Epilepsie bei Kindern und Erwachsenen

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Epilepsie bei Kindern und Erwachsenen. Unbeschwert leben – mit und trotz Epilepsie. Lesertelefon der Brettener Woche brachte viele Antworten.

(pr-nrw) Ständig und überall mit einem epileptischen Anfall zu rechnen, bedeutet für Menschen mit Epilepsie eine große Belastung für ihren Alltag. Sie wünschen sich eine Therapie, die Anfälle möglichst wirksam unterdrückt oder zumindest die Anfallshäufigkeit senkt. Neben der medikamentösen Behandlung spielen die Einstellung zur Erkrankung und der Umgang mit dem Anfallsrisiko eine wesentliche Rolle. Besonders gefordert sind dabei Eltern von Kindern mit Epilepsie, wenn die Erkrankung die Entwicklung des Kindes nicht übermäßig beeinträchtigen soll. Gefordert ist aber auch die Gesellschaft: Noch immer sehen sich Menschen mit Epilepsie Vorurteilen und Halbwissen gegenüber. Zu Therapieoptionen, unterstützenden Angeboten und dem Umgang mit der Erkrankung informierten Experten am Tag der Epilepsie 2017. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zum Nachlesen:

Was ist die Ursache für Epilepsie und kann man die Krankheit heilen?
Dr. Lothar Burghaus: Die Ursachen für eine Epilepsie sind vielfältig. Manche Menschen tragen die Anlagen für eine Epilepsie in sich, dann sprechen wir von einer genetischen Epilepsie, andere entwickeln die Bereitschaft zu epileptischen Anfällen erst im Laufe des Lebens, zum Beispiel durch eine Verletzung des Gehirns – dann sprechen wir von einer strukturellen Epilepsie. Die Herausforderung ist, bei jedem Betroffenen genau zu klären, welche Ursache vorliegt, denn davon hängen die Behandlung und die Prognose ab. Grundsätzlich gilt, dass die Epilepsie zwar nicht zu heilen ist, dass jedoch die Anfälle so kontrolliert werden können, dass etwa 70 Prozent der Betroffenen anfallsfrei bleiben.

Bedeutet das die lebenslange Einnahme von Medikamenten?
Prof. Gerhard Kurlemann: Wie lange Medikamente gegen Epilepsie eingenommen werden müssen, hängt von der Art der Epilepsie ab, von der Verträglichkeit der Medikamente und davon, ob das Ziel einer dauerhaften Anfallsfreiheit erreicht wurde. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, versuchen wir, bei Kindern die medikamentöse Therapie nach zwei bis drei Jahren zu beenden. Tritt die Epilepsie beim ersten Mal im Erwachsenenalter auf, müssen die Betroffenen in vielen Fällen die Medikamente über Jahrzehnte oder für das ganze Leben nehmen.

Wie wirken die Medikamente und mit welchen Nebenwirkungen ist zu rechnen?
Dr. Lothar Burghaus: Die Frage lässt sich pauschal nicht beantworten, denn jede Epilepsie ist anders und das bedeutet: Präparat und Dosierung müssen individuell und sorgsam auf den Betroffenen abgestimmt werden. Schließlich soll die Therapie helfen und nicht schaden. Wichtig ist, die Patienten vorab über mögliche Nebenwirkungen aufzuklären. Sind die Patienten für die Nebenwirkungen sensibilisiert, können wir rechtzeitig gegensteuern. In der überwiegenden Zahl der Fälle gelingt eine Therapie ohne Nebenwirkungen.

Nicht jede Epilepsie äußert sich durch Krampfanfälle. Welche Symptome sind typisch bei Kindern?
Prof. Gerhard Kurlemann: Das Spektrum epileptischer Anfälle im Kindesalter ist groß – und kann bereits im Bauch der Mutter mit rhythmischen, langanhaltenden Bewegungen beginnen. Bei Säuglingen können Luftanhalten und der Verlust von Muskelspannung Anzeichen sein, aber auch rhythmische, nicht unterbrechbare Bewegungen von Armen und Beinen. In der Regel sind die Augen der Kinder dabei geöffnet. Zudem kann es zu Absencen kommen, einer Art „Bewusstseinspause“, bei der das Kind in der Bewegung innehält und die auf Außenstehende wie Träumerei wirkt. Solche Anzeichen werden von Nicht-Medizinern oft übersehen oder fehlgedeutet. Andererseits müssen diese Symptome diagnostisch von den zahlreichen anderen möglichen Bewegungsstörungen im Kindesalter abgegrenzt werden.

Welche Untersuchungen kommen bei der Diagnose auf unser Kind zu?
Prof. Gerhard Kurlemann: Dreh- und Angelpunkt der Diagnose – und damit einer erfolgreichen Therapie – ist eine gute Erhebung der Anamnese, also das Zusammentragen aller notwendigen Informationen über die Erkrankung. Dazu führen wir intensive Gespräche mit den Eltern, nach Möglichkeit aber auch mit den betroffenen Kindern selbst. Zusätzlich setzen wir EEG-Untersuchungen ein, sowohl im Wachzustand wie auch im Schlaf oder bei Schlafentzug. In unklaren Fällen beobachten wir die Kinder über einen längeren Zeitraum intensiv.

