Dunkles Kapitel deutscher Wirtschaft
BLANC & FISCHER arbeitet Rolle im Nationalsozialismus auf

Ein Fachsymposium im Oberderdinger Aschingerhaus mit Historikern ordnete die Verhältnisse in der NS-Zeit ein. | Foto: Blanc & Fischer
  • Ein Fachsymposium im Oberderdinger Aschingerhaus mit Historikern ordnete die Verhältnisse in der NS-Zeit ein.
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Oberderdingen (hk) Die BLANC & FISCHER-Gruppe hat die Rolle ihrer Gründungsunternehmen Blanc & Co. und E.G.O. während der Zeit des Nationalsozialismus wissenschaftlich aufarbeiten lassen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung wurden im Rahmen eines öffentlichen Symposiums im Oberderdinger Aschingerhaus präsentiert. Dort erläuterte der vom Unternehmen beauftragte Historiker, Dr. Ingo Stader, detailliert den Umfang und die Hintergründe der Verwicklung des Unternehmens in die Kriegswirtschaft und den Einsatz von Zwangsarbeit während des NS-Regimes. Eine Einordnung in die Verhältnisse der damaligen Zeit gaben Professor Dr. Hartmut Berghoff, Direktor des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Göttingen sowie Dr. Marco Brenneisen, Zeithistoriker und Sozialwissenschaftler am Marchivum Mannheim im Aufgabengebiet NS-Geschichte und Erinnerungskulturen.

Gedenken und öffentliche Verantwortung

Bernd Eckl, Vorstandsvorsitzender der BLANC & FISCHER Familienholding, äußerte sich ausdrücklich auch im Namen der Gründerfamilien: „Wir bedauern aufrichtig und zutiefst, was den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern während der NS-Zeit auch in unseren Unternehmen widerfahren ist.“ Um diesem Bedauern Ausdruck zu verleihen, wurde im frei zugänglichen Bereich des Konzernsitzes ein Ort der Erinnerung geschaffen "an dem wir nennen und bedauern, was geschehen ist. Dieser Ort mit einer Gedenktafel kann nichts ungeschehen machen – aber öffentlich bekennen, erinnern und mahnen", erklärte Eckl. Der Oberderdinger Bürgermeister Thomas Nowitzki ergänzte: „Wir bedauern zutiefst, dass es während der NS-Zeit in Oberderdingen Zwangsarbeit in der Industrie und auch in der Landwirtschaft gegeben hat.“ Die Stadtverwaltung werde nun nachfolgend für den Bereich der heutigen Stadt Oberderdingen mit Flehingen und Großvillars die Zwangsarbeit in der NS-Zeit wissenschaftlich aufarbeiten lassen, kündigte der Schultes an.

Industrielle Gleichschaltung im NS-Regime

Professor Dr. Hartmut Berghoff sprach über die Gleichschaltung der Industrie in der NS-Zeit und wie Unternehmen in die streng hierarchisch und kleinteilig organisierte Kriegswirtschaft eingebunden waren. Der Direktor des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Göttingen ist auch Co-Autor der vielbeachteten Publikation zur Aufarbeitung der Bahlsen-Historie in der NS-Zeit. Zunächst stellte Berghoff fest, dass Zwangsarbeit eine schwere Menschenrechtsverletzung darstellt. In seinem Vortrag beleuchtete er dieses Thema aus unterschiedlichen Perspektiven: des NS-Regimes, der Privatwirtschaft und der Betroffenen, der Zwangsarbeiter selbst.

Er erklärte, dass der nationalsozialistische Staat einen Eroberungskrieg plante, für dessen Ressourcenbedarf die eigenen Kapazitäten bei Weitem nicht ausreichten. Ein gezieltes Mobilisieren von Frauen als Arbeitskräfte erfolgte kaum, da ihre Rolle als „Hüterinnen der Rasse“ im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie erhalten bleiben sollte. Stattdessen griff das Regime zunehmend auf ausländische Zwangsarbeiter zurück, um den Bedarf an Arbeitskräften zu decken.

