Physiotherapeut Gunther Schmidt kämpft für bessere Berufsbedingungen
„Wenn es ans Eingemachte geht, versagt das Gesundheitssystem“

Die Patientenversorgung ist in Gefahr, das machte Physiotherapeut Gunther Schmidt im Gespräch mit Landtagsabgeordneter Andrea Schwarz, Städträtin Ute Kratzmeier und Bundestagsabgeordnetem Danyal Bayaz (von rechts) deutlich.
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  • Die Patientenversorgung ist in Gefahr, das machte Physiotherapeut Gunther Schmidt im Gespräch mit Landtagsabgeordneter Andrea Schwarz, Städträtin Ute Kratzmeier und Bundestagsabgeordnetem Danyal Bayaz (von rechts) deutlich.
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Bretten-Neibsheim (ger) Jeder, der akute gesundheitliche Probleme hat, kann davon ein Lied singen: Bis man eine Diagnose und eine adäquate Behandlung hat, können Wochen vergehen. Wochen, in denen man an schlimmen Schmerzen leidet, in denen man nicht arbeiten kann, in denen man am deutschen Gesundheitssystem zweifelt. Auch die andere Seite stellt dieses System immer mehr in Frage: Physio- und Ergotherapeuten, Logopäden, alle, die unter dem Überbegriff „Heilmittelerbringer“ subsumiert werden, machen deutschlandweit auf ihre Situation und die ihrer Patienten aufmerksam. Einer von ihnen ist der Physiotherapeut Gunther Schmidt aus Bretten-Neibsheim.

Therapeuten am Limit

Inspiriert vom Frankfurter Kollegen Heiko Schneider, der den Protest unter dem Stichwort „Therapeuten am Limit“ initiiert hatte, setzte Schmidt sich im Frühjahr an seinen Schreibtisch und schrieb einen ausführlichen Brief über die zunehmend unerträgliche Situation an Landrat Christoph Schnaudigel. „Schlussendlich sind ja die Landkreise dafür verantwortlich, dass eine Patientenversorgung gewährleistet ist“, erläutert Schmidt. Und die sehen Therapeuten landesweit erheblich in Gefahr. Vom Landrat aber kam keinerlei Antwort.
Eine schnelle Reaktion hingegen kam von Stadträtin Ute Kratzmeier (Grüne), der Schmidt ebenfalls sein Schreiben zukommen ließ. Über sie gelangte sein Anliegen an die Landtagsabgeordnete Andrea Schwarz und den Bundestagsabgeordneten Danyal Bayaz (beide ebenfalls Grüne). Alle drei machten sich ein Bild vor Ort in Schmidts Praxis.

Budgetierung der Ärzte führen zu Versorgungsengpässen

Als größtes Problem sieht Schmidt die Versorgungsengpässe. Zurückzuführen seien sie einerseits auf die Budgetierung der Ärzte. Vereinfacht gesprochen: Jeder Arzt hat ein bestimmtes Kontingent an Rezepten, die er verschreiben darf. Bleibt er nicht in diesem Kontingent, ist er regresspflichtig. Ein Patient von Schmidt, dessen Hausarzt genau das passiert war, bezeugte dieses Vorgehen beim Termin eindrücklich. Der 60-Jährige hatte vor einiger Zeit einen Schlaganfall erlitten. Dank der Rezepte seines Arztes konnte er in den letzten Wochen mit Schmidts Hilfe gute Fortschritte machen. Jetzt darf sein Arzt aber nichts mehr verschreiben, sondern hat ihn stattdessen an einen Neurologen überwiesen. „Der nächste Termin, den ich bekommen konnte, ist im Oktober“, berichtete der Patient sichtlich mitgenommen. Bis dahin kann er also die dringend notwendige Therapie nicht fortsetzen. „Wenn es ans Eingemachte geht, versagt das Gesundheitssystem“, zeigte sich Schmidt empört. Patienten, die sich nicht massiv für ihre Rechte einsetzen könnten, sich gegen Ablehnungen von Ärzten und Krankenkassen nicht zur Wehr setzen, gingen einfach verloren. Übrigens auch, wenn sie privat versichert seien.

