Interview mit dem Brettener Architekten Marcus Weiss zu Bauvorhaben der Stadt und zum Umgang mit Baukultur
Mehr Transparenz und Fachmeinung

Im Vordergrund der Sporgassenparkplatz, im Hintergrund das Gebäudeensemble der ehemaligen Bäckerei Böckle. Beides sind Anlass für architektonische Diskussionen. ger
  • Im Vordergrund der Sporgassenparkplatz, im Hintergrund das Gebäudeensemble der ehemaligen Bäckerei Böckle. Beides sind Anlass für architektonische Diskussionen. ger
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Bretten (swiz) Der Brettener Architekt Marcus Weiss, Vertreter der Architektenkammer und Mitglied der Kammergruppe Karlsruhe-Land, mahnt schon lange eine intensivere Beschäftigung und Auseinandersetzung mit der Baukultur Brettens an. Im Gespräch mit Brettener Woche-Redaktionsleiter Christian Schweizer spricht Weiss unter anderem über die geplanten Projekte auf der Sporgasse sowie den geplanten Abriss von alten Gebäuden in der Melanchthonstadt.

Herr Weiss, das Projekt Melanchthonhöhe hat in Bretten für viel Aufregung und kritische Wortmeldungen gesorgt. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung des Projekts?
Als Architektenkammer Baden-Württemberg (AKBW) haben wir uns zu den Möglichkeiten geäußert und uns eingebracht. Wichtig ist, dass die Stadt und der Gemeinderat grundsätzlich über die Umsetzung zu entscheiden und entsprechende Einflussmöglichkeiten haben.

Die da wären?
Da es für dieses Gebäudeensemble kein Baurecht gibt, kann man im weiteren Prozess durchaus auf eine tiefergreifende Ausarbeitung und Analyse, auch durch Mehrfachbeauftragungen und Einbeziehung von Fachleuten, zum Beispiel einem Gestaltungsbeirat der AKBW bestehen. Letztendlich steht man aber ganz am Anfang einer Entwicklung mit noch offenem Ausgang.

Ein weiterer städtebaulicher Dauerbrenner in Bretten ist die Bebauung der Sporgasse. Wie sehen Sie dort die Entwicklung?
Die Brettener Woche berichtete ja vor kurzem über die (wohl) nicht vorhandenen Verträge mit den Nutzern des Objekts Sporgasse I/Ärztehaus. Sollte dies, also das Ärztehaus mit Nebennutzungen nicht zur Realisierung kommen, muss man die Gesamtentwicklung Sporgasse in Frage stellen.

Schon wieder?
Meiner Meinung nach ist das angebracht. Zuletzt wurde von einem beauftragten Büro ein städtebaulicher Entwurf erarbeitet, der dem Gemeinderat vorgelegt wurde. Ohne öffentliche Beteiligung und Transparenz wird es aber schwerfallen, eine gesamtheitlich akzeptierte innerstädtische Entwicklung umzusetzen. Ohne alternative Ideen und städtebauliche Varianten fehlen die Breite und die Tiefe, die diese zentrale Entwicklungschance bietet und verdient.

Was schlagen sie vor?
'Vorschlag', das würde so wirken, als ob man ein Besserwisser wäre. Als Architektenkammer können wir intensiv einen erfolgreichen Entwicklungsprozess aufbauen, gestalten und begleiten. Scheitert die aktuelle Bebauung auf Baufeld Eins der Sporgasse, bietet sich ein Neustart an. Zielführend wäre eine Vergabe nach Konzeptqualität. Das heißt, eine Fachkommission entwickelt mit der Stadt die Themen, die von Architektur/Stadtplanungsbüros in einem offenen Verfahren auf dem Gelände in einer ersten Konzeption umgesetzt werden sollen. Konzeptvergaben sind ein zunehmend erfolgreiches Verfahren, das viele Beteiligte einbindet und offen und transparent mit einer Bauaufgabe umgeht. Da möchte ich zum Beispiel auf eine ähnliche Vorgehensweise in Mannheim verweisen. Dort wurden seitens der Stadt Themen wie 'Soziale Durchmischung', 'Inklusion', 'Freiraum und Urbanität', 'Städtebau und Architektur' sowie 'Energie und Mobilität' vorgegeben. Sinnvoll wäre für Bretten nach der langen öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Standort eine mehrstufige Vorgehensweise. In einer ersten Stufe könnten sich Büros damit auseinandersetzen, dann könnte man diese Ergebnisse öffentlich ausstellen, diskutieren und in einer zweiten Stufe abstimmen lassen, ein Meinungsbild einholen.

