Experten informierten zu: Winterreifen
Ist „O bis O“ Schnee von gestern?

Augen auf bei der Wahl des richtigen Winterreifen. Quelle: Cristofer Jeschke - unsplash.com
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  • Augen auf bei der Wahl des richtigen Winterreifen. Quelle: Cristofer Jeschke - unsplash.com
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Sommerreifen im Sommer, Winterreifen im Winter – Ganzjahresreifen das ganze Jahr über? Was auf den ersten Blick sinnvoll erscheint, erweist sich bei näherer Betrachtung als kompliziert. Klar ist: Sommerreifen haben auf winterlichen Straßen nichts verloren, und Winterreifen sorgen für die höchste Sicherheit bei Eis, Schnee, Schneematsch und Kälte. Ganzjahresreifen versprechen die Lösung für alle Jahreszeiten, aber in der Praxis zeigt sich, dass sie ein Kompromiss zwischen Sommer- und Winterreifen sind – mit mehr oder weniger ausgeprägten Schwächen. Worauf es bei der Reifenwahl vor Beginn der kalten Jahreszeit ankommt, dazu informierten Experten der Initiative Reifenqualität des Deutschen Verkehrssicherheitsrats und seiner Partner am Lesertelefon. Hier die wichtigsten Tipps zum Nachlesen:

Gilt die Faustregel „O bis O“ noch? Oder soll ich den Reifenwechsel nach dem Thermometer planen?
Axel Sprenger (GTÜ): „O bis O“ – Oktober bis Ostern – ist vor allem eine einprägsame Eselsbrücke, die Autofahrern das Thema Reifen zwei Mal im Jahr ins Bewusstsein ruft. Als starre Regel war O bis O nie gedacht, zumal Ostern ein beweglicher Feiertag ist und sich die klimatischen Bedingungen ändern. Im Grunde genommen geht es darum, sich daran zu erinnern, dass die kältere Jahreszeit andere Anforderungen an die Bereifung stellt – und entsprechend zu handeln. Außerdem gilt in Deutschland die situative Winterreifenpflicht. Bei winterlichen Straßenbedingungen müssen demnach zugelassene Winter- oder Ganzjahresreifen montiert sein.

Worin unterscheiden sich Winter- und Ganzjahresreifen? Wo muss ich Abstriche machen?
Dipl.-Ing. Stefan Ehl (KÜS): Ein Winterreifen besteht in der Regel aus einer sehr weichen Gummimischung und ist mit Lamellen ausgestattet, um guten Grip bei Nässe, Schnee und Eis zu gewährleisten. Seine besonderen Eigenschaften spielt er bei Temperaturen unter sieben Grad Celsius aus. Ein Ganzjahresreifen stellt vom Aufbau her einen Kompromiss aus Winter und Sommerreifen dar. Er soll die Eigenschaften eines Winter- und eines Sommerreifens vereinen. Es liegt in der Natur der Sache, dass dies nur mit mehr oder weniger großen Abstrichen gelingt.

Worauf sollte ich beim Kauf von Ganzjahresreifen achten?
Roman Schneider (Cooper Tires): Vor dem Kauf sollten Sie sich fragen, ob die geografischen Gegebenheiten es zulassen, einen Ganzjahresreifen zu fahren und ob Sie unter bestimmten Wetterbedingungen auf den Einsatz des Autos jederzeit verzichten können. Ansonsten weisen die verschiedenen Ganzjahresreifen spezifische Stärken und Schwächen auf, und es gibt deutliche Unterschiede im Preis. Aktuelle Reifentests können bei der Entscheidung behilflich sein, aber sie bilden nicht das gesamte am Markt erhältliche Angebot ab. Die Auswahl obliegt dem jeweiligen Testinstitut.

