Melanchthonkonzert: Im Widerhall der Erinnerung

Konzert von Isabel und Regina Steinbach zum 522. Geburtstag von Philipp Melanchthon in Bretten.

Bretten (Philipp Neuweiler) Lebensgeschichten kleben an den Wänden. Ein Gedächtnissaal ist voller Erinnerungen, die sich an einem Abend wie diesem zu regen beginnen: Schatten, die über Wände huschen. Silhouetten von Abendkleidern. Auf einem Stuhl warten ein halbes Dutzend Blockflöten darauf, den Saal mit Leben zu erfüllen. Alles sitzt. Schweigt. Von außen betrachtet passiert nichts. Doch in den Köpfen der Zuhörer rattert bereits das Gedankenkino.

„Wir lieben die Atmosphäre dieses Saals“

Konzertabend im Melanchthonhaus. Anlass ist der 522. Geburtstag von Philipp Melanchthon, veranstaltet von der Stadt Bretten, der Evangelischen Kirchengemeinde Bretten und der Europäischen Melanchthonakademie. „Das Konzert gehört mit Gottesdienst und Lesung zu einer Reihe von Veranstaltungen“, erklärt Pfarrer Dietrich Becker-Hinrichs. „Barocke und gegenwärtige Klangpracht“, darum geht es den beiden Brettener Musikerinnen Isabel Steinbach (Violine) und Regina Steinbach (Violine und Blockflöte). „Wir lieben die Atmosphäre dieses Saals“, meinen beide Schwestern, „sie passt so gut zu unseren Instrumenten. Viele der barocken Stücke wurden ja speziell für solche Säle geschrieben. Das spürst du sofort.“

"Stücke, die nur noch wenigen Ohren zugänglich sind"

Als Duo Il Suono Vero tauchen sie den Raum in Klangbilder. „Unsere Musikauswahl ist schon verrückt“, grinst Regina Steinbach. Und ihre Schwester kontert: „Durch die Vielfalt ist für jeden was dabei.“ Auf ihrer Klangreise durch die Jahrhunderte treffen sie auf Bach, Telemann, Händel, aber auch gegenwärtige Komponisten. „Dieses Spannungsfeld zwischen Vergangenheit und Jetzt hat uns gereizt.“ Um dem gerecht zu werden, wechseln sie immer wieder Instrumente, präsentieren Solo-Stücke und spielen im Duett. „Viele Herzensstücke sind darunter, die nur noch wenigen Ohren zugänglich sind.“

„Eine Mischung aus japanischer Poesie und Musik“

Auf diese Weise entfalten sich einzigartige, musikalische Innenwelten: Etwa die Bach Solosonaten. „Geliebt und gefürchtet. Sie gelten als Prüfstein für einen Virtuosen.“ Oder Ingo Schmitts Brunnen auf dem Asakaberg: „Eine Mischung aus japanischer Poesie und Musik“, so Isabel Steinbach. Es sind melodische Haiku-Gedichte, die über Naturbilder auf das Seelenleben verweisen. Schließlich ein weiterer Sprung nach Amsterdam: Zu dem Blockflöten-Virtuosen Frans Brüggen. „Bei seinen Capricen habe ich Feuerwerke im Kopf“, beschreibt Regina Steinbach. Oder noch ein Sprung in die Alpen: Mitten hinein in den Hochzeitstanz von Christoph Ehrenfellner.

„Wahnsinn, was aus einer Violine und Flöte alles rauskommt“, meint eine Zuhörerin ehrfürchtig. Doch nicht nur die Instrumente, sondern der gesamte Gedächtnissaal wird mit Leben erfüllt. Melodiefäden huschen über Gewölbe. Säulen verwandeln sich in Wälder. Musik ist eine Sprache, die sich im Erleben vollzieht. In den Schallwellen keimen Erinnerungsbilder. Bis die Bogen von den Saiten gleiten und ein ergriffenes Seufzen durch die Reihen geht – begleitet von einem Lächeln, das sich in Klatschen auflöst.
Am Ende bleibt die Frage: Wozu sich an einen Geburtstag erinnern, der vor einem halben Jahrtausend stattfand? Vielleicht, weil Melanchthon der Stadt Bretten Identität verleiht. Eine Geschichte. Der Gedächtnissaal ist voll mit ihren Spuren. Doch erst wenn wir uns aktiv daran erinnern, wird sie lebendig. So wie die Musik, die auf Resonanz stößt. In ihren Zuhörern widerhallt.
Philipp Neuweiler
Zum Bild: Duo Il Suono Vero – Isabel und Regina Steinbach (von links).