Interview mit Oberbürgermeister Martin Wolff: "Konsolidierung wird eine Delle bekommen"

Interview mit Oberbürgermeister Martin Wolff zum Finanzhaushalt der Stadt Bretten, zur Konkurrenz im Einzelhandel und zu den Folgen des Klimawandels für die Melanchthonstadt.
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Interview mit Oberbürgermeister Martin Wolff zum Finanzhaushalt der Stadt Bretten, zur Konkurrenz im Einzelhandel und zu den Folgen des Klimawandels für die Melanchthonstadt.

Bretten.
Sie haben jüngst Wirtschaftsminister Olaf Scholz mit dem Satz zitiert: „Die fetten Jahre sind vorbei.“ Was bedeutet das für Bretten?
Im Eckwertebeschluss haben wir für 2019 etwa 3,5 Millionen Euro Schulden eingeplant. Wir werden aber mit deutlich weniger auskommen. Auch 2020 wird noch schwierig werden. Das bedeutet sorgsames Planen, damit man nicht Dinge anschiebt, die hohe Folgekosten nach sich ziehen. Bei der Haushaltsplanung gehen wir immer so vor: Sicherheit zuerst, das heißt zum Beispiel Brand- und Hochwasserschutz. Dann Funktionalität, damit die Bürger ordentlich leben können, also, dass Schulen, Kindergärten, Sporthallen, Bürgerservice und Feuerwehr funktionieren. Und erst als Drittes kommt, was ich immer „Schöner Wohnen“ nenne, nämlich was wünschenswert, aber nicht notwendig ist. Momentan besteht noch keine Notwendigkeit für Steuererhöhungen oder, dass wir Freiwilligkeitsleistungen zurückfahren. Insofern sind wir noch ganz gut dabei. Aber wir planen auch schon mittelfristig für die nächsten vier bis fünf Jahre und nehmen kommende Investitionen mit in den Blick. Und da zeichnet sich ab, dass wir im Jahr 2020 relativ tief in die Tasche werden greifen müssen. Das bedeutet, dass der bisher erfolgreiche Konsolidierungskurs dann mit Sicherheit eine Delle bekommen wird.

Der Schuldenabbau legt also eine Pause ein. Ab wann wird die Stadt wieder Schulden abbauen können?
Ich gehe aus heutiger Sicht davon aus, dass wir ab 2022 wieder Schulden abbauen können. Aber die Rahmenbedingungen können sich schnell ändern, wie man bei der Krise 2010 gesehen hat. Und bei der nächsten Krise muss man so aufgestellt sein, dass man bei schwächelnder Konjunktur investieren kann.

Unser Wirtschaftsmodell ist auf Wachstum ausgerichtet: In Zyklen erschallt aber stets der Ruf nach mehr Gewerbe- und Industriegebieten sowie Wohngebieten. Andererseits sind die zur Verfügung stehenden Flächen begrenzt. Wie kann dieser Konflikt gelöst werden?
Wir werden irgendwann an dem Punkt sein, wo es heißt: Ende Gelände. Aber an diesem Punkt sind wir noch nicht. Wir haben für Bretten einen Flächennutzungsplan, der noch bebaubare Flächen ausweist. Die Fortschreibung des Regionalplanes steht jetzt an. Mit dem Regionalverband sind wir bereits im Austausch, welche Flächen für Wohnbau- und Gewerbegebiete wir für die nächsten Jahre benötigen. Aber feststeht: Egal, wo ich eingreife, es wird möglicherweise Betroffenheiten auslösen. Beim Wohnraum werden wir in die Höhe bauen müssen. Auch das Thema Innenentwicklung ist mir ein Anliegen, das heißt noch offene Flächen einer Nutzung zuzuführen. Und der Spagat zwischen Naturschutz, Flächenverbrauch und –versiegelung und den benötigten Flächen für Wohnen und Gewerbe wird nicht einfach sein.

Bretten hat schon unangenehme Erfahrungen mit dem Klimawandel machen müssen: Überschwemmungen durch Starkregen, Trockenheit und Hitze: Was tut die Stadt, um die Folgen des Klimawandels für die Bürger abzumildern?
Bei Hitze können wir nur Sonnenschirme kaufen. Beim Thema Hochwasser arbeiten wir unser acht Millionen-Schutzprogramm nach Prioritäten ab. Manchmal, insbesondere, wenn wir dazu Privatgelände brauchen, ist das eine zähe Sache. Ein dichteres Pegelsystem ist ausgeschrieben. An der Weißach in Freudenstein haben wir schon auf eigene Kosten einen elektronischen Pegel installiert. Künftig werden alle Pegel elektronisch sein und ich will, dass sie direkt aufs Handy melden. Private Vorschläge zum Hochwasserschutz lassen wir durch Fachleute prüfen. Beispiel Großer Wald: Das lassen wir untersuchen und werden eventuell unsere Planungen erweitern. Stichwort Starkregen: Wir haben inzwischen Gefahrenkarten. An den Rändern von neuen Baugebieten werden wir Wasserableitsysteme einplanen. Außerdem sind wir dabei zu prüfen, ob ein Starkregenfrühwarnsystem für Bretten tauglich ist und wo es aufzubauen wäre. Ich will mir demnächst in Bayern eine andere Kommune anschauen, in der es so etwas schon gibt.

