„Online-Hetze ist realer Hass”: Ausschreitungen in Chemnitz sorgen auch in der Region für Entsetzen

Der Hass aus den sozialen Medien wie Facebook, Twitter und Co. schlägt auch immer öfter in realen Hass auf der Straße um. | Foto: Fotolia, momius
  • Der Hass aus den sozialen Medien wie Facebook, Twitter und Co. schlägt auch immer öfter in realen Hass auf der Straße um.
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Die umstrittenen Demonstrationen in Chemnitz nach dem Mord an Daniel H., bei denen es am Rande auch zu Ausschreitungen und zu regelrechten Hetzjagden von Rechtsextremen auf ausländische Bürger kam, haben auch in der Region Entsetzen ausgelöst.

Region (swiz) Die umstrittenen Demonstrationen in Chemnitz nach dem Mord an Daniel H., bei denen es am Rande auch zu Ausschreitungen und zu regelrechten Hetzjagden von Rechtsextremen auf ausländische Bürger kam, haben auch in der Region Entsetzen ausgelöst. Demonstranten, die öffentlich den Hitlergruß zeigten und rechtsextreme Parolen grölten, vervollständigten das düstere Bild.

"Ausmaß der GEwalt ist beängstigend"

„Ich finde das Ausmaß der Gewalt in Chemnitz beängstigend”, betont auch der Brettener Bürgermeister Michael Nöltner. „Damit wurde eine Schwelle überschritten, die mir Sorgen macht. Denn das waren nicht nur einzelne Personen, die da absolut Maß und Ziel verloren haben. Vor allem zieht sich das bis in die bürgerliche Mitte.” Dass es auch in der Region zu einer solchen Eskalation kommen könnte, hält Nöltner aber für unwahrscheinlich. „Ich denke nicht, dass der Nährboden bei uns dafür groß genug ist. Wir sind es gewohnt, dass Integration stattfindet. Aber wir müssen weiterhin auf diese Integration drängen, um so etwas wie in Chemnitz dauerhaft zu verhindern.” Auch der stellvertretende Leiter des Polizeireviers in Bretten, Ulrich Kritzer, schätzt die Gefahr für ein „Chemnitz in der Region” gering ein. „Es sind in unserem Bereich keine rechtsradikalen Gruppierungen oder eine rechtsextremistische Szene bekannt, so dass ich aktuell davon ausgehe, dass es im Raum Bretten nicht zu solchen Ereignissen kommen würde, auch wenn es einen entsprechenden Auslöser gäbe.” Auch einen relevanten Anteil an rechtsradikalen Straftaten gebe es im Zuständigkeitsbereich des Polizeireviers Bretten nicht.

"Potenzial für einen solchen Ausbruch ist überall vorhanden"

Ganz anders beurteilt der Sozialpädagoge Clemens Beisel die Lage. Er bietet in Unternehmen und an Schulen Workshops zum Spannungsfeld „Smartphones, Soziale Netzwerke und junge Menschen“ an. Vor dem Hintergrund, dass sich die rechtsextremen Demonstrationen vor allem über Aufrufe in den sozialen Medien organisiert haben, sieht er die Gefahr solcher Ausschreitungen überall. „Wenn man mich fragt, ob der Hass aus dem Netz in die reale Welt getragen werden kann und wird, dann lautet meine Antwort ganz klar, ja. Und das geschieht bereits tagtäglich, auch wenn das nicht immer so extrem wie in Chemnitz passiert.” Das Potenzial für einen solchen Ausbruch sei seiner Meinung nach aber überall vorhanden, so Beisel. „Auch im Kraichgau, in Bretten, Pforzheim und Karlsruhe.” In Pforzheim habe sich zum Beispiel 2016 aus einem Social-Media-Aufruf „gegen verschwiegene Gewalt“ schnell eine große Versammlung entwickelt. Entstehen sollte eine Bürgerwehr als Reaktion auf von Flüchtlingen verübte Gewalttaten. Daraus wurde eine Kundgebung mit 700 Teilnehmern. „Nicht im Netz, sondern ganz real, auf dem Marktplatz”, so Beisel. Häufig würden Hetze und Hass in den sozialen Medien aber noch abgegrenzt zum Hass auf der Straße gesehen. „Dabei handelt es sich bei Online-Hasskommentaren bereits um einen sehr realen und ernstzunehmenden Hass, den viele Menschen tagtäglich zu spüren bekommen”, betont Beisel.

"Völlige Polemik, die AfD für die gewaltsamen Ausschreitungen verantwortlich zu machen"

Im Fokus der Kritik, wenn es um die Aufwiegelung zu rechtsextremen Demonstrationen geht, steht auch immer wieder die Partei Alternative für Deutschland (Afd). Zuletzt hatte es harsche Proteste gegeben, weil zwei baden-württembergische Landtagsabgeordnete an den teils eskalierten Protesten in Chemnitz teilgenommen hatten. Der Sprecher des AfD-Ortsverbandes Bretten, Andreas Laitenberger, hält es jedoch „für völlige Polemik, die AfD für die gewaltsamen Ausschreitungen in Chemnitz verantwortlich zu machen”. Und weiter: „Für uns als demokratisch gewählte Partei ist es eine Selbstverständlichkeit, dass das Gewaltmonopol beim Staat liegen muss. Aufrufe zur Selbstjustiz lehnen wir strikt ab.” Ein Risiko, dass sich eine Situation wie in Chemnitz auch in der hiesigen Region wiederholt, sieht Laitenberger nicht. „Lebensqualität und Bevölkerungsstruktur sind hier anders. Daher sehen wir in unserer Region kein Potenzial für Pegida-Demonstrationen. Wir stellen fest, dass die Willkommenskultur hier wesentlich positiver ist als im Osten Deutschlands.” Geschehnisse wie in Kandel, Freiburg und Offenburg hätten aber gezeigt, „dass auch bei uns die Verunsicherung wächst und die Bevölkerung bereit ist, für ein friedliches Miteinander auf die Straße zu gehen und für ihre Sicherheit zu demonstrieren.” Die Stimmung in und um Bretten sei zwar weniger aufgeladen, „aber die meisten lehnen offene Grenzen und eine unkontrollierte Einwanderung ab.”

"Den Entwicklungen entschlossen und offen entgegentreten"

„Miteinander reden, von der Arbeit mit den Geflüchteten erzählen, ihre Fortschritte, zum Beispiel im Sprachunterricht schildern und mitteilen, dass Einige schon länger arbeiten und unbefristete Arbeitsverträge erhalten haben.” Das ist für Petra Schalm, CDU-Gemeinderätin aus Gondelsheim und seit Jahren in der Flüchtlingsarbeit engagiert, das geeignete Mittel, um Hass und Hetze den Nährboden zu entziehen. Demonstrationen wie in Chemnitz hält auch sie in der Region für unwahrscheinlich, schließlich lebe man hier nicht so anonym wie in Großstädten. Dennoch könnten durch gezieltes Streuen entsprechender Artikel über die sozialen Medien negative Reaktionen hervorgerufen werden. „Wenn man auf diesen Seiten unterwegs ist, findet man oft Nachrichten und Bilder, die nicht der Wahrheit entsprechen.” Diesen Entwicklungen müsse man entschlossen und offen entgegentreten, so Schalm.

Autor:

Christian Schweizer aus Bretten

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