Experten informierten über digitale Betreuungsangebote für Diabetes-Patienten
„Viele Patienten können mit weniger Medikamenten auskommen“

Digitales Diabetes Coaching. Foto: M.Doerr & M.Frommherz - stock.adobe.com
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Bei einer Diabeteserkrankung vom Typ 2 wirken verschiedene Ursachen zusammen: Zu einer genetischen Veranlagung kommen Lebensstilfaktoren wie Übergewicht, Bewegungsmangel, Fehlernährung, Stress, Rauchen und Alkoholkonsum hinzu. In diesem Zusammenspiel liegt jedoch eine Chance für die Betroffenen: Wer seinen Lebensstil positiv beeinflusst, trägt wesentlich dazu bei, seinen Gesundheitszustand zu verbessern, den Medikamentenbedarf zu verringern und das Risiko für Schlaganfall, Nierenversagen, Nervenschädigungen und andere Folgeerkrankungen zu senken. Doch der Schwerpunkt bei der Behandlung liegt häufig im Einsatz von Medikamenten, obwohl die positiven Effekte von Krankheitsaufklärung und Änderung ihres Lebensstils bekannt sind. Hinzu kommt, dass sich viele Betroffene der Aufgabe nicht gewachsen fühlen, ihre Lebensgewohnheiten aus eigenem Antrieb zu ändern. Hilfe bieten Unterstützungsprogramme, bei denen Betroffene telemedizinisch betreut werden – so genannte digitale Diabetes-Coachings. Wie sie funktionieren, worauf es bei der Teilnahme ankommt und welche Erfolgsaussichten sie bieten, darum ging es beim Lesertelefon am Weltdiabetestag 2019. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zum Nachlesen.

Wie funktioniert ein digitales Diabetes Coaching?
Katja Niedermeier: Das Telefoncoaching wird von erfahrenen Diabetesberatern ausgeführt, die für die spezielle Beratungsarbeit am Telefon zusätzlich qualifiziert wurden. Mit Hilfe von digitalen Messgeräten werden von den Teilnehmern erhobene Daten automatisch an den geschützten Bereich des zugehörigen Online-Portals gesendet. Auf dieser Grundlage entwirft der Coach ein Beratungsprogramm, das auf die persönlichen Bedürfnisse des Teilnehmers zugeschnitten ist. Jeder Teilnehmer erhält einen festen Coach, so dass die Kontinuität bei der Beratung gewährleistet ist. Telefoncoaching soll nicht das persönliche Arzt-Patientengespräch ersetzen. Ziel ist vielmehr, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, um die negativen Auswirkungen des Diabetes durch gezielte Änderungen im Lebensstil zu verhindern oder zumindest zu verringern.

Was bedeutet „telefonisches Coaching“?
Manuela Ullrich: Der Gesundheitscoach des DITG ruft den Patienten über einen Zeitraum von zwölf Monaten in regelmäßigen Abständen an und betreut ihn auf Grundlage aktueller Werte. Dazu zählen die Krankengeschichte des Patienten sowie die lebensstilrelevanten Daten, die von ihm mit Hilfe der Messgeräte erhoben werden. Themen des Coachings sind Ernährung, Medikation und Motivation. Zu Beginn vereinbart der Patient mit seinem Coach individuelle Ziele, die er langfristig erreichen will. Dabei fließen sowohl seine persönlichen Ziele ein als auch die Therapieziele des behandelnden Arztes, die erfragt werden. Im Verlauf des Programms werden zudem Zwischenziele vereinbart, die den Patienten bei der Erreichung der langfristigen Ziele unterstützen. Das persönliche Verhältnis, das Coach und Patient bei der Zusammenarbeit aufbauen, fördert den Erfolg des Patienten bei der erforderlichen Lebensstilumstellung.

Welche Ergebnisse kann ich von einem solchen Unterstützungsangebot erwarten?
Dr. med. Karin Burk: Das Pilotprojekt von AXA und dem DITG hat gezeigt, dass es bei den Programmteilnehmern bereits nach drei Monaten zu einer deutlichen Gewichtsreduktion und einer erheblichen Senkung des Langzeitblutzuckerwerts – des HbA1C-Werts – gekommen ist. Der Insulinbedarf sank deutlich. An positiven Nebeneffekten konnte bei vielen Teilnehmern eine Absenkung des Cholesterin- beziehungsweise Triglyceridspiegels nachgewiesen werden. Auch die Blutdruckwerte verbesserten sich. Zusammengefasst kann das Unterstützungsangebot helfen, die Risikofaktoren für Herz- Kreislauferkrankungen, insbesondere den Diabetes, zu optimieren.

Kann ich ähnliche Ergebnisse auch mit einer Diabetes Coaching App erzielen?
Dr. med. Winfried Keuthage: Sowohl Apps als auch Telefonisches Coaching können die ärztliche Behandlung von Diabetes unterstützen. Coaching bedeutet zwingend, auch auf die Therapie Einfluss zu nehmen. Nachhaltige Ergebnisse hängen daher von einem guten Zusammenwirken zwischen Coaching, Patient und behandelndem Arzt ab. Auch bei Apps, die grundsätzlich ohne die Einbeziehung des behandelnden Arztes funktionieren, sollte die Anwendung in die ärztliche Behandlung integriert werden.