Sind die Ergebnisse von Reifentests einer bestimmten Reifengröße auf eine andere Größe übertragbar?
Michael Breuer (ZDK): Vergleichbar sind Testergebnisse grundsätzlich nur für angrenzende Reifengrößen. So kann zum Beispiel angenommen werden, dass die Testergebnisse eines Reifens der Dimension 205/40 ZR18 (86Y) XL im Wesentlichen auf dasselbe Modell in der Größe 215/40 ZR18 (89Y) XL übertragbar sind. Sie sollten sich jedoch stets vor Augen halten, dass Testergebnisse von weiteren Faktoren wie Fahrzeugklasse, Antriebsart oder den Umgebungsbedingungen beim Test abhängen. Mein Tipp: Wenden Sie sich für eine fundierte Beratung an einen Meisterbetrieb der Kfz-Innung – schließlich geht es um Ihre Sicherheit.

Welche Mindestprofiltiefe gilt bei Winterreifen?
Yorick Lowin (BRV): In Deutschland gilt nach § 36 StVZO eine gesetzliche Mindestprofitiefe von 1,6 Millimetern für alle Reifen, egal ob Sommer-, Winter- oder Ganzjahresreifen. Ungeachtet dieser gesetzlichen Vorgaben empfehlen ADAC und DVR ebenso wie der BRV, Winterreifen bereits bei vier Millimetern Restprofiltiefe zu wechseln, da mit abnehmbarer Profiltiefe Sicherheitseigenschaften wie Grip oder ein kurzer Bremsweg stark absinken.

Sind Ganzjahresreifen unter dem Strich günstiger als der Wechsel zwischen Sommer- und Winterreifen?
Welf Stankowitz (DVR): Ganzjahresreifen sind in der Regel etwas teurer als Sommer- oder Winterreifen. Allerdings ist ihre Haltbarkeit aufgrund des höheren Abriebs im Sommer geringer. Man spart sich jedoch die Umrüstkosten. Viel wichtiger als die Kostenrechnung ist aber die Betrachtung der Sicherheit. Nur ein kleiner Blechschaden, weil man unverhofft ins Rutschen kam, kann wesentlich teurer werden als ein guter Satz Sommer- und Winterreifen. Darüber hinaus hat man noch den Vorteil, dass beim regelmäßigen Wechsel die eigenen Reifen fachkundig auf Verschleiß und Schäden untersucht werden.

Sind Ganzjahresreifen auch im europäischen Ausland erlaubt?
Axel Sprenger (GTÜ): In den meisten europäischen Nachbarländern gilt, ähnlich wie in Deutschland, eine situative Winterreifenpflicht. Ein Ganzjahresreifen, der die Winterreifenkennzeichnung mit Schneeflockensymbol und die M+S Kennung aufweist, ist dort als Winterreifen erlaubt. In Österreich gilt die situative Winterreifenpflicht vom 1. November bis 15. April – mit einem Unterschied zu Deutschland: Die gesetzlich vorgeschriebene Mindestprofiltiefe bei Winterreifen liegt dort bei vier Millimetern. Weitere Informationen zu den Regelungen im Ausland finden Sie auf der Internetseite der Initiative Reifenqualität.

Meine Winterreifen sind jetzt bei knapp über vier Millimeter Restprofil. Kann ich sie einfach nach dem Winter den Sommer über „runterfahren“?
Welf Stankowitz (DVR): Wer seine Winterreifen im Sommer herunterfahren möchte, handelt sich ein schwammiges Fahrgefühl, eine schlechte Kurvenstabilität sowie wesentlich längere Bremswege ein. Man sollte auf diese Gefährdungen lieber verzichten und rechtzeitig auf Sommerreifen umstellen, auch wenn der Gesetzgeber dies nicht vorschreibt.

