"Stadtplanung hört nie auf"
Oberbügermeister Martin Wolff im Jahres-Interview

Oberbürgermeister Martin Wolff | Foto: Ellen Reinold
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Im Gespräch mit Redaktionsleiterin Katrin Gerweck blickt Martin Wolff zurück auf 2023 und auf die anstehenden Herausforderungen in Bretten.

Die Zeiten sind schon lange nicht mehr so unbeschwert, wie sie mal waren. Daher zum Einstieg die Frage: Was war für Sie 2023 das Highlight in Bretten?
Martin Wolff: Das Highlight war für mich absolut das Peter-und-Paul-Fest. Es war so schön harmonisch, wie ich es selten erlebt habe. Das Wetter war gut, die Stimmung war gut, es hat alles zusammengepasst.

Und worauf freuen Sie sich im nächsten Jahr?
Auch auf das Peter-und-Paul-Fest (lacht). Außerdem hoffe ich, dass die gute Entwicklung der Stadt, auch im kulturellen Bereich, anhält. Ich freue mich auf den Kultursommer vor dem Rathaus und auf den Abschluss der Arbeiten am Bronnerbau des Melanchthon-Gymnasiums voraussichtlich zum Beginn des Schuljahrs 2024/25. Gegen Ende des Jahres wird, wenn alles nach Plan läuft, auch das Gesundheitszentrum auf der Sporgasse fertig sein, das ja schon deutlich Gestalt annimmt.

Das bringt uns gleich zum nächsten Thema: Auch die medizinische Versorgung hat schon bessere Zeiten gesehen.
Ich bin froh, dass wir ein neues Krankenhaus in Bretten haben mit einem hervorragenden medizinischen Angebot, von dem ich mich gerade erst selbst überzeugen durfte, als ich ein neues Knie bekommen habe. Es wird noch um eine Sterilisationseinheit [zur Aufbereitung und Sterilisation von verschmutztem und mikrobiell kontaminiertem Material aus verschiedenen Bereichen der Klinik; Anmerkung der Redaktion] ergänzt und auf dem Gelände, das dem Landkreis gehört, entstehen Wohnungen, betreutes Wohnen und ein Ärztehaus, letzteres unter der Regie der Südbau.
Die Entwicklung im Hausärztebereich sehe ich mit Sorge, nachdem gerade zwei Praxen geschlossen haben. Wir liegen aber genau richtig mit dem Bau des Gesundheitszentrums und der Gründung des Medizinischen Versorgungszentrums mit den Kinderärzten Dr. Gelb und Dr. Knecht. Obwohl die Stadt originär nicht zuständig ist für die ärztliche Versorgung – denn die liegt eigentlich bei der Kassenärztlichen Vereinigung, die hier aber der Entwicklung hinterherhinkt, - sehen wir die Not und versuchen, unser Möglichstes zu tun.

Werden in das Gesundheitszentrum auf der Sporgasse auch neue Ärzte einziehen?
Ja, die Tinte ist noch nicht trocken bei den Verträgen, aber dort sind auch neue Ärzte im allgemeinmedizinischen Bereich angedacht. Es ist ja noch nicht so lange her, dass wir auch die Hausarztpraxis in Diedelsheim „gerettet“ haben, das lag auch an der Stadt, dass die Übergabe so funktioniert hat.