Ein großes Thema ist der geplante Neubau des Brettener Polizeireviers. Gibt es da schon weitergehende Planungen?
Ich unterstütze gerne die Polizei bei der Suche nach einem guten neuen Standort. Aber zuerst müssen wir in der Verwaltung wissen, welchen Platzbedarf die Polizei hat. Wenn das vorliegt, dann können wir schauen, wo in der Stadt es passt. Ich sehe aber das Potenzial für ein neues Polizeirevier im Herzen der Stadt.

Auch die Feuerwehrwache in Bretten ist in der Diskussion. Der Kommandant der Wehr, Oliver Haas, sagte in der Brettener Woche, es müsse sich erst noch zeigen, ob aufgrund der gestiegenen Anforderungen ein Neubau oder eine Sanierung sinnvoller sei.

Ich sehe den Standort der Brettener Feuerwehrwache nicht in Diskussion, nachdem wir gerade in den Ausbau der Atemschutz- und Schlauchwerkstatt investiert haben. Natürlich brauchen wir zusätzliche Büroräume, aber die werden wir schaffen. Im Übrigen ist unser Feuerwehrhaus in einem ordentlichen Zustand. Ebenso ist der Standort unstrittig.

Immer wieder kommt aus den Stadtteilen Kritik, gerade wegen der dort aussterbenden Nahversorgung oder der schlechteren Infrastruktur. Werden die Stadtteile in Bretten abgehängt?

Nein, das glaube ich nicht. Im Alltag der meisten Bürger in den Stadtteilen spielt das Thema eigentlich keine Rolle. Wenn dann aber plötzlich eine altbekannte Einrichtung schließt, dann ist das ein unmittelbarer Aufreger. Man muss aber auch sehen, warum sich Banken oder Lebensmittler aus den Stadtteilen zurückziehen. Die Menschen vor Ort haben bereits mit den Füßen abgestimmt was sie brauchen und was nicht. Es ist deshalb sehr schwierig, dort einen stationären Lebensmittelhandel zu betreiben. Das liegt wie gesagt zum einen an der mangelnden Nachfrage, zum anderen aber auch an der starken Konkurrenz, durch zum Beispiel Discounter in der Stadt. Durch den mobilen Einkaufsladen „Siegfrieds rollender Supermarkt” als Nachfolger für das CAP-Mobil kann nun aber den Menschen geholfen werden, die eine Einkaufsmöglichkeit vor Ort benötigen. Das gleiche gilt für die Banken. Das Online-Banking hat immer mehr zugenommen, und die Menschen gehen weniger in die Filialen. Und für alle, die das nicht wollen, bieten viele Banken einen Geldbring-Service und einen Home-Service zum Erledigen der Bankgeschäfte an.

Stichwort Ansiedlung Osiander-Buchhandelskette: Kann es Aufgabe der Stadt sein, durch Ansiedlung eines Wettbewerbers einem ortsansässigen Einzelhandelsunternehmen Marktanteile streitig zu machen? Oder hat die Stadt gegenüber den ortsansässigen Firmen nicht auch eine Fürsorgepflicht?

Gegenfrage: Ist es Aufgabe der Stadt, Konkurrentenschutz zu betreiben? Wir haben uns in einer Untersuchung bestätigen lassen, dass die Große Kreisstadt Bretten Potenzial für zwei Buchläden hat. Ich habe außerdem viele Nachfragen erhalten, warum es keinen Buchladen in der Stadtmitte gibt.

Aber ist es nicht ein Unterschied, wenn die Stadt aktiv auf Firmen zugeht?

Aber wen darf ich dann alles nicht anschreiben? Vor allem: Die Kolibri-Inhaberin hatte das Angebot von uns, in die Weißhofer Galerie zu ziehen. Ich hätte sie gerne in der Stadt-mitte gesehen.

Können Sie die Sorge derjenigen verstehen, die sich fragen: Welcher Einzelhandelsbranche macht die Stadt mit ihrer Ansiedlungspolitik als nächstes Konkurrenz?