Ich will den Wechsel von Sommer- auf Winterreifen selbst machen. Worauf muss ich achten?
Dipl.-Ing. Stefan Ehl (KÜS): Auf eine ganze Menge Dinge: Geeignetes Werkzeug einschließlich eines Drehmomentschlüssels; die Möglichkeit, das Fahrzeug sicher und schadenfrei anzuheben; das Reifendruckkontrollsystem; passende Radschrauben für den jeweiligen Radsatz. Bei so vielen sicherheitskritischen Punkten können Fehler schwerwiegende Folgen haben. Deshalb sollte man den Wechsel besser dem Fachhandel überlassen, zumal der auch für die fachgerechte Einlagerung des jeweils nicht benötigten Radsatzes sorgt.

Kann ich bei einem Fahrzeug mit Allradantrieb auf spezielle Winterreifen verzichten?
Roman Schneider (Cooper Tires): Das ist keine gute Idee. Der Allradantrieb ist zwar sehr hilfreich bei winterlichen Bedingungen, kann aber den Winterreifen keinesfalls ersetzen. Beim Bremsen auf Schnee und Eis beispielsweise hilft Ihnen der Allradantrieb gar nicht – ein ordentlicher Winterreifen schon.

Darf ich Reifen mit der alten M+S Kennzeichnung weiterhin im Winter fahren?
Yorick Lowin (BRV): Reifen, die bis zum 31. Dezember 2017 produziert wurden und nur mit einer M+S Kennzeichnung versehen sind, gelten noch bis zum 30. September 2024 als Winterreifen. Alle Reifen, die ab dem 1. Januar 2018 produziert wurden, müssen zusätzlich mit dem Schneeflockensymbol – auch Alpine-Symbol genannt – gekennzeichnet sein. Nur dann dürfen sie bei Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte als Winterreifen eingesetzt werden. Übrigens: Wie alt ihre Reifen sind, können Sie an der DOT Nummer auf der Reifenflanke ablesen: Die beiden ersten Ziffern stehen für die Kalenderwoche, die letzten beiden für das Produktionsjahr.

Ich fahre nur wenige Kilometer im Jahr. Muss ich meine Reifen irgendwann „altersbedingt“ erneuern?
Michael Breuer (ZDK): Obwohl der Gesetzgeber keine Wechselfristen vorschreibt und die Gummimischungen von Reifen Alterungsschutzmittel enthalten, sind ihre Reifen irgendwann „fällig“. Feuchtigkeit, Kälte, Hitze, Ozon und UV-Strahlung lassen Reifen mit der Zeit spröde, porös und rissig werden. Allerspätestens nach zehn Jahren sollten sie ersetzt werden. Reifen mit geringen jährlichen Fahrleistungen sollten bereits nach sechs Jahren ersetzt werden, da sie im Vergleich zu regelmäßig gefahrenen Reifen besonders schnell altern. Darüber hinaus empfehlen manche Fahrzeug- und Reifenhersteller verkürzte Wechselintervalle, die Sie beachten sollten.

Die Experten am Lesertelefon waren: 
• Welf Stankowitz; Referatsleiter Fahrzeugtechnik, Deutscher Verkehrssicherheitsrat (DVR), Bonn 
• Michael Breuer; Referent Abteilung Technik, Sicherheit, Umwelt; Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe e.V. (ZDK), Bonn
• Yorick Lowin; Geschäftsführer Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk e.V. (BRV), Bonn
• Axel Sprenger: Technischer Leiter (stv.) der GTÜ Gesellschaft für Technische Überwachung mbH, Dortmund
• Dipl.-Ing. (FH) Stefan Ehl; Prüfingenieur der Kraftfahrzeug-Überwachungsorganisation, freiberuflicher Kfz-Sachverständiger e.V. (KÜS), Losheim am See
• Roman Schneider; Vertriebsleiter Deutschland, Cooper Tire & Rubber Company Deutschland GmbH, Dreieich

Weitere Informationen:

www.reifenqualitaet.deInformationsangebot der Initiative Reifenqualität des Deutschen Verkehrssicherheitsrats e.V. (DVR) und seiner Partner

Autor:

Kraichgau News Ratgeber aus Bretten

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