Kann sich eine Epilepsie auch wieder „zurückbilden“?
Dr. Lothar Burghaus: Bei einer Epilepsie besteht eine Bereitschaft zu epileptischen Anfällen, die – bis auf wenige Ausnahmen – ein Leben lang andauert. Das bedeutet zunächst einmal, dass die Behandlung über lange Zeiträume geplant wird. Allerdings kann sich eine Epilepsie im Laufe des Lebens verändern und es gibt durchaus Phasen der Erkrankung, in denen die Anfallshäufigkeit abnimmt und die Therapie angepasst werden kann. Daher sollte eine Epilepsie durch Spezialisten behandelt werden, also Neurologen oder Epileptologen. Bei Kindern gibt es durchaus Epilepsieformen, die ausheilen.

Kann eine Epilepsie beim Kind Folgen für seine geistige Entwicklung haben?
Prof. Gerhard Kurlemann: Epilepsien sind komplexe Erkrankungen, bei denen eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle spielen. Wir sprechen deshalb auch vom Epilepsie-Syndrom. Je nach Ausprägung der Epilepsie, je nach betroffener Hirnregion, Anfallsart, -häufigkeit und -dauer sind Auswirkungen auf die geistige Entwicklung möglich. Überlegungen, wie sich Einschränkungen vermeiden oder minimieren lassen, sind immer Gegenstand der individuellen Therapieplanung.

Ich habe gehört, dass bei Kindern auch operative Behandlungsverfahren möglich sind. Ich kann mir aber nur schwer vorstellen, dazu meine Zustimmung zu geben...
Prof. Gerhard Kurlemann: Tatsächlich gibt es Fälle von Epilepsie, bei denen wir mit den verfügbaren Medikamenten nicht weiterkommen. In diesen Fällen muss ein operatives Verfahren in Betracht gezogen werden, um das Ziel der Anfallsfreiheit doch noch zu erreichen. Voraussetzung dafür ist eine intensive Vordiagnostik – und ausführliche Gespräche mit den Eltern über die Chancen und Risiken der Operation.

Ein Schüler in meiner Klasse ist an Epilepsie erkrankt. Was kann ich tun, wenn es im Unterricht zu einem Anfall kommt?
Prof. Gerhard Kurlemann: Vor allem: Ruhe bewahren und alles aus dem Weg räumen, woran sich das Kind verletzen könnte! Neun von zehn Anfällen enden nach eineinhalb bis drei Minuten von selbst. Dauert ein Anfall über fünf Minuten lang an, rufen Sie einen Notarzt. Unter Umständen hat das Kind ein Akutmedikament, das der Lehrer ihm in die Wangentasche verabreichen kann. Voraussetzung ist, dass der Lehrer davon weiß und mit der Anwendung des Medikaments vertraut ist. Übrigens: Hilfreiche Informationen zu Epilepsie und Schule hat der epilepsie bundes-elternverband e.v. unter www.epilepsie-elternverband.de im Internet zusammengestellt.

Als alleinerziehende Mutter einer zehnjährigen Tochter mit Epilepsie komme ich manchmal an meine Grenzen. Wo kann ich Unterstützung bekommen?
Sarah Jørgensen: Der epilepsie bundes-elternverband kann Ihnen die richtigen Ansprechpartner und eine Eltern-Selbsthilfegruppe in der Nähe empfehlen und darüber hinaus zum Beispiel Schulungen wie „famoses“ vermitteln. Zusätzlich gibt es in vielen Bundesländern Epilepsie-Beratungsstellen, die Ihnen professionelle Hilfe anbieten können.

Ich habe Angst, mein Kind zu sehr einzuschränken. Aber ich will eben auch nicht, dass ihm etwas zustößt, wenn ich nicht bei ihm bin…
Sarah Jørgensen: Es ist wichtig, Ihrem Kind zu vertrauen, dass es durch Ihre Fürsorge gelernt hat, wie es selbst verantwortungsbewusst mit seiner Erkrankung umgeht. Arbeiten Sie gemeinsam ein Notfallsystem aus. Wesentlich ist auch, dass Sie Ihrem Kind genauso viele Freiräume lassen wie einem gesunden Kind, da es oft genug mit den Grenzen der Gesundheit konfrontiert wird. Nur ein eigenständiges Leben kann den durch die Krankheit erlebten Kontrollverlust ausgleichen. Durch das Gefühl von Kontrolle spürt Ihr Kind vor allem eine Andersartigkeit gegenüber seinen Altersgenossen.