Sind die Bürger denn fachlich dazu in der Lage?
Warum nicht? Es geht zu dem Zeitpunkt nicht um Gestaltung, wirtschaftliche Faktoren, sondern nur um gesellschaftliche Akzeptanz. Und in einem dritten Schritt könnte mit Begleitung der AKBW und der Fachkommission eine Auswahl von vielleicht drei Büros erfolgen, die dann mit einer Studie oder einem Vorentwurf beauftragt würden. Die Ergebnisse werden dann von der Fachkommission bewertet und der Stadt und dem Gemeinderat präsentiert. Inhaltlich könnten da auch wirtschaftliche Komponenten einfließen. Also die Art der Bauherrenschaft: Investoren, Baugruppen, Baugemeinschaften oder Genossenschaften. Die Entscheidung liegt dann ganz am Ende beim Gemeinderat der Stadt Bretten.

Aber dauert diese Vorgehensweise nicht viel zu lange?
Das dauert die Zeit, die es für einen vernünftigen Prozess benötigt. Ebenso bietet es doch die noch nie genutzte Chance, auch den Gemeinderat intensiv mitzunehmen. Damit nach einem ein- oder mehrjährigen Prozess jedem Mitglied auch eine inhaltliche, fachlich fundierte Grundlage geboten wird, damit über die Zukunft der innerstädtischen Entwicklung nachhaltig entschieden werden kann. Das kam, prozessbedingt, bisher immer wieder zu kurz. Wünschenswert und zielführend wäre es doch, wenn die Bürger transparent informiert würden und der Gemeinderat von Fachleuten beraten würde. Zudem muss er die notwendige Zeit bereitgestellt und die Inhalte dargelegt bekommen, um diese schwierige Entscheidung zu treffen. Grundlage ist natürlich, dass sowohl seitens des Gemeinderats wie auch der Verwaltung externe, objektive Hilfe zugelassen wird.

Braucht Bretten an dem Standort auch eine Mediathek?
Braucht es die überhaupt? Vielleicht wird die Bezeichnung Mediathek überbewertet. Es geht doch vorrangig um die Funktion der Bibliothek. Für Jung und Alt. Das haptische Erlebnis anbieten, ein Buch in Händen zu halten, sich bewusst zu informieren. Wer im Jahr 2020 eine Information benötigt, hat die in kürzester Zeit auf dem Smartphone oder dem Computer griffbereit, sich aber möglicherweise nicht bewusst damit befasst. Um ihre Frage zu beantworten: Wenn ein Konzept eine Bibliothek vorsieht, warum nicht?

Eine abschließende Frage noch zur weiterführenden Bebauung an der Sporgasse. Wie sehen Sie die Pläne zum Abriss des Gebäudes Böckle? Das Denkmalamt hat ja sein Einverständnis gegeben.
Das sehe ich kritisch und differenziert. Zur Korrektur: Das Denkmalamt hat lediglich den Denkmalschutzstatus aufgehoben. Das hat leider Gründe. Das bedeutet aber nicht, dass die Fassade/das Gebäude im Sinne des Stadtbildes nicht erhaltenswert wäre. Zumal man dort das gesamte Ensemble aus den im städtischen Besitz befindlichen Gebäuden und den benachbarten unter Denkmalschutz stehenden Gebäude in erster und zweiter Reihe und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten sehen muss.

Aber der Straßenverlauf könnte doch für den Verkehr verbreitert werden, wenn man das Gebäude abbricht.
Das ist die bauliche Fortführung der 70er Jahre Politik der Schneisen, des 'Innerstädtischen Rings', die den Autoverkehr an oberste Stelle stellt und die Belange der Fußgänger und des Stadtbildes und damit der Stadtentwicklung hintanstellt. Dass 40 bis 50 Jahre nach dem teilweise desaströsen Zerstören von Gebäuden und Gassen wieder mit genau der gleichen Argumentation gearbeitet wird, muss einen als Bürger sehr nachdenklich stimmen und aufmerksam machen.

Wünschen sie sich denn dann die Rekonstruktion von Gebäuden oder einen modernen Umgang mit der Substanz?
Diese Frage ist nicht linear zu beantworten. Wo es möglich ist, da ist es erstrebenswert, die Gebäude bauhistorisch und denkmalgerecht zu sanieren und zu rekonstruieren. Bei manchen Gebäuden wird man auf einem Grundstück Raum für einen modernen, zeitgenössischen Anbau haben oder aber rekonstruktiv ergänzen können. Es gibt viele Beispiele, wie auch das Zusammenspiel von moderner Architektur und historischer Bausubstanz gelingen kann. Ein Blick in unsere Partnerstadt Wittenberg zeigt, was möglich ist. Jede Baumaßnahme mit solch bedeutenden Gebäuden verlangt eine exakte, professionelle Analyse und das kritische Auseinandersetzen mit dem Bestand. Und die Bereitschaft, die objektive und professionelle Meinung von Architekten und Denkmalpflegern anzuerkennen. Kitsch und Fantasiebauwerke und -umbauten sind kontraproduktiv.

Spielen Sie auf bestimmte Gebäude an?
Das ist etwas für eine Kolumne (lacht).

Autor:

Christian Schweizer aus Bretten

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