MGB befasst sich mit Digitalisierung
"Sprechen mittlerweile von der totalen Endlosigkeit"
Bretten (hk) Ein „Snap“ auf Snapchat, eine Nachricht auf WhatsApp, ein Like auf Instagram – und schon ist die Konzentration dahin. Wie die ständige Flut von kurzen, schnellen Inhalten das Gehirn junger Menschen beeinflusst und die Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigt, erfuhren Lehrer, Eltern und Schüler am 30. September am Melanchthon-Gymnasium Bretten (MGB). Der diesjährige Pädagogische Tag stand unter dem Motto „Digitalisierung“. Die Teilnehmenden nutzten die Gelegenheit, sich in verschiedenen Workshops weiterzubilden und ihr Wissen praxisnah zu vertiefen.
Digitalisierung im Fokus
Die Themen reichten von Tools und Unterrichtsideen für kollaboratives Arbeiten über Datenmanagement mit dem iPad bis hin zu Zeitspartipps für Unterricht und Vorbereitung. Auch der bewusste Einsatz von smarten Medien und künstlicher Intelligenz (KI) als „digitaler Butler“ für Lehrkräfte stand im Fokus. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der richtigen Formulierung von Anfragen an die KI – dem sogenannten „Prompten“ – sowie auf rechtlichen Aspekten wie Urheberrecht und Datenschutz im Kontext der KI. „Es war uns wichtig, die unterschiedlichen Aspekte der Digitalisierung im Programm unterzubringen", erklärt Lehrer Malte von Hörsten im Gespräch mit der Brettener Woche/kraichgau.news. Neben den konkreten Anwendungstipps hat man sich an dem Tag auch mit der Kehrseite der Digitalisierung beschäftigt. Hierzu war Clemens Beisel, Sozialpädagoge und Experte für digitale Medien, eingeladen, um über das Medienverhalten von Kindern und Jugendlichen aufzuklären.
Schon Schüler der achten bis zehnten Klasse würden 20 bis 35 Stunden pro Woche auf TikTok verbringen. „Bei drei Stunden TikTok pro Tag konsumieren Jugendliche etwa 2.520 Videos pro Woche – jedes davon oft nicht länger als 30 Sekunden“, verdeutlichte Beisel. „Wie soll ein junger Mensch bei mehreren hundert Videos am Tag jedes einzelne auf seinen Wahrheitsgehalt überprüfen?“, fragte Beisel in die Runde. Algorithmen und „Filterblasen“ würden oft falsche Annahmen verstärken, die wiederum ein Wertesystem formen, das auf verzerrten Informationen basiert. „Eine Katastrophe für unsere Demokratie“, schloss Beisel. Für Grautöne oder tiefgründige Analysen bliebe kaum Zeit.
Erwachsene entsperren im Schnitt 88 Mal täglich ihr Handy
Der Experte lenkte den Blick auch auf die Erwachsenen: „Wir sollten uns auch mal an die eigene Nase fassen.“ Im Schnitt würden Erwachsene 88 Mal am Tag ihr Handy entsperren. Es sei bezeichnend, wie viel Selbstkontrolle von Jugendlichen erwartet werde, wenn selbst die Eltern der Ablenkung kaum widerstehen könnten. Schüler würden ihr Handy sogar bis zu 200 Mal am Tag entsperren. Im Gegenzug dauere es durchschnittlich 15 Minuten, um nach einer Ablenkung wieder voll konzentriert zu sein – ein Phänomen, das in der Psychologie als „Sägeblatteffekt“ bekannt ist. „Die Konzentration steigt, das Handy vibriert, sofort sinkt die Konzentration wieder, und das wiederholt sich“, beschrieb der Pädagoge. Was bleibe, sei keine konstante Lernkurve mehr, sondern eben ein Sägeblattmuster. „Das wirkt sich natürlich negativ auf den Lernerfolg aus“, schlussfolgerte Beisel, der im Anschluss auf die JIM-Studie (Jugend, Information, Medien) einging.
