"Werdet Hebammen, bleibt Hebammen"
Hebamme erzählt über die großen Herausforderungen im Beruf

Hebamme Olivia Gedrat. | Foto: privat
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Oberderdingen (hk) Den Beruf der Hebamme gab es schon im Altertum. Lange vor Gesundheitssystemen, Krankenkassen und Kreißsälen war es das Wissen der Hebammen, das Müttern half, ihre Kinder auf die Welt zu bringen. Dies ist auch heute noch der Fall. Die 25-jährige Olivia Gedrat, Hebamme aus Oberderdingen, erklärt im Gespräch mit der Brettener Woche/kraichgau.news unter anderem, warum es vielerorts zu wenige Geburtshelferinnen und -helfer gibt.

Frau Gedrat, wie sind Sie zur Hebamme geworden?
Schon immer habe ich ein Interesse für medizinische Berufe gehegt. Durch ein Praktikum bin ich zu dem Beruf der Hebamme gekommen. Es war Liebe auf den ersten Blick! Meine Ausbildung begann 2017 in Heilbronn. Aufgrund der Nähe dorthin konnte ich in Oberderdingen wohnen bleiben. Seit 2020 übe ich den Beruf aus und seit Sommer 2021 bin ich freiberufliche Hebamme.
Schon während der Schwangerschaft stehe ich den Familien zur Seite und kümmere mich um Vorsorgeuntersuchungen und Geburtsvorbereitungskurse. Auch nach der Geburt begleite ich Mütter und #%unterstütze sie in der Wochenbettbetreuung, in Rückbildungskursen und beantworte auch später alle auftauchenden Fragen in Bezug auf das Muttersein.

Wie schätzen Sie die aktuelle Versorgungssituation mit Hebammen ein und welche Herausforderungen sehen Sie dabei?
Quantitativ mag es auf den ersten Blick nach einer großen Anzahl an Hebammen klingen. Doch eine objektive Betrachtung ist hier angebracht. Tatsächlich handelt es sich hier in der Region ausschließlich um Frauen, von denen wiederum die meisten selbst Kinder haben. Das führt dazu, dass ein Großteil der Hebammen in Teilzeit arbeitet. Viele sind zwischendurch in Elternzeit. Dadurch mag es auf den ersten Blick so aussehen, als ob es ausreichend wäre, doch die Realität sieht anders aus. In Bretten beispielsweise gibt es meiner Kenntnis nach lediglich zwei aktive Hebammen, was bei Weitem nicht ausreicht, um den Bedarf zu decken. Daher helfe ich auch in Bretten aus. Trotzdem reicht es nicht aus. Vor allem im ländlichen Raum sind wir schlecht aufgestellt, was insbesondere die Situation der freiberuflichen Hebammen erschwert.
Abrechnungen erfolgen stets pauschal, und diese Pauschalen sind bedauerlicherweise sehr gering bemessen. Ein Beispiel dafür ist die Wochenbett-Betreuung, die im ländlichen Raum eigentlich eine unserer Hauptaufgaben darstellt. Trotzdem erhalten wir hierfür vergleichsweise wenig. Das frustriert natürlich ganz viele, was wiederum dazu führt, dass einige den Schritt in die Freiberuflichkeit gar nicht erst wagen. Aber es besteht ja generell ein Mangel an Hebammen.

Wie stellt sich die Situation in den Kliniken dar?
In den Kliniken hat man genau das gleiche Problem, dass es schlichtweg zu wenige Hebammen gibt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Situation in Mühlacker, wo zwar ein Kreißsaal vorhanden ist, jedoch wiederum die Hebammen fehlen. Das liegt unter anderem daran, dass viele Hebammen in den Kreißsälen stark überlastet sind. Es ist bedauerlich, dass Hebammen nach einigen Jahren den Beruf wechseln, weil sie sagen, das machen sie alles nicht mehr mit. Obwohl die Geburtenzahlen nicht abnehmen, nimmt leider die Anzahl der verfügbaren Hebammen ab.

