Verein für Stadt- und Regionalgeschichte hebt literarischen Schatz
Für ein verständnisvolleres Miteinander: Die Lesegesellschaft Eintracht Bretten (1852-1940)

Die "Lesegesellschaft Eintracht" aus Bretten ca. 1929. | Foto: Stadtarchiv Bretten
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  • Die "Lesegesellschaft Eintracht" aus Bretten ca. 1929.
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Bretten (kn) Seit 30 Jahren fristete in den einst als Gefängnis genutzten Zellen des Brettener Amtsgerichtes ein bemerkenswerter literarischer Schatz von Büchern, Zeitschriften und Magazinen ein liebloses und unbeachtetes Dasein. Der Verein für Stadt- und Regionalgeschichte Bretten (VSRG) hat nun in enger Abstimmung mit dem Stadtarchiv diese rund 2.500 Bücher umfassende Bibliothek der Lesegesellschaft Eintracht geborgen, teilen Wolfgang Stoll, Vorsitzender des Vereins, und Alexander Kipphan, Leiter des Stadtarchivs Bretten, mit.

Erste Institutionen bürgerlicher Selbstorganisation

Zum Ende des 18. Jahrhunderts bildeten sich in vielen deutschen Städten Lesegesellschaften in vielfältiger Form. 1784 gründete sich die erste badische Lesegesellschaft in Karlsruhe, die sich 1808 in eine Museumsgesellschaft wandelte. Lesegesellschaften waren überhaupt die ersten Institutionen bürgerlicher Selbstorganisation, in denen sich die gebildeten und politisch aktiven Eliten zu literarischem wie politischem Meinungsaustausch und zur Diskussion versammelten. Es war eine rasante und wirkungsvolle Bewegung, die sich in Bretten allerdings erst nach der Badischen Revolution (1848/1849) im Jahre 1852 als Verein bildete.

Verein für gesellige Unterhaltung

Am 7. November 1852 kamen 82 Personen in Bretten zusammen, um die „Lesegesellschaft Eintracht“, einen Verein für gesellige Unterhaltung, ins Leben zu rufen. Darunter befanden sich „75 einheimische und sieben fremde“ Personen. Vertreten waren Richter, leitende Beamte, Pfarrer, Ärzte, Kaufleute, Handwerker und Unternehmer, darunter auch drei jüdische Kaufleute. Die Vereinsgründung fiel in die Zeit der staatspolitischen Reaktion, die von der gerichtlichen Verfolgung und Aburteilung der gescheiterten Revolutionäre und ihrer Unterstützer geprägt war. Die Vereinschronik der Lesegesellschaft nimmt explizit Bezug auf das Misstrauen zwischen Staat und Bürgertum und der Stände unter sich. Durch wöchentliche gesellige Unterhaltung, eingehender Orientierung in politischen Fragen, durch Zeitungslektüre und wöchentliche Bücherausgabe aus der Vereinsbibliothek sollte zu einem verständnisvolleren Miteinander beigetragen werden.

Buntes Freizeitprogramm

Neben den wöchentlichen Zusammenkünften organisierte die Lesegesellschaft Konzerte, Lichtbildervorträge, Theatervorführungen, Maskenbälle, Puppentheater und Kinderfeste. Im Sommer wurden Wanderungen und Ausflüge unternommen, im Winter gab es Tanzteekränzchen, bei denen auch mal die neuesten Tanzschritte einstudiert wurden. Schon ab 1902 durften nicht nur verwitwete oder selbstständige Frauen Mitglied werden, vielmehr waren auch ledige Frauen willkommen.

Viele Zeitschriften und Magazine aus den 20er Jahren

Die Bibliothek der Lesegesellschaft wuchs auf mehr als 2.500 Titel, die von einem Bibliothekar gepflegt und betreut wurden. Die Mitglieder konnten sich samstags zwei bis drei Bücher ausleihen und vorab aus einem gedruckten Verzeichnis ihre Titel auswählen. Der Bestand umfasst im wesentlichen Belletristik, schöne Literatur, darunter gesammelte Werke der Weimarer Klassik, Gedichte und Dramen, Romane, Erzählungen, Novellen und Humoristisches internationaler Autoren. Nicht mehr benutzte Bestände wurden versteigert, um Platz für Neuheiten zu schaffen. Nach 1924 wurden die Bestände durch Jugendschriften, Geschichtsbände, Reisebeschreibungen, Kunst, Naturwissenschaften, Technik, Kriegsliteratur sowie Zeitschriften und Magazine erweitert.

Verein wurde 1940 aufgelöst

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde der bürgerliche Verein mehr und mehr durch die Nazi-Ideologie unterwandert und der Bücherbestand „arisiert“. Eine ideologiefreie Vereinsarbeit war nicht mehr möglich, sodass ab 1933 die Vereinsarbeit infolge von Austritten und Differenzen erlahmte. Die Auflösung zum 1. Januar 1940 war die Folge. Unter der Obhut des langjährigen Bibliothekars Otto Beuttenmüller wurde die Bibliothek im Melanchthonhaus untergebracht. Aus Platzmangel musste sie 1987 ins Pumphaus in der Luisenstraße verlagert werden, bis sie 1991 im Keller des Amtsgebäudes abgestellt wurde.

Verein freut sich über Resonanz

Nach einer gründlichen Bestandsaufnahme muss über die angemessene Lagerung und Nutzung dieses literarischen Schatzes entschieden werden, heißt es vom Verein für Stadtgeschichte. Da es über die Geschichte der Brettener Lesegesellschaft bislang keine Veröffentlichungen gibt, obgleich dem Verein viele Brettener Honoratioren angehörten, bietet sich viel Platz für Forschungen. Verein und Stadtarchiv freuen sich, wenn sich dazu aus der Bevölkerung Hinweise und Materialien finden ließen. kn

Kontakt: Verein für Stadt- und Regionalgeschichte Bretten, Telefon 07252/36 36 und E-Mail  vsrg-bretten@t-online.de

Autor:

Katrin Gerweck aus Bretten

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