Eindrücke vom Rastatter Straßentheaterfestival tête-à-tête: Wilde Tänze, freche Clowns und himmlische Späße

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Riesige Vogel-Dinosaurier, ein ungehorsamer Clown, zwei Glück bringende Engel und vieles, vieles mehr – das noch bis einschließlich Sonntag, 3. Juni, in Rastatt stattfindende fünftägige internationale Straßentheaterfestival tête-à-tête bietet eine atemberaubende Mischung aus Artistik, Tanz und Performance.

RASTATT (ch/pm) Riesige Vogel-Dinosaurier, ein ungehorsamer Clown, zwei Glück bringende Engel und vieles, vieles mehr – das noch bis einschließlich Sonntag, 3. Juni, in Rastatt stattfindende fünftägige internationale Straßentheaterfestival tête-à-tête bietet eine atemberaubende Mischung aus Artistik, Tanz und Performance, mal heiter, mal ernst, aber immer voller Überraschungen. 47 professionelle Künstlergruppen aus 16 Nationen entführen das – wie immer - zahlreiche Publikum in andere Vorstellungswelten, entzücken und amüsieren, machen staunen und begeistern, unterhalten und beziehen bisweilen auch politisch Stellung. Ein Rundgang durch die Rastatter Innenstadt am Samstagnachmittag.

Fritten zum Tanzen

Der weitläufige Schlossgarten mit seinen Laubengängen, Rasenflächen, dem Seerosenteich und alten Bäumen ist kaum wiederzuerkennen: überall Menschen, kleine Zirkuszelte, Grüppchen, die auf die nächste Vorstellung eines Künstlers warten, herumtollende Kinder, auf dem Rasen rastende Pärchen und Freundeskreise. Die Stimmung ist gelöst, aus einem Zelt dringt Musik. „DJ Frietmachine“ steht auf einem Schild. Die niederländische Gruppe „Superhallo“ bringt ihre Besucher zum Tanzen – mit DJ Pommes am Frittierkorb und an den Plattentellern – und mit interaktiven Sinnesinstallationen.

Wilde Seiten der Frau

Kurz darauf lädt eine weibliche Lautsprecherstimme zum Beginn der benachbarten Tanzperformance. Rund um eine große ebenerdige Bühne auf der Rückseite des Rastatter Schlosses wartet bereits eine große Zuschauermenge. Die vielen Menschen versperren die Sicht, aber der Rand eines der großen kreisrunden Springbrunnen bietet einen Logensplatz. Demütig Gebete rezitierend defilieren fünf grau gekleidete Stelzentänzerinnen herein. Doch dann geht die Post ab. Zu mitreißend rhythmischen, zeitweise auch sanft poetischen Klängen und mitunter, so scheint es, die eigenen physischen Grenzen austestend, inszeniert die spanische Compania Maduixa mit „Mulier“ eine ausdrucksstarke und gefühlsmäßig berührende Hommage an alle Frauen, die gegen kulturellen Zwänge und gesellschaftliche Anpassung ankämpfen, um ihre wildesten Seiten zeigen zu dürfen. Am Ende der gut halbstündigen Tanzperformance applaudiert das Publikum begeistert.

„Radioaktives Kabarett“ ohne Worte

An der Ecke hinter der Schlosskirche ist „Erinnerungsbestatter“ Kai Berthold von der „Funus Memoriae GmbH & Co KG“ gerade damit beschäftigt, negative Erinnerungen eines „Kunden“ einzuäschern: Mit Hilfe seines patentierten „Memory-Erasing“-Verfahrens lässt er alle Sorgen einfach in Rauch aufgehen, um Platz für schöne Andenken zu schaffen. Vor seinem „Behandlungstisch“ hat sich bereits eine Schlange gebildet. Turbulenter geht es hinter dem Rathaus zu. Vier deformierte Wesen, eine Mischung aus Mensch und Tier, vollführen ein originelles „radioaktives Kabarett“ ohne Worte mit einer grotesken Mischung aus Musik, Puppenspiel, Magie und Akrobatik. „Tschernocircus“ nennt sich das Stück des französischen Quartetts „Les Goulus“. Ein Leckerbissen für Liebhaber des absurden Theaters.

Die Vogel-Dinos sind los

Doch dann geht es wie so oft an diesem Nachmittag. Kaum hat man sich auf etwas eingelassen, sind aus nächster Nähe verzückte Schreie zu hören und verlocken zum Weitergehen - zur nächsten Attraktion. In diesem Fall eine Art Wiedersehen mit Jurassic Park: drei kolossale Vogel-Dinosaurier sind zum Leben erwacht und stelzen durch die Menschenmassen. Dutzende Smartphones recken sich ihnen entgegen, knipsen und filmen, derweil die fünf Meter hohen Urviecher schrill-hallende Schreie ausstoßend und immer wieder scheinbar bedrohlich nach Köpfen pickend vorüber staksen. „Saurus“ ist ein niederländischer Walking Act von majestätischem Anblick.

Ein frecher Clown

Da plötzlich drängelt laut hupend ein dunkler Wagen durch die Menge, mit einem weißköpfigen Clown als „blindem Passagier“. Murmuyo heißt der freche Typ, wie sich herausstellt, und er kennt offenbar weder Regeln im Straßenverkehr noch anderswo. Murmuyo ist ein wahrhaft anarchischer Clown, der, wo er nur kann, provoziert. Und das auch noch zum größten Vergnügen seiner Zuschauer, denen er in seinem Stück „Fisura“ (Riss) gelebten Ungehorsam und geplanten Regelverstoß vorführt.

