Oberbürgermeisterin trifft Nachfahrin jüdischer Familie
Bruchsaler auf Gedenkfeier auf Deportiertenfriedhof in Gurs

Oberbürgermeisterin Cornelia Petzold-Schick (Zweite von links) mit Hélène Yaïche-Wolf, deren Großeltern und Vater nach Gurs verschleppt wurden. Von der Stadtverwaltung nahmen Hauptamtsleiter Wolfgang Müller (links) und Thomas Adam an der Gedenkfahrt teil. | Foto: Stadt Bruchsal
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  • Oberbürgermeisterin Cornelia Petzold-Schick (Zweite von links) mit Hélène Yaïche-Wolf, deren Großeltern und Vater nach Gurs verschleppt wurden. Von der Stadtverwaltung nahmen Hauptamtsleiter Wolfgang Müller (links) und Thomas Adam an der Gedenkfahrt teil.
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Bruchsal/Gurs (kn) Mit seinen weit über tausend Gräbern ist er ein bis heute sichtbares Mahnmal nationalsozialistischer Verbrechen: Auf dem Deportiertenfriedhof im südfranzösischen Gurs, am Fuß der Pyrenäen, sind die Opfer einer minutiös geplanten staatlichen Vertreibung beigesetzt – am 22. Oktober 1940 aus Baden, der Pfalz und dem Saarland abgeschoben in den damals von der Vichy-Regierung verwalteten Teil Frankreichs. Bekannt ist die einminütige Filmsequenz, die an diesem Tag am Bruchsaler Bahnhof entstand und zeigt, wie die jüdische Bevölkerung mit Koffern und wenigen Habseligkeiten zu den bereitstehenden Eisenbahnwaggons gedrängt wird.

Für viele eine Fahrt in den Tod

Für viele wurde es eine Fahrt in den Tod. In dem streng bewachten, primitiv eingerichteten Lager starben bereits im ersten nasskalten Herbst und Winter vor allem ältere Menschen an Entkräftung und Epidemien. Etwa ein Drittel der in Gurs internierten Juden wurden später weiter in die Vernichtungslager im Osten verschleppt und dort ermordet.

"Ausgrenzung und Rassismus verhüten"

Seit den 1950er Jahren gewährleistet eine Arbeitsgemeinschaft vor allem badischer Städte den Erhalt des Friedhofs und die Pflege der Anlage. Auch Bruchsal gehört dem Zusammenschluss seit 2008 an. Jährlich, meist um den Jahrestag der Deportation, begibt sich eine Delegation der beteiligten Städte und jüdischer Organisationen vor Ort, um in einer Gedenkveranstaltung und durch das Beisammensein mit den heute letzten noch lebenden Zeitzeugen die Erinnerung an die Schrecken von Gurs zu bewahren. Ein Anliegen, das auch die Bruchsaler Oberbürgermeisterin Cornelia Petzold-Schick unterstützt. „Wir müssen uns durch diese Begegnung mit dem historischen Ort und, solange es noch möglich ist, mit den betroffenen Menschen unserer Geschichte stellen und aktiv dazu beitragen, Ausgrenzung und Rassismus in unserer demokratischen Gesellschaft zu verhüten“, sagt das Bruchsaler Stadtoberhaupt.

Treffen mit Nachfahrin jüdischer Familie

Das Zusammentreffen mit der Nachfahrin einer ursprünglich in Bruchsal ansässigen jüdischen Familie nahm deshalb in diesem Jahr für Petzold-Schick einen besonderen Stellenwert während der Gedenkreise nach Gurs ein. Hélène Yaïche-Wolf – ihre Urgroßeltern sind auf dem jüdischen Teil des Bruchsaler Friedhofs beigesetzt, die Großeltern wurden in Auschwitz ermordet – hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit dem Schicksal ihrer Vorfahren auseinandergesetzt. Aber eben erst jetzt, mit Eintritt in den Ruhestand. Denn, so erzählt sie, in der eigenen Familie gab es aus persönlichen Beschreibungen wenig Erinnerung, hatte doch ihr vor vier Jahrzehnten verstorbener Vater zuhause über das Los seiner Eltern und über die eigenen Leiden kaum berichtet. Auch wenn er, wie heute noch auf dem Bruchsaler Grabstein der Familie Wolf zu lesen ist, sehr wohl seine persönliche Beziehung zu den Eltern sichtbar gemacht hat. Und zwar indem er, so vermutet Hélène Yaïche-Wolf, eine Inschrift ergänzen ließ: „Zum Gedenken unserer lieben in Auschwitz Umgekommenen“. Es folgen drei Namen: Berta, Ferdinand und Bertel Wolf, alle 1942 ermordet.

Zahl der Zeitzeugen wird kleiner

Wenn im kommenden Oktober 2022 die Stadt Bruchsal die jährlich wechselnde Sprecherrolle für die Arbeitsgemeinschaft beim Gedenken in Gurs übernehmen und mit einer größeren Delegation an der Reise teilnehmen wird, hat auch Hélène Yaïche-Wolf ihr Kommen und ihren Beitrag zugesagt. Immer kleiner wird die Zahl der eigentlichen Zeitzeugen selbst, zu denen auch ihr als damals 14-Jähriger nach Gurs verschleppter Vater gehört hatte. Und umso mehr rückt daher nun die Perspektive in den Vordergrund, wie innerhalb der betroffenen jüdischen Familien in der zweiten Generation mit der eigenen Geschichte und mit dem erlittenen Schrecken umgegangen worden ist. Bei dem Wunsch nach Überwindung des Erduldeten konnte neben dem Erinnern auch das Schweigen zu einer Form der Bewältigung werden.

Autor:

Kraichgau News aus Bretten

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