Europäischer Tag der jüdischen Kultur
Viele interessierte Besucher bei der Führung am Marktplatz

Die Führung beginnt mit dem sehr weiten Rücklick in die Vergangenheit.
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  • Die Führung beginnt mit dem sehr weiten Rücklick in die Vergangenheit.
  • hochgeladen von Heidemarie Leins

Der Europäische Tag der jüdischen Kultur wird in mehr als 30 Länder begangen.
Das Thema in diesem Jahr hieß „Erinnern“. Und das Erinnern in Bretten fand auf dem Marktplatz statt. Viele Besucher fanden sich ein, um das Erinnern gemeinsam mit Heidi Leins zu tun. Sie bereitete sich auf die Häuser am Marktplatz vor, die vor dem 2. Weltkrieg in jüdischem Besitz waren.
Aber ohne einen Griff in die Vergangenheit ist die Nazizeit auch nicht zu verstehen. So berichtete sie vom Edikt des Kaisers Konstantin im Jahr 321, das den Juden Siedlungs- und Religionsfreiheit brachte. Solche Versprechungen hielten nicht lange, denn die Massaker an der jüdischen Bevölkerung ziehen sich durch die Jahrhunderte und enden mit dem Massenmord des 3. Reiches.

In Bretten gibt es schon seit dem 13. Jhdt. jüdische Mitbürger. Um 1800 waren es 28 Familien. Da war dann die Synagoge 1822 eine notwendige Einrichtung, der 1829 die Schule folgte und 1884 der eigene Friedhof. Die Infrastrukturen waren gegeben. Zehn Viehmärkte, vier Jahrmärkte sowie der zweite Wochenmarkt seit 1813 waren der Garant für ein gutes Einkommen.

Seit 1809 haben die jüdischen Familien erbliche Familiennamen zu tragen. Wohlklingende Namen wurden oft mit etwas nachhelfendem Geld vergeben. Wahrscheinlich hatte die Familie Kochlöffel kein Geld. Sonst wäre nicht dieser kuriose Name vergeben worden.

Das schönste Haus am Marktplatz ist die ehemalige Gastwirtschaft „Zur Blume“, die schon 1864 von Max Ettlinger gegründet wurde. Das war nur möglich, weil sein Vater ihm die Schildgerechtigkeit des Gasthauses „Engel“ übergab. Bis ins Jahr 1937 blieb sie im Besitz der Ettlingers. Louis Ettlinger war der letzte Eigentümer. Aufgrund der vielen Repressalien, es konnte ja nicht mehr geschlachtet werden, und einer kranken Frau überlegte er, zu verpachten. Doch dann bot sich Ferdinand Leonhardt als Käufer an. Der ehemalige Pfälzer-Hof-Wirt verkaufte aber schon nach zwei Jahren an Albert Zipperer. Er verlagerte sein Geschäft von der Weißhofer Straße auf den Marktplatz. Und was geschah mit Louis Ettlinger? Er zog in die Zähringerstraße. Mit dabei war auch Johanna Heli, die seine Frau pflegte. Seine Frau starb 1939. Daraufhin plante er die Auswanderung zu seiner Tochter nach Argentinien. Er hatte schon alles gerichtet, versiegeltes Umzugsgut bei der Spedition. Doch es fehlten ihm noch etwas an Papieren, die er in Karlsruhe holen wollte. Das war am 22. Oktober 1940. Er wurde verhaftet und nur mit dem, was er auf dem Leib hatte, nach Gurs deportiert. Damit begann eine sechsjährige Leidenszeit, ehe er auswandern konnte. Die Blume wurde damals unter Wert verkauft, so dass die Eigentümer im Wege der Wiedergutmachung einen Ausgleich schaffen mussten.
Johanna Heli gehörte zu den aus Bretten deportierten Mitbürgern. Gurs und Rivesaltes waren ihre Lagerstationen. Von Drancy/Paris mit dem Convoi 14 fuhr auch sie in den sicheren Tod, nach Auschwitz.

Das heutige Melanchthonhaus hatte einen Vorgängerbau, und der gehörte zwei Eigentümern. Im westlichen Teil hatte der Bäcker Isaak Ettlinger sein Geschäft. Seinem Sohn Ephraim schenkte er diesen Teil zur Hochzeit. Doch als die Gottesackermühle im Januar 1890 brannte, wurde Ephraim als Feuerwehrmann durch einen brennenden Balken tödlich verletzt. Die sechs Monate alte Tochter erbte nach dem Vater. Seine Frau heiratete 1891 Levi Dreifuß aus Diedelsheim und so wurde er auch Vormund von Sophie. Der Landhandel lief gut an dieser zentralen Lage. Aber im Hintergrund wurden schon Pläne geschmiedet, das Haus in die Hände der Stadt zu bringen, um ein Museum zu bauen. Dreifuß sagte, wenn ich ein gleichwertiges Haus mit guter Geschäftslage angeboten bekomme, dann verkaufe ich für mein Mündel, sonst nicht. Die Presse nahm kein Blatt vor den Mund und holte aus den antisemitischen Schubladen alle Vorurteile und Schmähungen heraus. „Die Stätte ist entweiht durch die Anwesenheit eines Juden“, war noch vergleichsweise harmlos. 1897 verkaufte Dreifuß dann, denn am Marktplatz 14 stand ein für ihn akzeptables Haus zum Verkauf, ein ursprünglich jüdisches Haus, das der Sattler Freund von den vier Kindern des Marx Nathan Veis abgekauft hatte. Er starb nach zwei Jahren und seine Tochter suchte einen Käufer. Das war nun Levi Dreifuß, der 1897 mit seiner Frau, dem Mündel Sophie und den drei Söhnen weiter auf den Marktplatz zog. 1907 starb Dreifuß mit 43 Jahren und 1910 sie mit 42 Jahren. Der jüngste von mittlerweile fünf Buben war 9 Jahre alt. Von ihnen ist nichts bekannt, aber Sophie wurde zusammen mit ihrem Mann von Mannheim aus nach Gurs deportiert und bei der großen Razzia in Frankreich 1944 wurde sie doch noch aufgegriffen und mit dem Convoi 74 zur Ermordung nach Auschwitz geschickt.
Das Haus hatte Lina Dreifuß kurz vor ihrem Tod an den Konditor Hößle verkauft, der es innen und außen zu einem Cafè umbauen ließ. 1938 kaufte der Konditor Gauss das Anwesen und baute wiederum um. Die Familie Gauss ist nach wie vor der Eigentümer.

Das sind nur zwei von mehreren Häusern am Marktplatz, bei deren wechselvoller Geschichte jüdische Eigentümer eine wichtige Rolle spielten. Zum Schluss der Führung widmete Leins noch das Gedenken an die Deportation im Jahr 1940. Vom Marktplatz wurden die letzten in Bretten lebenden Juden im Lastwagen "nach unbekannt abtransportiert".

Eine große Freude ist es für Heidi Leins, wenn nach der Führung Besucher z. B. berichten, dass man bei Zipperers Konditor lernte oder die Großmutter bei Ettlingers in Stellung war.

Autor:

Heidemarie Leins aus Bretten

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