Diese Studie ist eine jährlich in Deutschland durchgeführte Untersuchung zum Mediennutzungsverhalten von Jugendlichen im Alter von zwölf bis 19 Jahren. Laut JIM 2023 wird WhatsApp von 94 Prozent der Jugendlichen regelmäßig genutzt, gefolgt von Instagram mit 62 Prozent, TikTok mit 59 Prozent und Snapchat mit 49 Prozent. Für Serien würden 63 Prozent der Jugendlichen regelmäßig auf YouTube zurückgreifen, 50 Prozent der Jugendlichen nutzen Netflix. Die Studie zeigt laut Beisel auch, dass 2023 jedes dritte Mädchen und jeder vierte Junge schon einmal im Internet sexuell belästigt wurde und dass 23 Prozent der Jugendlichen ungewollt mit pornografischen Inhalten konfrontiert wurden.
Medienerziehung gefordert
Der Jugendschutz in den sozialen Medien sei nach wie vor unzureichend. Es fehle an konkreten Schutzmaßnahmen gegen Abhängigkeiten. Die Endlosigkeit des Angebots – ob bei Netflix oder TikTok – sei dabei eines der größten Probleme. "Wir sprechen mittlerweile von der totalen Endlosigkeit", merkte Beisel an und ergänzte: "Die ständige Angst, etwas zu verpassen, kann im Extremfall zu einer Mediensucht führen." Abschließend betonte Beisel die Notwendigkeit einer umfassenden Medienerziehung in Schulen und Bildungseinrichtungen. Der Pädagoge sprach sich jedoch gegen ein generelles Handyverbot an Schulen aus. "Ich bin gegen digitale Ablenkung in der Schule, nicht gegen digitales Lernen."
Welche Handyregeln gelten am MGB? Dazu erklärt von Hörsten: Alle Schüler sollen ihr Handy vor Betreten der Schule ausschalten und in der Tasche lassen. Wird ein Schüler dennoch mit einem eingeschalteten Handy erwischt, wird ein 45-minütiger "Handy-Arrest" verhängt, der nach Unterrichtsschluss am Nachmittag stattfindet. "Somit haben wir das Problem relativ gut im Griff. Die Schüler halten sich in der Regel an diese Regelung, da der Arrest abschreckend erscheint", meint von Hörsten.
MGB nutzt digitale Tools in Sport- und Musikunterricht zur Förderung von Schülern
Als positive Beispiele für den Einsatz digitaler Werkzeuge nennt der Lehrer am MGB, dass jede Lehrkraft und die Jahrgangsstufe 1 (11. Klasse) mit Leih-Tablets ausgestattet sind. Gerne hätte die Schule weitere Geräte zur Verfügung, um die gesamte Kursstufe dauerhaft auszustatten. Zusätzlich stehen etwa 80 Geräte den Lehrkräften zur Verfügung, die stundenweise im Unterricht eingesetzt werden können. Die Einsatzmöglichkeiten der Tablets seien vielfältig. So ermöglichten beispielsweise im Sportunterricht spezielle Apps die Analyse von Bewegungsabläufen, um sie anschließend zu verbessern. Im Musikunterricht können Ergebnisse, die mit Notenschreibprogrammen entstanden sind, direkt angehört werden. Tablets können den individuellen Lernfortschritt unterstützen, meint von Hörsten.
Die Arbeit des Pädagogischen Tags werde im laufenden Schuljahr am MGB weitergeführt, so von Hörsten, insbesondere in den einzelnen Fächern, um die Inhalte in den Unterricht langfristig einzubinden. Auch die Elternarbeit werde um die Informationen von Clemens Beisel erweitert, damit auch die Eltern sich der Gefahren im Umgang mit den Handys bewusst werden. "Denn im Sinne einer Erziehungspartnerschaft zwischen Schule und Eltern muss gemeinsam gearbeitet werden", fasst von Hörsten zusammen.
Autor:Havva Keskin aus Bretten |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.