Interview mit Tilmann Distelbarth, Verleger der Heilbronner Stimme
„Guter Journalismus muss unterrichten, bilden und anregen“

 Der Verleger der Heilbronner Stimme, Tilmann Distelbarth. | Foto: archiv
  • Der Verleger der Heilbronner Stimme, Tilmann Distelbarth.
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Bretten/Heilbronn (swiz) Der Verleger der Heilbronner Stimme, Tilmann Distelbarth, spricht im Interview über die Veränderungen, die das Digitale Zeitalter für den Journalismus bringt. Der führende Kopf der Muttergesellschaft der Brettener Woche betont zudem die Notwendigkeit eines fundierten Qualitätsjournalismus, gerade auch im Lokalen, zeigt aber auch die Herausforderungen auf, mit denen ein modernes Medienhaus in der heutigen Zeit zu kämpfen hat.

Der Medienkonsum unserer Gesellschaft hat sich, vor allem auch durchden Einfluss des Internets und der sozialen Medien, stark verändert. Veränderungen, die auch die Zeitungsverlage zu spüren bekommen. Wo sehen Sie vor diesem Hintergrund die Rolle der Wochenzeitungen wie der Brettener Woche, gerade auch im Hinblick auf die aktuell herrschende Corona-Krise?
Tilmann Distelbarth: Lokalnachrichten haben auch in Zeiten des World Wide Web unverändert ihre Berechtigung. Die Menschen sind auch weiterhin neugierig, was um sie herum passiert. Das Internet bietet weitere Möglichkeiten, Lokalnachrichten aus Bretten und dem Umfeld zu publizieren und jeder kann dann selbst entscheiden, ob er die Brettener Woche oder kraichgau.news lesen möchte. Ich bin überzeugt davon, dass die Presse, ob gedruckt oder online, gestärkt aus der Corona-Krise hervorgehen wird, wenn sie ihre Aufgabe gewissenhaft, unabhängig und im Dienste der Leser wahrnimmt.

Trotz gut gemachter Print-Produkte,kann sich kein Verlag mehr einen Verzicht auf Online-Nachrichtenportale wie stimme.de oder kraichgau.news leisten. Wie ordnen Sie die Rolle des Online-Journalismus ein?
Die Stärke von kraichgau.news als lokalem Online-Portal ist seine Schnelligkeit, nahezu in Echtzeit können Nachrichten verbreitet werden, bei Live Streams sogar ohne Zeitverzögerung. Das ist, gerade auch für eine Wochenzeitung wie die Brettener Woche, ein immenser Vorteil. Gleichzeitig birgt die Schnelligkeit aber auch eine große Gefahr, denn ein guter Journalist, und das gilt für Online-Portale wie auch für gedruckte Zeitungen, braucht Zeit, eine Nachricht zu recherchieren, die Quellen zu hinterfragen und gegebenenfalls verschiedene Standpunkte einzuholen. Wer nur schnell publizieren will, kann leicht seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen.

Die Stärke der Wochenzeitungen, print wie online, beruht in erster Linie auf einer umfassenden lokalen Berichterstattung. Was sind für Sie die größten Anforderungen an einen guten Lokaljournalismus?
Der Grundimpuls eines Lokaljournalisten ist sein Drang, lokale Nachrichten und Themen, die bewegen, schnell und umfassend an möglichst viele Leser zu bringen. Dabei muss sauber recherchiert und fair gearbeitet werden. Gleichwohl gilt es Missstände klar zu benennen und Kritik an den Verantwortlichen zu üben. Das ist kein Zuckerschlecken und erfordert ein hohes Maß an kommunikativer Professionalität, denn im Lokalen begegnet man sich am nächsten Tag wieder und geht weiter in den Dialog. Da ist es schon leichter die Bundesregierung oder die Landesminister zu kritisieren.

Die Wochenzeitungen haben, wie im Übrigen auch die Tageszeitungen, mit hohen Kostensteigerungen in vielen Bereichen zu kämpfen. Wo verorten Sie wirtschaftlich die größten Herausforderungen für die Tages- und Wochenzeitungsverlage?
Der Strukturwandel im Einzelhandel schreitet voran, der Trend geht zu größeren Einheiten, zu Filialisierung und natürlich zum Online-Handel. Das verändert die Innenstädte und macht dem örtlichen Handel zu schaffen, von dem auch die Zeitungen durch die Anzeigen und Beilagen leben. Zudem wird es auch wegen der guten Beschäftigungssituation in der Region zunehmend schwerer, Mitarbeiter für die Zustellung der Zeitungen zu finden, auch wenn sich die finanzielle Situation der Zusteller durch den Mindestlohn deutlich gebessert hat. Die Leser erwarten zu Recht, dass die Zeitung pünktlich und zuverlässig im Briefkasten ist.

Wie geht das Medienhaus der Heilbronner Stimme als Muttergesellschaft der Brettener Woche mit diesen Herausforderungen um?
Die digitale Transformation, die viele Branchen betrifft, bedeutet für uns eine konsequente Ausrichtung, weitere digitale Produkte und Geschäftsmodelle zu entwickeln. Dazu sind einerseits Investitionen in Technologie notwendig, aber auch in die Qualifikation der Mitarbeiter. Wichtig ist dabei mehr denn je, sich an den Wünschen und Interessen der Kunden und Leser zu orientieren.

Eine etwas fatalistische Frage zum Abschluss: Sehen Sie eine Zukunft für die Branche der Print-Zeitungen?
Ich glaube, dass die gedruckte Zeitung noch viele Jahre eine hohe Akzeptanz haben wird. Aber viel wichtiger als die Frage des gedruckten Wortes ist die Grundidee dahinter: Qualitätsjournalismus, der umfassend informiert und den Lesern eine Orientierung bietet. Die Gründungsverleger haben das vor fast 75 Jahren im ersten Leitartikel der Heilbronner Stimme so formuliert: Guter Journalismus muss unterrichten, bilden und anregen. Das gilt damals wie heute – ob gedruckt oder online, ist dabei zweitrangig, auf den Inhalt kommt es an.

Das Interview führte Brettener Woche/kraichgau.news-Redaktionsleiter Christian Schweizer.

Mehr lesen Sie auf unserer Themenseite 40 Jahre Brettener Woche.

Autor:

Christian Schweizer aus Bretten

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