Nicht nur ein Problem von Flüchtlingen
Brettener Mentoren helfen Eltern im Bildungssystem

Renate Müller (links) und Amal Zeghouani sind als Interkulturelle Elternmentorinnen im Landkreis Karlsruhe im Einsatz. hk
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Bretten/Region (hk) Dieses Projekt soll – im wahrsten Sinne des Wortes – Schule machen: Seit 2019 bildet die Kreisintegrationsstelle des Landkreises Karlsruhe in Kooperation mit der Elternstiftung Baden-Württemberg sogenannte Interkulturelle Elternmentoren für den Landkreis aus. Inzwischen ist das Team der Ehrenamtlichen auf insgesamt 27 Personen aus elf Kommunen angewachsen – darunter auch Bretten, Bruchsal, Oberderdingen, Pfinztal und Weingarten. Gesucht werden engagierte Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte, die sich vorstellen können, als Elternmentoren ihre Unterstützung anzubieten, etwa um schriftliche Kommunikation mit Lehrenden und Behörden verständlich zu erklären, bei Bedarf zu Elterngesprächen zu begleiten und Beratungen für Eltern, aber auch für Lehrkräfte und Erzieher anzubieten. Was dabei auf die Mentoren zukommt, erklären Amal Zeghouani und Renate Müller aus Bretten im Gespräch mit der Brettener Woche/kraichgau.news.

Zurechtfinden im Bildungssystem mit Hürden verbunden

Die beiden Frauen, die sich bereits aus der Arbeit für die Flüchtlingshilfe kennen, haben sich Anfang 2020 als Elternmentorinnen zertifizieren lassen. Sie stehen nun als niederschwellige Ansprechpersonen, insbesondere für Eltern mit Zuwanderungsgeschichte, zur Verfügung. Dass das Zurechtfinden im deutschen Bildungssystem mit vielen Hürden verbunden ist, wissen viele der Elternmentoren auch aus persönlicher oder beruflicher Erfahrung. Renate Müller war jahrzehntelang als Kindergartenerzieherin im Brettener Stadtteil Dürrenbüchig tätig. „Ich weiß daher sehr gut, wie wichtig es in Deutschland ist, dass die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Institutionen gut funktioniert“, sagt sie. Während in Kindergärten eine „sehr intensive Elternarbeit“ durch kurze Wege zu den Eltern gut umsetzbar sei, könne es in der Schule durchaus länger dauern, bis bemerkt wird, dass ein Kind „nasse Füße“ bekomme.

Unterschiedliche Vorstellungen von Bildung

Amal Zeghouani, Mutter von zwei Kindern, ist vor sieben Jahren aus Marokko nach Deutschland gekommen. Beruflich hat sie dort im Bildungsbereich an einer amerikanischen Schule gearbeitet. Bei der ehrenamtlichen Arbeit für die Flüchtlingshilfe sei ihr dann aufgefallen, „wie unterschiedlich die Vorstellungen von Bildung sind, je nachdem aus welcher Kultur man kommt oder welchen Bildungshintergrund die Familie hat“, erzählt sie. Zusätzlich hätten viele Familien – auch die mit einem hohen Bildungsniveau – durch sprachliche Barrieren Schwierigkeiten, das deutsche Bildungssystem zu verstehen. Dadurch fehle auch das Wissen über mögliche Unterstützungsleistungen. „Ich dachte, das ist ein Problem von Flüchtlingen und Menschen mit Migrationshintergrund“, sagt Zeghouani, die als Sozialpädagogin mit dem Schwerpunkt interkulturelle Bildung und Integration arbeitet. Inzwischen wisse sie, dass auch deutschstämmige Familien Schwierigkeiten hätten, sich im teilweise komplizierten Bildungssystem zurechtzufinden.

„Gesehen und gehört werden“

Familien aus anderen Kulturen hätten zudem die Vorstellung, dass es eine Grenze zwischen Schule und Familie gebe. „Diese Eltern haben oft die Sorge, dass sie durch ständiges Nachfragen bei den Lehrern, die sie als Respektspersonen sehen, falsch verstanden und als Störfaktor wahrgenommen werden“, erklärt Zeghouani. „Sie verstehen nicht, dass sie ein Recht darauf haben, gesehen und gehört zu werden.“ Diese Diskrepanz habe sie dazu ermutigt, Eltern mit Zuwanderungsgeschichte in ihrer Elternrolle zu stärken und sie dazu zu befähigen, ihre Kinder im Bildungssystem selbstständig zu unterstützen.