Massiver Einsatz von Zwangsarbeitern

Bis 1945 wurden laut Berghoff zwischen 10,5 und 13,5 Millionen Menschen als Zwangsarbeiter nach Deutschland gebracht. Während Westeuropäer anfangs teils freiwillig kamen, wurden Osteuropäer meist brutal zwangsverschleppt. Eindringlich schilderte Berghoff, wie Menschen „zum Teil auf der Straße aufgegriffen und verschleppt wurden, ohne die Möglichkeit, sich von ihren Familien zu verabschieden.“ Szenen, in denen deutsche Soldaten von Haus zu Haus gingen und arbeitsfähige Menschen mitnahmen, waren während der Zeit des Nationalsozialismus keine Seltenheit. Besonders bekannt wurden die sogenannten Sauckel-Aktionen, die als Synonym für die brutale Vorgehensweise der Nazis stehen. Berghoff berichtete, dass Sauckel ganze Dörfer niederbrennen ließ, wenn sie die geforderte Anzahl an Arbeitskräften nicht lieferten.

Auch Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge wurden systematisch zur Arbeit gezwungen. Dabei zielte das Regime bewusst darauf ab, diese Menschen durch Schwerstarbeit zugrunde zu richten.

Unternehmen und ihre Rolle im Ausbeutungssystem

Angesichts des zunehmenden Mangels an Arbeitskräften während des Krieges beantragten viele Unternehmen aktiv die Zuweisung von Zwangsarbeitern, um ihre Produktion aufrechtzuerhalten. "Die Schuld der Unternehmen lässt sich sicherlich nicht aus den Bilanzen ablesen", erklärte Berghoff, sondern zeige sich in ihrer direkten Mitwirkung an einem verbrecherischen Ausbeutungssystem. Unternehmen hielten es für normal, etwa 16-jährige Mädchen aus der Ukraine gegen ihren Willen zu beschäftigen.

Viele Zwangsarbeiter starben aufgrund von Mangelernährung, Krankheit oder Misshandlung. Allerdings gab es in landwirtschaftlichen oder kleineren Betrieben teilweise bessere Bedingungen durch eine gewisse Fürsorge. "In diesen Unternehmen herrschte so etwas wie eine betriebliche Rationalität. Man wollte ja von der Arbeit dieser Menschen profitieren," erklärte der Experte. Dennoch waren die Lebensumstände äußerst unmenschlich. Grundsätzlich mussten die Zwangsarbeiter in geschlossenen Lagern leben.

Verharmlosung und späte Aufarbeitung

Nach dem Krieg wurde Zwangsarbeit lange Zeit als eine normale Begleiterscheinung des Krieges verharmlost. "Die Opfer blieben mit den psychischen und physischen Folgen allein und lebten meist in Armut." Erst in den 1980er-Jahren setzte eine historische Aufarbeitung des Themas ein, so Berghoff.

Zwangsarbeit in Südwestdeutschland: Ein regionaler Blick

Dr. Marco Brenneisen beleuchtete in seinem Vortrag die Geschichte der Zwangsarbeit in Südwestdeutschland während des Zweiten Weltkriegs. Als prominentes Beispiel griff er das Unternehmen Daimler-Benz auf, das ab 1941 massiv auf Zwangsarbeit setzte. Im Jahr 1944 machten Zwangsarbeiter etwa ein Drittel der Belegschaft aus. In diesem Zusammenhang betonte Brenneisen: „Daimler-Benz spielte eine bedeutende Rolle, aber das Unternehmen war beileibe kein herausragender Sonderfall. Es steht exemplarisch für ähnliche Unternehmen dieser Größe.“ Insgesamt wurden in den letzten Kriegsjahren im heutigen Baden-Württemberg etwa eine halbe Million Zwangsarbeiter in Industrie, Landwirtschaft, Bauwesen und im öffentlichen Dienst ausgebeutet. Sogar Kirchen profitierten von Zwangsarbeit.

In Karlsruhe wurden laut Brenneisen rund 17.000 Zivilarbeiter und Kriegsgefangene zur Zwangsarbeit gezwungen, in Pforzheim mindestens 5.000 Menschen. Etwa die Hälfte der Zwangsarbeitenden in Baden-Württemberg entfallen auf Kleinstädte und Dörfer, wo ihr Anteil an der Ortsbevölkerung oft deutlich höher war als in den Städten. Exemplarisch griff Brenneisen die Stadt Bretten auf, in der etwa 3.000 Zwangsarbeiter bei einer damaligen Einwohnerzahl von rund 5.600 Personen verzeichnet sind.

