Sozial-Management Berater, Markus Wilhelm, spricht über Pflege in der Corona-Krise
"Schönblick braucht volle Unterstützung"

Markus Wilhelm. privat

Bretten (swiz) Der Sozial-Management Berater, Markus Wilhelm, spricht im Interview über die Entwicklungen rund um die Coronavirus-Fälle im Pflegeheim Haus Schönblick in Neibsheim. Zudem betont er, wie wichtig es gerade jetzt ist, den Mitarbeitern in der Pflege Mut zuzusprechen.

Herr Wilhelm, Sie haben sich im Hinblick auf die Coronavirus-Entwicklungen im Pflegeheim Haus Schönblick in Neibsheim an uns gewandt, warum?
Als ich auf kraichgau.news gelesen habe, dass es im Haus Schönblick einen Ausbruch des neuartigen Corona-Virus gab, war ich sehr betroffen, aber (leider) nicht überrascht. Als ich dann allerdings einige Kommentare in den sozialen Netzwerken zu dem betreffenden Artikel gelesen habe, packte mich der Zorn, welcher mich veranlasste, diese Zeilen zu formulieren. Wir haben es mit einer Pandemie zu tun, deren Ausmaße Stand heute nicht zu kalkulieren sind. Niemand hat in irgendeiner Form Erfahrung im Umgang mit diesem Phänomen. Halbwahrheiten, oder noch schlimmer „Halbwissen“, in einem Strudel der Sensationsgeilheit sind nicht nur dumm, sondern auch gefährlich.

Von verschiedenen Seiten kommt auch immer wieder der Vorwurf, in den Heimen werde ohne nötige Schutzausrüstung gearbeitet. Was sagen Sie dazu?
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im gesamten Gesundheitssystem arbeiten seit Wochen teils ohne Schutzausrüstung, das stimmt. Aber es dürfte inzwischen auch dem Letzten nicht entgangen sein, dass selbst unsere politischen Strippenzieher Mühe haben, ausreichendes Material zu beschaffen. Ein Feuerwehrmann geht auch nicht ohne Atemschutz in einen verrauchten Raum. Unsere Pflegekräfte tun dies allerdings jeden Tag – und zwar in tiefer Verantwortung für die ihnen anvertrauten Menschen. Wir können keine Produktionsbänder abschalten und auf Grundlage von Kurzarbeit zu Hause sein. Ohne dabei die Situation von diesen betroffenen Arbeitnehmern zu schmälern – ich erfasse sehr wohl die Tragik für unsere gesamte Gesellschaft beziehungsweise Wirtschaft.

Oft heißt es auch, Pflegekräfte würden nicht flächendeckend auf den Virus getestet. Wie beurteilen Sie solche Äußerungen?
Dazu kann ich nur die Medienquellen bemühen, in denen es heißt, dass es neben mangelnder Schutzausrüstung auch nicht genügend Testmaterial gibt. Dies soll sich wohl aktuell ändern. Da ich vereinzelt mit Altenhilfeeinrichtungen in Kontakt komme, wollte ich mich selbst testen lassen. Ein Anruf beim Gesundheitsamt zeigte dann aber, dass ich eben nicht getestet werde, weil ich keine Symptome habe, nicht aus einem Risikoland komme (wobei das RKI zwischenzeitlich die ganze Welt als Risikogebiet betrachtet) und nicht nachweislich mit einem infizierten Menschen in Kontakt war. Überdies ist es ja so, dass ich zwar heute getestet werden kann, aber das Ergebnis erst 48 Stunden später vorliegt. In der Zwischenzeit kann ich mich ja anstecken und mein Ergebnis bleibt dann dennoch negativ. Insofern betrachte ich die Statistiken sehr kritisch, da die Dunkelziffer schlicht nicht erfasst werden kann. In Wahrheit weiß keiner von uns, ob er eine Infektion hat oder nicht – daher auch die Ausgangsbeschränkungen. Ich bin sehr gespannt auf die Antikörpertests, die anzeigen, wann jemand nach einer Erkrankung wieder genesen ist und sich selbst immunisiert hat. Da wäre dann eine Gewissheit, dass diese Menschen nicht weiter infizieren können.

Sie sind als Berater und Experte mit vielen Heimen in Kontakt. Wie erleben Sie die derzeitige Situation vor Ort?
Pflegeheime stehen seit der Schließung für Besucher Mitte März in einem unglaublichen Spannungsfeld. Bewohner dürfen keine Besuche empfangen, Angehörige wissen nicht wie es den Menschen geht, verstorbene Menschen können nicht mehr adäquat verabschiedet werden und vieles mehr. Mitarbeiter mussten und müssen bei Verdachtsinfektionen in Quarantäne, mit der Folge, dass die ohnehin dünne Personaldecke noch dünner wird. Eine Mehrbelastung, die sich die teils selbst ernannten Profis in den sozialen Netzwerken noch nicht einmal vorstellen können. Denen Menschen möchte ich sagen: Einfach mal den Mund halten und sich selbst an die Regeln halten, die von der Landesregierung, respektive der Stadt, als verbindlich herausgegeben wurden. Mitarbeiter können auch ohne Infektion betroffen sein, zum Beispiel, wenn der Partner in Kurzarbeit ist und plötzlich Einkommen fehlt. Pflegekräfte arbeiten in Schichtdiensten und haben auch Kinder, die betreut werden müssen. Und trotzdem kommen sie zum Dienst, um pflegebedürftige Menschen durch den Tag zu begleiten. Und auch Träger, Inhaber, Geschäftsführungen oder sonstige Leitungen schlafen nachts nicht mehr, weil sie keine Antwort darauf haben, was passiert, wenn ein Ausbruch geschieht.

Bezogen auf die konkreten Vorfälle im Pflegeheim Neibsheim heißt das?
Das Haus Schönblick braucht gerade jetzt unsere volle Unterstützung. Wir stehen im sinnbildlichen Schulterschluss mit einer Pflegeeinrichtung in unserer Region. Auch wenn wir nicht aktiv helfen und schon gar nicht vermeiden können, dass sich das Virus weiter ausbreitet, können wir zumindest in Respekt, Anerkennung und vor allem Anteilnahme sprechen. Denn diejenigen, die mit einem Ausbruch in einem Pflegeheim umgehen müssen, erleben die Hölle auf Erden und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Geben wir Ihnen die Anerkennung, die sie brauchen. Sprechen wir ihnen Mut zu, wenn sie selbst mutlos sind. Wir können in Zukunft nicht ausschließen, dass noch weitere Häuser unserer Region betroffen sein werden. Bislang wird meiner Beobachtung nach das Mögliche getan, dies zu vermeiden. Insofern halte ich es in diesem Zuge auch für unethisch, die zweideutige Frage in Richtung eines Pflegeheimes zu stellen „Wie das wohl passieren konnte“, wenn ich andererseits in den Einkaufzentren unserer Stadt, die Menschen beobachte, wie sie sich um eine Packung Nudeln oder Klopapier streiten. Wenn es darum geht, seinen eigenen Willen durchzusetzen, wird jedes Mittel recht – und die Abstandsfrage stellt keiner mehr. Manchmal denke ich, dass das wahre Virus unsere Gesellschaft ist.

Die Fragen stellte Brettener Woche-Redaktionsleiter Christian Schweizer.

Mehr finden Sie auf unserer Themenseite Coronavirus.

Autor:

Christian Schweizer aus Bretten

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