Die Flüchtlingsunterbringung ist in vielen Kommunen an ihre Grenzen gelangt. Wie sieht es in Bretten aus?
Derzeit sind in Bretten rund 630 Flüchtlinge untergebracht, davon 400 im Rahmen der Anschlussunterbringung der Stadt, dazu gehören auch 38 von der Stadt angemietete Wohnungen. Mit dem Bau von zwei Flüchtlingsheimen haben wir schon große Anstrengungen unternommen. Von den 400 Flüchtlingen kommen 196 aus der Ukraine, 61 aus Syrien und 55 aus Afghanistan. 43 Prozent sind Männer, 27 Prozent Frauen und 30 Prozent Kinder.
So viele Geflüchtete wie 2023 kamen noch nie, auch nicht in den Jahren 2015 und 2016. Wir haben allein in diesem Jahr 198 Personen aufgenommen. Das ist eine sehr große Herausforderung, bei der wir mit allen Kommunen in einem Boot sitzen. Wenn es so weitergeht, können wir die Leute nicht mehr in Wohnungen unterbringen und überlegen daher, ob wir noch irgendwo Container aufstellen können, bevor Sporthallen in Anspruch genommen werden müssten. Geld allein, das wir womöglich von Bund und Land erhalten, schafft noch keinen neuen Wohnraum.
Ein restriktiverer Umgang, wie er jetzt in Frankreich umgesetzt wird, muss von der großen Politik diskutiert werden. Es kommen immer noch zu viele, die keinen Flüchtlingsgrund im Sinne des Grundgesetzes haben. Die Verfahren müssen dringend schneller laufen, auch damit diejenigen die volle Aufmerksamkeit bekommen, die einen Asylgrund haben. Auf der anderen Seite sollte ein Spurwechsel für Bleibewillige möglich sein, die sich in die Arbeitswelt integrieren. Jetzt werden sie abgeschoben und können dann wieder kommen als Zuwanderer, die Verfahren dauern ewig. Dabei hängt vieles auch von den Sprachkenntnissen ab. Ich bin den vielen Ehrenamtlichen dankbar, die den Geflüchteten die Integration erleichtern. Eine Willkommenskultur ist gut und schön, aber was wir wirklich brauchen, ist eine Aufenthaltskultur.

Wie blicken Sie auf die Kommunalwahlen im nächsten Jahr?
Ich bin gespannt. Mit Sorge sehe ich, dass die AfD, die ja teilweise nicht ohne Grund vom Verfassungsschutz beobachtet wird, in manchen Gegenden auf dem Vormarsch ist. Eine gute Demokratie muss allerdings auch Randbereiche aushalten; wir haben schon die Republikaner überstanden, aber über das Erstarken der AfD mache ich mir weitaus mehr Gedanken. Ich glaube, wir müssen den Menschen noch mehr erklären, was unsere Demokratie und unser Wertesystem wert ist, das wir seit Bestehen der Bundesrepublik erschaffen haben. Ängste zu verbreiten war nie ein guter Ratgeber. Wir sind alle gemeinsam aufgefordert, an unserer Demokratie weiterzuarbeiten. Dazu gehört auch, die Eigenverantwortung wieder zu stärken, die aus meiner Sicht in den vergangenen Jahren leider stark zurückgegangen ist.

Der Gemeinderat in Bretten ist für seine kontroversen Diskussionen bekannt. Hoffen Sie, dass es künftig etwas harmonischer wird?
Ein breites Spektrum an Meinungen gehört in einem Gemeinderat dazu, letztendlich entscheidet die Mehrheit. Ich wünsche mir, dass diejenigen, die demokratischen Prozessen unterliegen, die getroffenen Entscheidungen auch akzeptieren und nicht durch irgendwelche Hintertürchen ihre Meinungen durchzudrücken versuchen. Außerdem hoffe ich auf ein gutes Miteinander, dass wir eine gute Diskussionskultur haben werden und gemeinsam immer um die beste Lösung ringen für die Stadt und die Bürgerschaft. Ganz im Sinne unseres Mottos zum Reformations-Jubiläum: Zum Dialog gehört der Disput, der zur Erneuerung führt.

Die Verkehrsführung in Bretten gleicht wegen all der Baustellen gerade einem Labyrinth. Die Pforzheimer Straße wird nach ihrer Umgestaltung eine Fahrradstraße sein, was die Situation nicht verbessern wird. Ist das Absicht?
Wir haben ja schon vor Jahren den Teil der Bundesstraße 293 zur Stadtstraße gemacht, der über die Weißhofer- und Pforzheimer Straße führte, was diese Straßen insbesondere vom Schwerverkehr entlastet hat. Die überörtliche Strecke nach Pforzheim beziehungsweise Heilbronn führt seitdem über den Alexanderplatz sowie die Melanchthon- und die Wilhelmsstraße. Diesen Prozess, die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt zu erhöhen, setzen wir mit dem Umbau der Pforzheimer- und Weißhofer Straße konsequent fort. Natürlich wird man auch nach dem Umbau noch durch diesen Bereich mit dem Auto fahren dürfen. Im Idealfall betrifft dies aber ausschließlich den innerörtlichen Verkehr, um Raum für die anderen Verkehrsarten zu schaffen.

