, die Beseitigung wirtschaftlicher Risiken sowie die Möglichkeit, in einem Ärzteteam zu arbeiten und sich fachlich auszutauschen, mache das Modell besonders interessant für Ärzte, die eine Nachfolgelösung für ihre Praxis suchen. Die Gemeinwohlorientierung komme auch in der Ausgestaltung der Satzung zum Ausdruck. Wenn die MVZ-Genossenschaft Erträge erwirtschafte, bleiben diese in der Genossenschaft und werden nicht ausgeschüttet. Die Erträge kommen den Mitarbeitenden, der Fort- und Weiterbildung, der Investition in moderne Praxen und der Entwicklung innovativer Versorgungskonzepte zugute.

Beteiligung der Mitglieder mit ihren ideellen Ideen

Die Genossenschaft werde neben der Stadt Bretten zunächst die beiden Kinderärzte als Mitglieder haben, aber in Zukunft könnten weitere Ärzte – auch Hausärzte – und Kommunen der Genossenschaft beitreten. Die Wahl der Rechtsform Genossenschaft habe hierbei den Vorteil, dass diese, da nicht verkäuflich, nicht als Übernahmeobjekt für Finanzinvestoren interessant ist. Dies trage dazu bei, dass das langfristige Ziel der Sicherung der kinderärztlichen Versorgung in Bretten gewahrt bleibt. In einer GmbH hingegen könnte es einen "Alleinherrscher" geben, so Felger. Im genossenschaftlichen MZV hingegen stünde die Beteiligung der Mitglieder mit ihren ideellen Ideen im Vordergrund.

Zustimmung aus den Fraktionen

Die Gründung einer solchen Genossenschaft für Bretten stieß durchweg bei allen Gemeinderatsfraktionen auf Zuspruch. Hausarzt und CDU-Stadtrat Joachim Leitz äußerte sich besorgt über die medizinische Versorgungssituation in Bretten, die "zunehmend aus den Fugen gerät." Der mögliche Wegfall der Brettener Kinderarztpraxis wäre laut Leitz ein "besonders harter Schlag für die Bevölkerung und nicht zu ersetzen." Aufgrund nicht zeitgemäßer Vorgaben der Kassenärztlichen Vereinigung müssten die bestehenden Arztsitze schnellstmöglich nachbesetzt werden. "Gelingt das nicht, wären diese Arztsitze unwiederbringlich für Bretten und das Umland verloren", stellte Leitz klar. Die Gründung einer Genossenschaft zur Führung eines MVZ erweise sich daher als ratsam und notwendig.

Gesundheitszentrum auch mit neuen Hausärzten belegt 

Stadtrat Jörg Biermann (die aktiven) brachte zusätzlich das geplante Dienstleistungszentrum auf der Sporgasse ins Spiel. Er schlug vor, ausgeschiedenen oder bald ausscheidenden Ärzten dort ein komplettes Geschoss anzubieten, um den Genossenschaftsgedanken räumlich zu verwirklichen, falls ihre bisherigen Praxen den räumlichen Anforderungen nicht entsprechen. In seiner Antwort an Biermann erklärte Oberbürgermeister Martin Wolff, dass das Gesundheitszentrum, nahezu vollständig belegt sei, unter anderem auch mit neuen Hausärzten, die bisher noch nicht in Bretten ansässig waren. Daher könne kein Stockwerk freigehalten werden. Diomedes-Geschäftsführer Felger erklärte auf Nachfrage von Stadträtin Ariane Maaß, dass der Start eines MVZ frühestens im April 2024 realistisch sei.

"Wichtige Nachricht für Eltern"

Die geplante Gründung eines MVZ für Kinderärzte in Bretten wird auch von dem FDP-Landtagsabgeordneten Christian Jung (Wahlkreis Bretten) begrüßt. „Es ist ein tolles Signal des Brettener Gemeinderats, dass zuerst für die Gründung der dafür geplanten Genossenschaft 30000 Euro zur Verfügung gestellt werden und sich die beiden Brettener Kinderärzte Dr. med. Matthias J. Gelb und Dr. med. Roland Knecht ab 2024 in das MVZ direkt einbringen. Besonders für die Eltern in und rund um Bretten ist das eine wichtige Nachricht zum Beginn der Sommerferien“, teilt Jung mit.
Bei einem Treffen im Juni 2023 berichteten Gelb und Knecht dem FDP-Landtagsabgeordneten über die schwierige Situation, geeignete Nachfolgerinnen oder Nachfolger für ihre Praxis als niedergelassene Kinderärzte zu finden. An dem Gespräch nahm auch FDP-Kreisrat Prof. Dr. med. Jürgen Wacker teil. Ende 2024, so Jung, hätte infolgedessen eine deutliche Einschränkung bei der Kinder- und Jugendmedizin in und rund um Bretten durch Schließung der Praxis gedroht. Die beiden Kinderärzte betreuen laut dem FDP-Landtagsabgeordneten auch viele kleine Patienten aus Kraichtal, Oberderdingen, Kürnbach, Zaisenhausen und Sulzfeld.

Autor:

Havva Keskin aus Bretten

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