Tanzen für das Glücksgefühl

Doch man will ja noch mehr sehen. Also weiter, diesmal mitten rein in den Ehrenhof des Rastatter Schlosses. Wieder locken wummernde Rhythmen und orchestrale Klangwelten. Doch statt einer großen Bühne sind nur zwei Lautsprecherboxen zu sehen. Davor tanzt ein einzelner Mann in Sportkleidung. Aber wie! Der spanische Choreograf und Tänzer Quim Bigas bringt sein Publikum durch bloßes Vormachen zum (Mit-)Tänzeln. Sein Credo: Bewege deinen Körper und du bist glücklich. Und tatsächlich, es funktioniert. Zum Hit „Felicita“ werden Textzettel verteilt und alle singen und tanzen mit. Bevor Quim entschwindet, präsentiert er noch einen eigenen Song.

Fröhlicher Schabernack von Himmelsbewohnen

Das große Finale des Nachmittags bietet der Murgpark. Dort ist gerade das spanisch-niederländische Komiker-Duo Adrian Schvarzstein und Jaap Slagman bemüht, ein „Instant Paradise“ zu installieren. Dazu komplimentieren die beiden der Reihe nach ein Mädchen, zwei Frauen, deren männliche Begleiter, ein Paar und nochmal ein Mädchen aus den Zuschauerreihen in ihr nach dem Motto „Kitsch as Kitsch can“ eingerichtetes Wohnzimmer unter freiem Himmel. Die „Entführten“ machen gute Miene zum burlesken Spiel und werden dafür mit allerlei Leckerli belohnt, zugleich aber treiben es die beiden als Pagen kostümierten „Engel“ auch ganz schön bunt mit ihren Klienten. Dabei lautete ihr Auftrag doch eigentlich nur, neue Bewohner für den in jüngster Zeit immer mehr verwaisten Himmel zu finden. Doch alles endet glimpflich und, was am wichtigsten ist, das Publikum kommt dabei voll auf seine Kosten.

Bargäste in hellblauen Schubkarren

Man schaut sich um. Der kleine Murgpark ist eine Oase am Rand der Innenstadt. Auf den beiden Terrassen zwischen Pagode, Wasserturm, Einsiedelner Kapelle und der Badner Halle, Rastatts Veranstaltungshalle Nummer eins, sind erst vor zwei Jahren Rebstöcke gepflanzt worden, um eine barocke Tradition wiederzubeleben. An diesem Samstagnachmittag sorgen neben dem erwähnten Paradies-Theater ein weiteres Veranstaltungszelt und zwei Bars für Verweilatmosphäre. In einer Bar sitzen die Gäste gemütlich in hellblauen Schubkarren wie in Schalensitzen. Und wieder einmal bestätigt sich die Erfahrung: Erst solcherart fröhlich-gesellige Events ermöglichen es vielen Menschen, die Stadt auf neue Weise zu erleben und sich darin wohlzufühlen.

Ein radelnder Elefant als Plaudertasche

Schon im Begriff, den Heimweg anzutreten, begegnet den Besuchern noch eine seltsame Prozession. Angeführt wird sie – man höre und staune – von einem Elefant auf dem Dreirad. Ein Traube aus Kindern begleitet das leutselig plaudernde Rüsseltier auf seinem Weg durch den Park zum Murgufer, wo alle miteinander auf der Uferpromenade entschwinden. Erst bei genauem Hinsehen entdeckt man den bärtigen Herrn, der unauffällig im Tross mitläuft, die Hand stets an einem Joystick und nach Art der Bauchredner in sein fast unsichtbares Mikrofon murmelnd. Der von Matthias Trautmann virtuos belebte Elefant Jochen ist ein absoluter Liebling aller Kinder und Junggebliebenen.

Festival feiert Jubiläum

Das diesjährige tête-à-tête-Programm enthält viele französische Produktionen und erinnert damit an die Ursprünge des mittlerweile größten Straßentheaterfestivals in Deutschland, das vor 25 Jahren erstmals mit deutsch-französischem Schwerpunkt stattfand. Die beiden künstlerischen Leiterinnen Julia von Wild und Kathrin Bahr aus Bremen, die erst seit vergangenem Jahr für das Programm verantwortlich sind, betrachten das tête-à-tête als Plattform für innovatives Straßentheater, als künstlerischen Ideenpool und treiben seine internationale Vernetzung weiter voran. Das genreübergreifende Programm von Großproduktion bis Einzelbespielung bietet einen Einblick in die Vielfalt dessen, was aktuell in Europa für den Outdoor-Bereich produziert wird. Mit zwölf Deutschlandpremieren spricht die Veranstaltung neben zahlreichen Fachbesuchern aus ganz Europa ein breites Publikum an, begeistert Menschen verschiedener Kulturen und Altersstufen, zieht Einheimische ebenso an wie Straßentheaterfans aus ganz Deutschland und dem benachbarten Frankreich.

Alle Fotos: ch
Hier geht´s zum Festivalprogramm

Autor:

Chris Heinemann aus Bretten

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