Corona-Pandemie macht einen Strich durch die Rechnung

Müller ergänzt: "Ich weiß, wie schwierig es für deutsche Eltern ist, den Familien- und Schulalltag zugunsten der Kinder unter einen Hut zu bringen. Wenn wir da schon Schwierigkeiten haben, wie schwer haben es dann die Familien, die diese Erfahrungen nicht gemacht haben? Wie soll man wissen, wenn man nicht mit dem deutschen Bildungssystem aufgewachsen ist, was zum Beispiel in eine Schultüte kommt oder warum die Teilnahme am Elternabend wichtig ist?" Für die Zertifizierung zum Elternmentor haben sich die beiden Frauen mit über 15 weiteren Teilnehmerinnen (der einzige männliche Teilnehmer war frühzeitig ausgestiegen) an vier Samstagen intensiv schulen lassen. „Besonders interessant fand ich den Tag, als wir erfahren haben, wie andere Kulturen ticken und wie man sich auch missverstehen kann“, erinnert sich Müller mit einem Lachen. Auch Konflikt- und Projektmanagement sowie Rollenspiele hätten auf dem Programm gestanden. „Bereits zu diesem Zeitpunkt haben wir uns gefragt: Wie finden uns die Eltern?“, erzählt Müller weiter. Den Ideen wie Elterncafé und Vorstellungen bei Elternabenden habe dann die Corona-Pandemie einen Strich durch die Rechnung gemacht. „Geplant war beispielsweise auch ein Workshop über das Bildungssystem in Deutschland“, erinnert sich Zeghouani, die an der Schillerschule als Elternmentorin im Einsatz ist. „Die Einladungen waren schon versendet – dann kam die Schulschließung.“

Gut vorbereitet ins Elterngespräch

An ihre Funktion als Brückenbauer zwischen Elternhaus und Bildungseinrichtung mussten sich die Elternmentorinnen also, bedingt durch die Pandemie, langsam herantasten. Renate Müller, die an der Pestalozzischule Elternmentorin ist, hat von den Lehrern der ersten Klasse Vorschläge erhalten, welche Eltern sich freuen könnten, wenn sie Unterstützung erhielten. „Das waren drei Familien, um die ich mich sehr intensiv gekümmert habe“, erzählt Müller, die zum Beispiel die Eltern zum Elternabend begleitet hat. Als die Elterngespräche vor der Tür standen, hat die Elternmentorin gemeinsam mit den Eltern den Gesprächs-Fragebogen ausgefüllt. „Da haben die Eltern im Zuge dessen auch gleich Deutsch lesen geübt“, freut sich Müller. Mit Unterstützung der Elternmentorin konnten die Eltern dann gut vorbereitet das Gespräch mit den Lehrern angehen.

Richtige Entscheidungen für Kinder treffen

Von Lehrkräften, Pädagogen und Erziehern wünscht sich Zeghouani stärker als Ansprechpartner wahrgenommen zu werden. „Viele verwechseln Elternmentoren mit Sprachvermittlern. Wir übersetzen zwar auch gerne auf ehrenamtlicher Basis, aber das ist nicht unsere Aufgabe“, stellt sie klar. „Als Elternmentoren wollen wir Familien stärken und Familien in diesem Schulsystem begleiten, damit sie wiederum ihre Kinder begleiten und die richtigen Entscheidungen für ihre Kinder treffen können.“ Gleichzeitig könnten auch Lehrer den Elternmentoren Vertrauen schenken, wenn diese selbst keinen Zugang zu den Eltern der Schüler finden würden. Renate Müller bringt es auf den Punkt, warum sich die Arbeit auszahlt: „Ich habe als Elternmentorin tolle Kinder kennengelernt, die gerne in die Schule gehen und die so bemüht sind, alles richtigzumachen. Und diese Kinder haben es verdient, dass ihre Eltern ihnen den Rücken stärken – damit die Kinder nicht vorzeitig die Rolle der Erwachsenen einnehmen müssen.“

Autor:

Havva Keskin aus Bretten

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