Brettener Familie hat Geflüchtete aufgenommen
„Ich kann nur jedem raten, es auch zu tun“
Bretten (ger) „Wenn wir jetzt nicht helfen, wann dann?“, war der Gedanke, der Linda und Alexander Güntner durch den Kopf ging, als sie davon erfuhren, dass Wohnraum für Menschen aus der Ukraine gesucht wird. Seit einem Monat tobt dort schon der Krieg, tausende, vor allem Frauen und Kinder, haben ihre Heimat verlassen und sind geflohen. Das Reisebüro Wöhrle aus Oberderdingen und die Firma MJR aus Knittlingen, unterstützt von Projekt Eye aus Bretten, hatten einen Hilfstransport organisiert, der Waren an die polnisch-ukrainische Grenze brachte (wir berichteten). Auf dem Rückweg nahmen sie 36 erschöpfte Menschen mit nach Bretten, sechs von ihnen hat Familie Güntner aus Bretten bei sich aufgenommen
Freundinnen wollten gerne zusammenbleiben
Zwei Erwachsene und zwei Kinder könnten sie aufnehmen, hatten sie angegeben. Als sich aber bei der Ankunft herausstellte, dass Olha und Mariia Freundinnen sind und gerne mit ihren Familien beisammenblieben, stimmten sie spontan zu. „Ich konnte das sofort gut verstehen“, sagt Linda Güntner, die selbst junge Mutter von Paula, zweieinhalb, und Jonas, sechs Monate, ist. „Allein mit Kindern zu sein, ist anstrengender, als wenn man Unterstützung hat.“ Olha ist mit ihrer Mutter Olena und Töchterchen Polina aus Saporischschja geflohen. Mariia, die auch von dort kommt, hat ihren Sohn Mykhailo und ihre Tochter Milana mit in Sicherheit gebracht. Die Stadt im Südosten des Landes spielte in der Berichterstattung schon eine Rolle, weil es dort das größte Atomkraftwerk der Ukraine gibt, das gleich zu Beginn des Krieges unter Beschuss gestanden hatte.
"Es ist schön"
Bei Güntners ist Ende letzten Jahres die vermietete Dachgeschosswohnung frei geworden. Eigentlich wollten sie dort ein Büro einrichten. „Aber das ist jetzt nicht so dringend“, erklärt Linda Güntner pragmatisch. Zwei Zimmer, Küche, Bad stünden dort bereit, sodass jede Familie ein Zimmer als Rückzugsort habe. Linda Güntner geht es vor allem darum, andere Menschen, die Wohnraum zur Verfügung stellen könnten, zu ermutigen. „Es ist schön“, sagt sie schlicht. Die Frauen seien gut ausgebildet – Olha ist zum Beispiel Ärztin und ihre Mutter Olena Mathelehrerin – und machten auch so viel wie möglich selbst. „Sie sind sehr selbstständig, man muss ihnen nicht das Händchen halten“, sagt Linda Güntner, die mit den beiden jüngeren Frauen auf Englisch kommuniziert.
Am Anfang hätten die Familien etwas Zeit gebraucht, um anzukommen, hatten sich eher in die Wohnung zurückgezogen, um die anstrengende Flucht zu verarbeiten. Aber schon jetzt, nach etwas mehr als zwei Wochen, habe sich so etwas wie Alltag eingestellt. Paula geht morgens erstmal hoch und schaut nach Polina, die sie besonders ins Herz geschlossen hat.
Die Chemie stimmt
Dass es gut passe, weil die Kinder im ähnlichen Alter sind, und die Chemie stimme, sei natürlich eine günstige Fügung. „Und wir haben das Glück, dass sie noch keine Bombardierungen oder Kampfhandlungen miterleben mussten“, spielt Linda Güntner darauf an, dass man es bei Geflüchteten auch mit schwer traumatisierten Menschen zu tun haben kann. Eine große Sorge sei aber, dass die Frauen ihre Männer zurücklassen mussten. Der viereinhalbjährige Mykhailo sei wütend auf den Papa, der nicht mit ihnen kommen konnte. Gerade für ihn sei die Situation nicht einfach. „Die Kindergärten in Bretten sind voll, es ist eigentlich unmöglich, einen Platz zu finden“, weiß Güntner. Auf Nachfrage berichtet Bürgermeister Michael Nöltner, dass die Stadt daran sei, Spielgruppen für Kinder in diesem Alter zu organisieren.
Kinder dürfen bei Kursen des TV Bretten mitmachen
Linda Güntner unterstützt die Familien nach Kräften, vor allem für die Kinder sorgt sie für Abwechslung. Beim TV Bretten war sie auf offene Ohren gestoßen, als sie nach Möglichkeiten für die Kinder gefragt hatte. Milana und Polina, die beide noch nicht zwei Jahre alt sind, können mit ihren Müttern am Mutter-Kind-Turnen teilnehmen und auch für Mykhailo wurde ein Sportkurs mit Gleichaltrigen gefunden. „Es ist günstig, dass ich gerade in Elternzeit bin. Mit einem Vollzeitjob wäre das natürlich schwieriger“, sagt Linda Güntner. Die Behörden seien noch nicht routiniert bei den Abläufen, man bekomme widersprüchliche Angaben. Eine finanzielle Unterstützung sei auch noch nicht geflossen, bisher lebten die Familien von Spenden, die die Güntners im Freundes- und Bekanntenkreis gesammelt haben. Ihr eigener Alltag sei inzwischen wieder normal, so Linda Güntner. Und als sie neulich ihre Tochter aus dem Kindergarten abholen musste, habe Mariia auf den kleinen Jonas aufgepasst.
Wollen gerne zurück in die Heimat
Die Frauen seien nach Bretten gekommen, weil Verwandte von ihnen gleich zu Beginn des russischen Einmarschs geflohen und über Umwege nach Kürnbach gelangt seien. „Aber sobald es geht, möchten sie wieder zurück in ihre Heimat“, erzählt Linda Güntner mit Sorgenfalten auf der Stirn. Emotional sei auch für sie mit Mariia, Olena und Olha dieser sinnlose Krieg näher gerückt. Keiner weiß, wie lange die Gräuel noch anhalten. Bei ihnen dürften die sechs jedenfalls solange bleiben, wie es nötig sei. Für sie, ihren Mann und die Kinder seien sie jedenfalls eine Bereicherung: „Ich kann nur jedem, der Platz hat, raten, es auch zu tun.“
Autor:Katrin Gerweck aus Bretten |
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