Konkurrenz belebt das Geschäft. Es kommen viele Mensch nach Bretten, weil sie hier Auswahl haben. Aber ich will auch sagen: Ich bin dankbar, dass es die Buchhandlung Kolibri gibt. Schon wegen der vielen dortigen kulturellen Veranstaltungen.

Kommen wir zu den Brettener Bauprojekten: Könnte die Weißhofer Straße nicht schon umgestaltet sein, wenn man voriges Jahr, also gleich nach dem Stadtjubiläum, damit angefangen hätte?
Nein. Wir haben uns das Projekt unter Ablaufgesichtspunkten näher angeschaut. Bevor wir mit der oberirdischen Umgestaltung beginnen können, muss erst der ganze Unterbau, mit den Versorgungsleitungen erneuert werden. Das verlängert die Bauzeit auf gut zweieinhalb Jahre. Im Prinzip zählt das Projekt auch zum Bereich „Schöner Wohnen“. In das Projekt Weißhofer Straße muss die Pforzheimer Straße mit einbezogen werden. Und mit dieser müssen wir auch ablauftechnisch beginnen (von unten nach oben) und zwar ab der Georg-Wörner-Straße. Ab 2021 planen wir eine schönere Weißhofer und Pforzheimer Straße.

Wie von der Firma Südbau zu hören ist, errichtet sie demnächst auf dem Mellert-Fibron-Gelände das dritte Gebäude des Dienstleistungszentrums. Wie geht es dort sonst weiter?
Als Nächstes ist angedacht, das Parkhaus als Lärmschutzriegel zur Bahnstrecke zu bauen. Wir werden einen Großteil der Parkplätze vermieten, um die Parkplatzprobleme zu lösen. Was wir dort noch weiter entwickeln, will ich dann mit dem neuen Gemeinderat beraten.

Thema Kinderbetreuung. Momentan macht sich die SPD in Baden-Württemberg für gebührenfreie Kindergärten stark. Ist das aus Ihrer Sicht ein gangbarer Weg, um einkommensschwache Familien zu entlasten?
Grundsätzlich halte ich geringe Kindergartengebühren für Eltern für eine gute Sache. Aber wo soll das Geld herkommen? Man muss wissen, wie viel Prozent eines KiTa-Platzes von den Eltern finanziert werden: In Bretten sind das momentan 14 Prozent, vor ein paar Jahren waren es noch 17 Prozent. Zur Info: Die Stadt wendet jährlich insgesamt rd. 9,4 Millionen Euro für die Kindergärten auf.

Haben Sie eine andere Idee?
Es gibt einkommensabhängige Modelle zur Entlastung von Geringverdienern unter den Eltern, aber die sind in der Praxis schwer umzusetzen. Denn ich brauche immer Nachweise. Das verursacht zusätzliche Bürokratie. Eine Grenze festzulegen, wer weniger zahlen soll, ist ein schwieriges Unterfangen. Mit dem bisherigen System sind wir gut gefahren. Es gibt eine Ermäßigung für das zweite und dritte Kind und es gibt Kindergeld. Mein Gedanke wäre, die Entlastung von Staatsseite über Steuererleichterungen und – einkommensabhängig – über das Kindergeld zu steuern. Aber natürlich: Als Vater hätte ich mich auch gefreut, wenn ich damals nichts oder weniger hätte für den Kindergarten bezahlen müssen.

Was tut denn die Stadt ansonsten, um einkommensschwachen Familien und Einzelpersonen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen?
Vorab sei gesagt, dass für den Sozialbereich der Landkreis zuständig ist. Aber als Stadt haben wir seit Jahren den Kinderpass. Das ist für mich ein wichtiger Punkt. Außerdem gibt es das städtische Kinderferienprogramm und die AWO-Angebote für Kinder und Jugendliche, die wir auch unterstützen. Und unsere Veranstaltung „Sommer im Park“ kostet keinen Eintritt.

Eine Frage zum Abschluss: In Bretten halten sich hartnäckig die Gerüchte, Oberbürgermeister Wolff wird seine zweite Amtszeit nicht komplett erfüllen, sondern früher zurücktreten. Was sagen Sie dazu?
Da kann ich nur sagen: Ich bin für acht Jahre gewählt worden. Und aus heutiger Sicht, gehe ich auch von keinem anderen Zeitraum aus. Aber man weiß natürlich nie, wie sich alles entwickelt.

Die Fragen stellten Christian Schweizer und Chris Heinemann

Mehr Beiträge und Bilder auf unserer Themenseite In Bretten zuhause

Autor:

Christian Schweizer aus Bretten

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