Und wenn die Wilhelmstraße im Zuge der Gartenschau in jede Richtung nur noch einspurig ist?
Es wird nur die Aufweitung entlang des Brühlgrabens zurückgenommen, nur dort ist die Wilhelmstraße jeweils zweispurig. Ich denke, das wird verschmerzbar sein. Aber natürlich ist es wichtig, dass die Umgehungsstraße für Bretten kommt. Ich hoffe, dass das Regierungspräsidium dafür bald die nächsten Schritte verkünden kann und das Planfeststellungsverfahren kommt. Dabei geht es auch um die Lebensqualität in der Stadt.
Grundsätzlich bin um jede Baustelle froh, denn im Grunde wird dort entweder etwas erneuert oder zum Positiven verändert. Eine Stadt steckt permanent in einem Erneuerungsprozess, Stadtplanung hört nie auf, auch wenn ich verstehe, dass zunächst einmal jede Baustelle mit Einschränkungen verbunden ist.

Die Bürgerschaft fragt sich, wann es endlich mit den Vorbereitungen für die Gartenschau losgeht?
Die Vorbereitungen haben schon lange begonnen – für die Gartenschau muss viel interne Vorarbeit geleistet werden: Von der Abgrenzung der Grundstücke, die wir brauchen, über den Rahmenplan, der fast fertig ist, bis hin zu Grundstücksverhandlungen. Im nächsten Jahr werden wir die Bürger am Prozess beteiligen.
Alle zwei Wochen haben wir einen internen Jour fixe mit mir, Bürgermeister Nöltner, den Amtsleitern der beteiligten Ämter und der Firma Gänßle + Hehr, die schon die Machbarkeitsstudie erstellt hat. Als nächstes stehen Fördergespräche mit dem Regierungspräsidium an. Auch sind wir im Austausch mit Städten, die schon eine Gartenschau hatten, zuletzt mit Balingen, was uns viel Erkenntnisgewinn bringt.
Um mit den Bürgern in die Diskussion zu kommen, braucht der Rahmenplan eine gewisse Reife. Im Übrigen rühren viele Projekte schon von Bürgerideen aus dem Stadtentwicklungskonzept her.

Wie stellen Sie es sich dann vor, wenn Sie 2031 durch die Stadt spazieren?

Als Pensionär werde ich mich freuen, wenn von der aktuellen Planung viel umgesetzt wurde. Die Gartenschau ist wie ein Sechser im Lotto für die Stadtentwicklung. Sie beschleunigt vieles und bei den zu erwartenden Kosten, die noch nicht umfänglich konkretisierbar sind, wird der Mehrwert für die Stadt und die Bürgerinnen und Bürger ein Vielfaches sein. Die Gartenschau soll nachhaltig und klimaschutzorientiert sein, der Umbau der Pforzheimer und Weißhofer Straße ist bereits ein erster Schritt.

Was sind derzeit die drängendsten Probleme in der Stadt?
Das Schulgebäude in Diedelsheim wird eine Herausforderung. Ich hoffe, dass die Jahnhalle mit neuen Räumen für die Hebelschule noch 2024 fertig wird. Weiter investieren wir in die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger mit Hochwasserschutz und Feuerwehr. Ein Riesenproblem ist der Mangel an Arbeitskräften. Die Kommunen kannibalisieren sich gegenseitig und Bretten liegt zwischen Pforzheim, Karlsruhe und Heilbronn in einem Spannungsfeld. Auch hier ist die Gartenschau übrigens ein Glücksgriff, weil sie Bedienstete motiviert, daran mitzuarbeiten. Ich hoffe, dass Bretten als Arbeitgeber attraktiv bleibt, um die vielen, auch neuen Aufgaben weiter erfüllen zu können.
Permanent erhalten wir zusätzliche Aufgaben von höherer Ebene, wie zum Beispiel das Wohngeld, für das jetzt dreimal so viele Menschen antragsberechtigt sind. Woher sollen denn plötzlich dreimal so viele Sachbearbeiter dafür kommen? Oder das Umsatzsteuergesetz, dessen Umsetzung uns in der Praxis vor einen großen Mehraufwand stellt und dessen Sinnhaftigkeit den wiederholt propagierten Bürokratieabbau konterkariert.
Dennoch würde ich nicht von Problemen, sondern vielmehr von Herausforderungen sprechen. Ich blicke trotz aller Widrigkeiten, mit denen wir zu tun haben, zuversichtlich und optimistisch in die Zukunft.

Die Fragen stellte Katrin Gerweck.

Autor:

Katrin Gerweck aus Bretten

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