ADHS – auch Erwachsene sind betroffen
Lange wurde ADHS, die Aufmerksamkeitsdefizit/ Hyperaktivitätsstörung, als Krankheitsbild von Kindern und Jugendlichen eingestuft. Heute weiß man, wie sehr ADHS das tägliche Leben vieler Erwachsener beeinflussen, wie sehr es Betroffene im Alltag belasten, ihren Lebensmut nehmen und andere psychische Erkrankungen nach sich ziehen kann. In Deutschland sind Schätzungen zufolge mehr als zwei Millionen Erwachsene von ADHS betroffen, viele davon ohne etwas davon zu ahnen, oft mit gravierenden Folgen. Doch es gibt Hilfe.
Im Alltag sind sie unkonzentriert, fangen vieles an und bringen kaum etwas zu Ende. Bei der Arbeit versinken sie im Chaos, vergessen Termine, reagieren häufig unkontrolliert. Die Aufmerksamkeit ist ebenso beeinträchtigt wie die Fähigkeit, sich über längere Zeiträume auf eine Sache zu konzentrieren. Hinzu kommen überschießende emotionale Reaktionen, die nicht selten später bedauert werden. Soziale Kontakte zu Freunden und Familienmitgliedern sind entsprechend gefährdet, Partnerschaften zerbrechen. Die Rede ist von ADHS-Patienten, von Menschen, die vielfach schon als Kinder unter dieser Krankheit litten.
Mehr als „nur unruhig“
„Es geht nicht um ein bisschen Unruhe“, so der ADHS Experte Dr. med. Lothar Imhof aus Ahrensburg: „In der Praxis wird ADHS bei Erwachsenen nicht selten überlagert durch weitere psychische Leiden. Man schätzt zum Beispiel bei 40% der Betroffenen eine depressive Belastung, bei 20% eine Angststörung und bei etwa 35% ist ADHS nur sehr schwer von anderen ernsthaften Persönlichkeitsstörungen wie z.B. das schwer behandelbare Borderline-Syndrom abzugrenzen. Hinzu kommt ein deutlich gesteigertes Suchtrisiko mit einem erhöhten Konsum von Alkohol, Nikotin und Drogen“.
Deutlich unterdiagnostiziert
Dass ADHS bei Erwachsenen mit einer Häufigkeit von 2 bis 3% auftritt und dass bis zu 80% der im Kindesalter Betroffenen auch als Erwachsene noch an der Erkrankung leiden, gilt in Fachkreisen heute als unbestritten. Trotz dieser Erkenntnis ist die Krankheit aber noch immer deutlich unterdiagnostiziert. Die Tendenz allerdings ist steigend, da zur Diagnose mittlerweile standardisierte, von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickelte Verfahren zur Verfügung stehen, die auch von Hausärzten zunehmend genutzt werden. Die Ursachen für ADHS sind noch nicht gänzlich erforscht. Zu circa 70% sind die Gene für die Entstehung verantwortlich, soviel ist sicher. Bei den Betroffenen ist in bestimmten Hirnregionen der Botenstoff Dopamin nicht ausreichend vorhanden, was dazu führt, dass es zu Störungen bei der Weiterleitung von Nervenreizen kommt.
Therapiemöglichkeiten
Besonders wichtig für ADHS-Patienten ist ein möglichst strukturierter Alltag mit To-do-Listen, Erinnerungszetteln und Terminkalendern. Auch gezieltes Verhaltenstraining und psychologische Betreuung können spürbare Hilfestellung leisten. Als eine weitere wichtige Säule bei der ADHS-Behandlung gilt heute die medikamentöse Therapie. Seit mehreren Jahren steht mit Methylphenidat (MPH) ein auch für die Behandlung erwachsener Patienten zugelassener und entsprechend gut untersuchter Wirkstoff zur Verfügung, der gezielt in die gestörte Dopamin-Regulation eingreifen und diese normalisieren kann. Dass die medikamentöse Therapie entgegen früherer Lehrmeinung einer rein psychotherapeutischen Behandlung deutlich überlegen ist, zeigt jetzt eine aktuelle, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützte, pharmaunabhängige Studie der Universitätsklinik Freiburg. Nach etwa drei Monaten zeigte sich bei 75% der mit Methylphenidat behandelten erwachsenen ADHS-Patienten eine deutliche Verbesserung des Gesamtzustandes. Immer mehr Ärzte sind daher heute vom Nutzen einer medikamentösen Therapie überzeugt.
Als würde ein Schalter umgelegt
Noch immer wird ADHS viel zu selten diagnostiziert, bzw. mit Depressionen oder anderen psychischen Leiden verwechselt – oft mit gravierenden Folgen. Besonders gefährlich ist das z.B. im Straßenverkehr, da Erwachsene mit ADHS zu deutlich riskanterem und sich selbst überschätzendem oder unaufmerksamem Verhalten neigen. Aktuellen Untersuchungen zufolge könnte das Unfall-Risiko bei entsprechender medikamentöser Behandlung um das Vierfache reduziert werden. Aufgrund der unmittelbar regulierenden Wirkung auf die betroffenen Hirnregionen setzt der verhaltensnormalisierende Effekt bereits innerhalb kurzer Zeit, häufig schon nach der ersten Tablette, ein'. Als habe man einen Schalter umgelegt oder einen Schleier weggezogen'. – so die typische Beschreibung von Patienten, die medikamentös entsprechend behandelt wurden. “Konsequent diagnostiziert und entsprechend therapiert könnte das Leiden vieler Betroffener effektiv und nachhaltig gelindert werden“, so das Fazit von Dr. Imhof. Sein Rat an alle Menschen, die sich in den beschriebenen Symptomen wiederfinden, lautet daher, sich bei einem Arzt ihres Vertrauens auf eventuelles ADHS untersuchen zu lassen. Dieser Gang zum Arzt mag vielleicht Überwindung kosten, könnte aber der Beginn eines völlig neuen Lebensgefühls sein.
1) Philipsen Alexandra, et. al. Effects of Group Psychotherapy, Individual Counseling, Methylphenidate, and Placebo in the Treatment of Adult Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder. A Randomized Clinical Trial. JAMA Psychiatry. 2015 Dec 1;72(12):1199-210. doi: 10.1001/jamapsychiatry.2015.2146.
Autor:Kraichgau News Ratgeber aus Bretten |
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