Kann mein Kind trotz Epilepsie weiterhin Sport machen?
Anja Zeipelt: Sport ist für die körperliche und geistige Entwicklung von Kindern elementar wichtig. Zudem gibt es für Kinder kaum etwas Schlimmeres, als beim Sport ausgegrenzt zu werden – ob in der Schule oder in der Freizeit. Und es gibt auch wenig Anlass dazu. Ist das Kind seit längerer Zeit anfallsfrei, bestehen meist keinerlei Einschränkungen. Kinder mit generalisierten Anfällen, die nicht anfallsfrei sind, sollten einige Sportarten nur unter Aufsicht betreiben. Hierzu gehören beispielsweise Schwimmen, Reiten und Klettern. Hier können aber individuelle Vorsichtsmaßnahmen für das Kind getroffen werden. Bei Patienten mit fokalen Anfällen können, je nach Anfallsart, nur sehr wenige Einschränkungen zum Tragen kommen. Grundsätzlich gilt: Jedes Kind ist anders und jede Epilepsie auch. Individuelle Regelungen sollten zusammen mit dem Facharzt getroffen und an die Lehrer kommuniziert werden, um Unsicherheiten auszuschließen.

Ich bin seit drei Jahren an Epilepsie erkrankt und merke, dass mich die ständige Angst vor einem neuen Anfall sehr belastet. Wo kann ich Unterstützung bekommen?
Anja Zeipelt: Häufiges Alleinsein sowie negative und dramatische Erfahrungsberichte verstärken unter Umständen die Angst vor einem neuen Anfall nur. Meiden Sie negative Nachrichten, orientieren Sie sich an motivierenden, positiven Erfahrungsberichten oder Büchern. Auch im Internet finden sich Epilepsieforen, die Sie unterstützen können. Vielen hilft der persönliche Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen. Vor allem aber: Sorgen Sie für ein gutes Lebensgefühl - mit Entspannungsübungen, Sport, Spaziergängen und Hobbys in Gesellschaft.

Infokasten

Angeklickt:Leben mit Epilepsie – Hilfe für Erwachsene, Kinder und ihre Eltern

Deutsche Epilepsievereinigung e.V.
Neben Informationen über die Erkrankung, Beruf und Soziales sowie eine Übersicht über Seminare und Veranstaltungen bietet der Verband eine individuelle Beratung online oder telefonisch an. Zusätzlich verzeichnet die Internetseite Kontaktadressen der Landesverbände sowie von Epilepsie-Zentren, -Ambulanzen und epileptologischen Schwerpunktpraxen. Zahlreiche Infobroschüren – auch zum Thema Epilepsie bei Kindern und Jugendlichen – stehen kostenfrei zum Download zur Verfügung.
www.epilepsie-vereinigung.de

Epilepsie kann man gut behandeln
Unter diesem Motto hat das Pharmaunternehmen UCB übersichtliche und ausgewogene Informationen zu Epilepsie, den Behandlungsmöglichkeiten und zum Leben mit der Erkrankung zusammengestellt. In einer Adressdatenbank können Betroffene deutschlandweit nach Epilepsie-Zentren, Ambulanzen sowie nach Epilepsie-Spezialisten suchen. Mit einem Servicetelefon bietet UCBCares® zudem die Möglichkeit, sich persönlich zu informieren. Das Team unterstützt Sie gern bei Fragen rund um Ihre Erkrankung. Fragen zur individuellen Therapie können und dürfen jedoch nicht beantwortet werden. Wenden Sie sich dazu bitte an Ihren behandelnden Arzt. UCBCares® ist unter 02173-48 4848 erreichbar.
www.epilepsie-gut-behandeln.de

epilepsie bundes-elternverband e.v. e.b.e.
Eltern von Kindern mit Epilepsie haben viele Fragen und wünschen sich Beratung von Menschen, die ihre Situation verstehen. Aus diesem Grund hat sich der epilepsie bundes-elternverband – kurz e.b.e. – zusammengefunden. Auf seiner Website bietet er verständlich aufbereitete Informationen und zahlreiche Angebote zur persönlichen Beratung. Besonders empfehlenswert: Altersgerechtes Infomaterial für Kinder und Jugendliche sowie das Lehrerpaket „Epilepsie in der Schule – alles klar?“.
www.epilepsie-elternverband.de

Die Experten am Lesertelefon waren:

• Univ.-Professor Gerhard Kurlemann; Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Neuropädiatrie, Verkehrsmedizin, Oberarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Leiter des Bereiches Neuropädiatrie und pädiatrische Epileptologie am Universitätsklinikum Münster
• Priv.-Doz. Dr. med. Lothar Burghaus; Facharzt für Neurologie und Chefarzt der Klinik für Neurologie am Heilig Geist-Krankenhaus, Köln
• Anja Daniel-Zeipelt; Epilepsie-Patientin, Autorin mehrerer Bücher zum Thema Epilepsie, Leun bei Wetzlar
• Sarah Jørgensen; Epilepsie-Patientin und Autorin des Romans „Panthertage – Mein Leben mit Epilepsie“

Autor:

Christian Schweizer aus Bretten

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