Welche finanziellen und bürokratischen Herausforderungen gibt es?
Obwohl ich persönlich nicht davon betroffen bin, betrifft dies doch alle Hebammen, die Hausgeburten oder Geburten in Geburtshäusern durchführen: Diese müssen eine Haftpflichtversicherung mit geburtshilflicher Tätigkeit abschließen, die sehr kostspielig ist und derzeit bei 12.000 Euro im Jahr liegt. Diese Summe muss vorgestreckt werden, was insbesondere für junge Kolleginnen sehr schwierig zu bezahlen ist. Die Versicherungsbeiträge steigen zudem jährlich. Demgegenüber stehen die unzureichenden Pauschalen für die Geburtshilfe, was sich für viele Hebammen nicht rentiert.
Darüber hinaus haben wir einen erheblichen Aufwand für Büroarbeiten. Wir müssen alle Leistungen abrechnen und alle Rechnungen an die Krankenkassen schicken. Das kostet uns viel Zeit im Büro, während die Hebammen in der Klinik umfangreiche Dokumentation erstellen müssen.

Was könnte getan werden, damit sich die Lage verbessert?
Eine konkrete Möglichkeit zur Verbesserung der Lage von Hebammen bestünde darin, die Pauschalvergütungen anzupassen, insbesondere für freiberufliche Hebammen. Eine angemessene Bezahlung würde den Beruf natürlich deutlich attraktiver gestalten und angesichts der Inflation wäre das angebracht.
In Bezug auf Hebammen in Krankenhäusern habe ich das Gefühl, dass sie nicht unbedingt ein höheres Gehalt fordern, sondern vielmehr eine bessere Arbeitsumgebung wünschen. Es wäre denkbar schön, im Kreißsaal zu arbeiten, wenn die Schichten nicht überfüllt sind und eine Hebamme sich voll und ganz auf eine Geburt konzentrieren kann, anstatt gleichzeitig für vier Geburten zuständig zu sein.

Müssen Sie auch mal Anfragen von Eltern ablehnen?
Ja, wir müssen oft viele Absagen erteilen, und das tut uns natürlich immer total leid. Besonders im Sommer entsteht eine große Lücke, da Hebammen in den Sommerferien mit ihren eigenen Kindern beschäftigt sind. Wer Kinder im August plant, kann möglicherweise ohne Hebamme dastehen. In solchen Situationen wünsche ich mir, dass ein größeres Netzwerk vorhanden wäre, um werdenden Müttern zu helfen und sie unterzubringen.
Es ist daher wichtig, dass der Beruf attraktiver wird, sowohl für junge Frauen als auch für Männer, die darin ihre Zukunft und Gestaltungsmöglichkeiten sehen. Nur so können letztendlich Kreißsäle wie in Mühlacker besetzt werden. Der Beruf bietet so viele spannende Möglichkeiten: die Arbeit im Kreißsaal, freiberufliche Tätigkeit oder die Arbeit als Familienhebamme in enger Zusammenarbeit mit Jugendämtern. Doch Hebammen werden leider ausgebrannt und verlieren die Motivation, weiterzumachen.
Ich finde: Je mehr wir sind, die ihre Stimme erheben, umso mehr Chancen haben wir.

Wie lautet ihr Appell an interessierte Jugendliche?
Zunächst einmal möchte ich auch Männer ermutigen, unseren Beruf zu ergreifen. Allerdings müssen sie dabei auch große Herausforderungen bewältigen, da ihre Präsenz nicht immer positiv aufgenommen wird. Für mich persönlich wäre es eine ungemeine Bereicherung, und ich vermute, dass es auch für die Familien eine Bereicherung wäre – sie würden auch männliche Hebammen annehmen. Zumal können Männer genauso empathisch sein wie Frauen. Und man sieht ja bereits in der Pflege und im Rettungsdienst, dass Männer dort gut vertreten sind.
Mein Appell an Jugendliche lautet: Werdet Hebammen und bleibt Hebammen. Gestaltet den Beruf aktiv mit!

Die Fragen stellte Redakteurin Havva Keskin.

Autor:

Havva Keskin aus Bretten

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