Besonders grausam war der Umgang mit schwangeren Zwangsarbeiterinnen: Sie wurden im vierten Schwangerschaftsmonat – in einigen Fällen sogar bis zum sechsten Monat – zur Abtreibung gezwungen. Bei fortgeschrittenen Schwangerschaften wurden die Frauen zur Entbindung in sogenannte „Ausländerkinder-Pflegestätten“ gebracht. Nach der Geburt wurden die Kinder den Müttern nach wenigen Tagen weggenommen und die Mütter zurück zur Zwangsarbeit geschickt. In diesen vermeintlichen Pflegestätten wurden die Säuglinge weitgehend sich selbst überlassen. „Man muss es ganz brutal sagen: Sie vegetierten vor sich hin“, beschrieb Brenneisen die tragische Situation. Der Zeithistoriker und Sozialwissenschaftler am Marchivum Mannheim plädierte abschließend dafür, die Leidenswege der Opfer intensiver zu erforschen und die Nachkriegsaufarbeitung weiter voranzutreiben, um eine umfassende Erinnerungskultur zu fördern.

Die Rolle von Blanc & Co. und E.G.O.

Der vom Unternehmen beauftragte Historiker Dr. Ingo Stader arbeitete in seinem Vortrag heraus, inwiefern die Kompetenzen von Blanc & Co. in der Metallverarbeitung und E.G.O. in der Elektrotechnik für die Kriegswirtschaft des NS-Regimes von Bedeutung waren. Beispielsweise wurde Blanc & Co. in die Herstellung von Großkochkesseln zur Truppenverpflegung sowie von Torpedohüllen eingebunden. Die Heiztechnik-Expertise von E.G.O. kam in dieser Zeit etwa in Militärflugzeugen und bei der Marine zum Einsatz. Die Unternehmen profitierten von den Aufträgen des Regimes nicht nur finanziell, sondern auch durch bevorzugte Materialversorgung, Ausstattung bzw. Investitionen und durch die Zuweisung von Zwangsarbeitern als Ersatz für fehlende Beschäftigte.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten kam es zu Masseneintritten in die NSDAP. Zurückdatiert auf den 1. Mai 1933 sind Ende 1933 oder Anfang 1934 auch die Firmengründer Heinrich Blanc und Karl Fischer eingetreten. Die Gleichschaltung erreichte auch ihre Unternehmen, diese wurden zwangsweise in der Deutschen Arbeitsfront (DAF) organisiert. Heinrich Blanc pflegte bereits zuvor bestehende Kontakte zu lokalen Amts- und Würdenträgern, von denen viele mittlerweile selbst Funktions- oder Amtsträger in der NSDAP waren.

"Aufrechterhaltung des Betriebs wäre ohne Zwangsarbeit kaum möglich gewesen"

In den Unternehmen Blanc & Co. und E.G.O. leisteten im Laufe der Kriegsjahre schätzungsweise rund 800 Menschen Zwangsarbeit. Über 500 von ihnen konnten namentlich identifiziert werden. In beiden Betrieben machten diese Zwangs arbeitskräfte gegen Kriegsende rund zwei Drittel des Personals aus. In Oberderdingen wurden Zwangsarbeiter teilweise in eigens errichteten Baracken auf dem Werksgelände untergebracht. Ab 1943 kamen auch politische Häftlinge aus dem Zuchthaus Ludwigsburg in Oberderdingen zum Einsatz, die in einem Lager auf dem Firmengelände untergebracht waren.

Über die Behandlung und Verpflegung der Zwangsarbeiter gebe es zwar einige Aussagen, aber nur wenige gesicherte Informationen. Historiker Stader sagte dazu: „Vorkommnisse wie Misshandlungen oder Tötungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Arbeit bei Blanc & Co. oder E.G.O. stehen, sind nicht bekannt. Den wenigen noch vorhandenen Quellen ist zu entnehmen, dass die Verpflegung wohl gering, aber relativ gut war. Und dennoch darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass ohne Zwangsarbeit – mit all ihren harten Umständen und Arbeitstagen mit über zwölf Stunden – eine Aufrechterhaltung des Betriebs bei Blanc & Co. oder E.G.O. kaum möglich gewesen wäre. Ohne Frage haben Zwangsarbeit und Rüstungsproduktion zum Wachstum beider Unternehmen in den Kriegsjahren beigetragen.“

Eine ausführlichere Beschreibung der Unternehmensgeschichte im genannten Zeitraum kann hier abgerufen werden: Blanc & Fischer.

Autor:

Havva Keskin aus Bretten

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