Immer weniger Therapeuten

Auf der anderen Seite gibt es immer weniger Therapeuten. Da es um ihre wirtschaftliche Situation nicht zum Besten steht, geben immer mehr ihren Beruf auf. Die dreijährige Ausbildung kostet Geld, derzeit etwa 500 Euro im Monat. Der Verdienst eines Physiotherapeuten liegt deutlich unter dem deutschen Durchschnittsgehalt. „Bei den meisten funktioniert das nur, weil sie einen Partner haben, der gut verdient“, erläuterte Schmidt. Bei ihm ist das nicht der Fall, auch seine Frau Julia ist Physiotherapeutin. Sie hat gerade die dritte gemeinsame Tochter bekommen, auch Schmidts Angestellte geht jetzt in Mutterschutz, er hat bisher keine Vertretung gefunden.
Große Engpässe gibt es etwa bei der manuellen Lymphdrainage (ML). Diese Behandlung ist bei Schwellungen, etwa nach einer Operation, dringend notwendig für die Wundheilung. Immer weniger Therapeuten bieten ML an, denn die Fortbildung dazu dauert mehrere Wochen und kostet 5.000 Euro, bei der Anwendung vergüten die Krankenkassen sie aber schlechter als Krankengymnastik.

Rahmenbedingungen der Krankenkassen alles andere als optimal

Generell sehen Schmidt und seine Kollegen die Rahmenbedingungen, die die Krankenkassen schaffen, sehr kritisch. Das fängt schon bei den Behandlungszeiten an, die seit ca. 1990 von 30 Minuten auf 15 bis 25 Minuten herabgestuft wurden. Die Therapeuten dürfen also selbst entscheiden, wie lange sie in diesem Rahmen behandeln, bekommen aber immer das gleiche Geld. „Damit ist alles über 15 Minuten ein Geschenk an den Patienten“, erläuterte Schmidt, in dessen Praxis jede Behandlung auf 25 Minuten angesetzt ist. „Bei den allermeisten Patienten ist das auch mehr als nötig.“ Ein ganz großes Übel sind für den engagierten Therapeuten die so genannten „Absetzungen“. Er muss jedes Rezept, das ein Arzt ausgestellt hat, auf Fehler prüfen und ggf. korrigieren lassen. Vom bürokratischen Aufwand abgesehen: Selbst wenn nur eine Prüfziffer für statistische Zwecke falsch ist und er behandelt hat, bekommt er dafür kein Geld von der Krankenkasse.

"Ich hoffe, es geht noch mehr"

Die Abgeordneten signalisierten großes Verständnis für Schmidts Empörung über die geschilderten Missstände und versprachen, alles an die zuständigen Stellen, die sie erreichen können, weiterzutragen. Manches, wie die Schulgeldbefreiung oder eine moderate Anhebung der Leistungsvergütung seien schon in die Wege geleitet oder realisiert. Aber die Balance zwischen wirtschaftlichem Denken – immerhin erwirtschaften die Krankenkassen seit Jahren Überschüsse in Milliardenhöhe – und der Qualität in der Patientenversorgung sei nach wie vor in Schieflage. Schmidt zeigte sich nach dem Termin erstmal erleichtert darüber, dass er sich alles habe von der Seele reden können. „Dank dem Kollegen Heiko Schneider hat sich schon ein bisschen was bewegt. Ich hoffe, es geht noch mehr.“

Die Patientenversorgung ist in Gefahr, das machte Physiotherapeut Gunther Schmidt im Gespräch mit Landtagsabgeordneter Andrea Schwarz, Städträtin Ute Kratzmeier und Bundestagsabgeordnetem Danyal Bayaz (von rechts) deutlich.
Autor:

Katrin Gerweck aus Bretten

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