Die Auswirkungen von Brexit, Strafzöllen und industriellem Wandel sind auch in der Lebenshilfe Bruchsal-Bretten spürbar
Behinderten-Werkstätten bangen um Aufträge

Noch ist die Auftragslage gut: Aber auch die Lebenshilfe -Werkstätten - hier in der Brettener Hildastraße - sind von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängig. | Foto: ch
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BRETTEN (ch) In der Lebenshilfe-Werkstatt in der Brettener Hildastraße herrscht eine fröhliche, gelöste Atmosphäre. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Handicap sitzen in Gruppen um Tische herum und sind in die Vormontage von Haltegriffen für Pkw-Insassen vertieft. Kleine Gummidämpfer werden mit Hand in die Aussparungen für die Griffgelenke eingeschoben und mit einem Stopfstock angedrückt. Einfache Arbeiten, die in der Werkstatt jedoch hochgeschätzt sind.

Serielle Arbeit gesucht

„Wir brauchen für Mitarbeiter mit höherem Unterstützungsbedarf immer wiederkehrende Beschäftigungsmuster“, sagt Norbert Sebold, der als Technischer Leiter aller Werkstätten der Lebenshilfe Bruchsal-Bretten für Produktion und Dienstleistungen zuständig ist. Die gemeinnützige Organisation im nördlichen Landkreis Karlsruhe verfügt an den Standorten Bruchsal, Bretten und Graben-Neudorf über jeweils zwei Werkstätten mit etwa 650 Menschen mit Behinderungen. Gerade ihre Einfachheit und die in festen Abläufen stattfindenden Tätigkeiten machten die Arbeiten für diese Zielgruppe pädagogisch so wertvoll, sagt Norbert Sebold.

Angreifbares Glied in der Kette

Mit gewisser Beunruhigung verfolgt er schon seit geraumer Zeit die Nachrichten zur allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Entwicklung in Deutschland, Europa und der Welt. Seine Sorge werde auch nicht gemindert durch das, was ihm Vertreter von den großen Firmen ganz direkt sagen, meint Sebold: Wegen der wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten rund um Brexit und Strafzölle hält sich derzeit die Industrie mit geplanten Investitionen zurück. „Und die ersten, die es zu spüren kriegen, sind die Leiharbeiter und verlängerten Werkbänke wie wir.“ Kollegen von Werkstätten anderer Träger, die stärker für Autozulieferer arbeiten, berichten ihm von ihren Sorgen angesichts rückläufiger Aufträge infolge des Wandels in der Autoindustrie. Denn, so Sebold: „Bei wachsenden Anforderungen und Preisdruck können die Werkstätten nur selten mithalten.“

Auftragslage noch gut

Soweit ist es bei der Lebenshilfe Bruchsal-Bretten noch nicht. Noch ist die Auftragslage gut, die übliche Auftragsflaute im August fiel dieses Jahr sogar aus. „Wir haben uns in den letzten Jahren allmählich aus dem Automotive-Bereich zurückgezogen“, sagt der Technische Leiter. Im Moment habe man aus diesem Bereich mit einer Firma nur noch einen Top-Kunden. Diesen aber wolle die Lebenshilfe Bruchsal-Bretten im Interesse ihrer Mitarbeiter mit höherem Unterstützungsbedarf „unbedingt halten“. Bis Jahresende werde sich der Automotive-Anteil an den Aufträgen auf etwa zehn Prozent belaufen, schätzt er.

Abhängigkeit verringert

Um die Abhängigkeit von bestimmten Branchen zu verringern, hat sich die Lebenshilfe in den letzten Jahren breiter aufgestellt. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch eine in den vergangenen drei bis vier Jahren deutlich angewachsene Nachfrage nach Dienstleistungen. „Vor fünf Jahren waren wir noch sehr produktionslastig“, räumt Norbert Sebold ein. Doch mit 70 Prozent stellen die Auftragsanfragen aus den Bereichen Produktion, Montage, Verpackung sowie dem Bereich Metall-Holz-Textil nach wie vor den Löwenanteil, auch wenn die Dienstleistungen auf 30 Prozent zulegen konnten.

Zuwachs bei Dienstleistungen

Mittlerweile betreffe jede dritte Auftragsanfrage eine Dienstleistung aus den Bereichen Garten- und Landschaftsbau, Catering, Elektrogeräte-Prüfung, Wäscherei, Druckerei und Daten-Archivierung, berichtet der Technische Leiter. Allerdings bedeuten mehr Dienstleistungsaufträge bisher nicht automatisch mehr Krisenfestigkeit. Denn etliche dieser Aufträge sind sozusagen Zweitaufträge von bestehenden Auftraggebern aus dem produzierenden Gewerbe. Neben einer Ausweitung der Dienstleistungen böten Eigenproduktionen die Chance zu mehr Unabhängigkeit.

Ziel: mehr Eigenproduktion

Zum Beispiel ist die Lebenshilfe sehr erfolgreich mit dem Upcycling von ausgedienten Werbebannern zu Taschen, die unter anderen von Baumärkten oder dem DFB-Fanclub in Auftrag gegeben werden. Mit knapp fünf Prozent des Produktionsbereichs tragen laut Sebold Eigenproduktionen jedoch bislang nur sehr wenig zum gesamten Auftragsvolumen bei. Auch diesen Bereich versuche man auszuweiten, zum Beispiel mit Accessoires gemäß dem Trend „Rettet die Singvögel“. Doch die spezifischen Fähigkeiten der Mitarbeiter setzen solchen Bemühungen teils auch bestimmte Grenzen. Fazit des Technischen Leiters: „An eine wirksame Strategie zur langfristigen Auftragssicherung tasten wir uns noch heran.“

Autor:

Chris Heinemann aus Bretten

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