Benötige ich besondere Kenntnisse oder spezielle Messgeräte für die Teilnahme?
Gabriele Arendt-Theling: Vor Beginn des Coachings bekommen die Teilnehmer verschiedene Geräte zugeschickt, in die sie eingewiesen werden. Dazu zählen eine Waage, ein Blutzuckermessgerät, ein Schrittzähler und – bei Bedarf – ein Mobiltelefon mit einer vorinstallierten App zur automatischen Übermittlung der Daten an das Online-Portal. Alternativ können die Teilnehmer die Geräte über ihr eigenes Smartphone anbinden. Die Kosten für die Geräte werden von teilnehmenden Krankenkassen, wie der AXA, übernommen. Eine eigens eingerichtete Service-Hotline hilft den Teilnehmern, sollten Fragen zur Technik oder Probleme mit den Geräten auftreten.

Wird der behandelnde Arzt in das Coaching einbezogen
Dr. med. Hans-Martin Reuter: Ein Coaching ist sinnvollerweise nur unter Mitwirkung des behandelnden Arztes möglich. Er legt mit dem Patienten gemeinsam die anzusteuernden Ziele fest und kontrolliert den Verlauf. Idealerweise dient das Coaching als Ergänzung der Schulungen im Rahmen des so genannten Disease Management Programms (DMP) bei Diabetes mellitus Typ 2. Das digitale Coaching kann hier im Vorfeld eingesetzt werden; für wichtiger halte ich jedoch das Festigen der vermittelten Lehrinhalte der DMP-Schulungen durch das Coaching.

Welche Rolle spielt die Krankenversicherung bei dem Angebot?
Dr. med. Karin Burk: Krankenversicherer erkennen mehr und mehr die Bedeutung der so genannten Tertiärprävention. Darunter versteht man die positive Beeinflussung von Risikofaktoren und die optimale Behandlung, um ein Fortschreiten und die Entstehung von Folgeschäden einer Erkrankung zu verhindern. Mit seinem digitalen Diabetes Betreuungsprogramm nimmt AXA durch die Zusammenarbeit mit dem DITG im Bereich der Diabetestherapie eine Vorreiterrolle ein. Davon profitieren beide Seiten: Für die Versicherten bedeutet es die Chance auf eine Verbesserung der Lebensqualität, für die Krankenversicherung auf längere Sicht geringere Krankheitskosten, was wiederum der Versichertengemeinschaft zu Gute kommt.

An wen wende ich mich, wenn ich an einem digitalen Diabetes Coaching teilnehmen möchte?
Katja Niedermeier: Einige private und auch gesetzliche Krankenkassen haben den positiven Nutzen eines Telefoncoachings bereits registriert und unterstützen die Teilnahme. Aktuell laufen Verhandlungen mit weiteren Kassen, das Telecoaching in die Erstattung zu übernehmen. Es lohnt sich also, die eigene Krankenversicherung nach einer Kostenübernahme zu fragen. Einige diabetologische Schwerpunktpraxen sind bereits als telemedizinisches Zentrum zertifiziert und können bei der Frage nach telemedizinischem Coaching weiterhelfen. Über das Portal des Deutschen Institutes für Telemedizin und Gesundheitsförderung (DITG) sind weitere Informationen zur Kostenübernahme erhältlich.

Können auch langjährige Diabetes-Patienten von einem Coaching profitieren?
Dr. med. Winfried Keuthage: Eindeutig ja! Gerade bei lange bestehendem Diabetes können sich Gewohnheiten entwickelt und stark verfestigt haben. Ein Coaching kann helfen, diese Gewohnheiten zu entdecken, auf sie Einfluss zu nehmen und gesunde Verhaltensweisen zu fördern. So verringert zum Beispiel allein das Dokumentieren von Essen und Trinken oftmals die Kalorienaufnahme und damit den Insulinbedarf.

Wer übernimmt die Kosten für das Coaching?
Dr. med. Karin Burk: Die Ergebnisse des Pilotprojekts legen nahe, dass ein Coaching idealerweise allen in Frage kommenden Patienten zugänglich gemacht werden sollte, da es sich als wirksame Therapieunterstützung erwiesen hat. Daher übernimmt AXA für ihre Versicherten die Kosten für das Coaching im vollen Umfang. Aber nicht alle Krankenversicherer haben entsprechende Programme im Angebot. Ob die Kosten für das Coaching übernommen werden, muss im Einzelfall mit der Krankenkasse beziehungsweise der Krankenversicherung geklärt werden.

Eignet sich ein Online-Coaching auch für Menschen mit Typ-1-Diabetes?
Manuela Ullrich: Grundsätzlich gilt: Jede positive Lebensstiländerung verbessert den Gesundheitszustand. Ähnlich wie bei Patienten mit Typ-2-Diabetes führen auch bei Typ-1-Patienten Übergewicht und ein Mangel an Aktivität zu einem erhöhten Insulinbedarf aufgrund einer abnehmenden Insulin-Wirkung. Das Coaching hilft Typ-1-Patienten mit und ohne Übergewicht bei Problemen mit Blutzuckerschwankungen und Hypoglykämien. Sie bekommen mehr Sicherheit im Umgang mit der Erkrankung und können ihre Lebensqualität verbessern. Deshalb eignet sich ein Online-Coaching auch für Menschen mit Typ-1-Diabetes. AXA und das DITG haben dafür im Jahr 2015 ein gemeinsames Programm aufgesetzt.

Wie geht es nach dem Ende der 12-monatigen Coaching-Phase weiter?
Dr. med. Hans-Martin Reuter: Nach Abschluss der Coaching Phase wird die Einhaltung der erreichten Ziele durch den behandelnden Arzt weiter kontrolliert. Je nach Verlauf und erzielten Ergebnisse müssen bei Bedarf einzelne Inhalte weiter gefestigt werden. Dabei kann unterstützend eine App zum Einsatz kommen.

Digitales Diabetes Coaching

Wie sicher sind die Daten?

„Bei telemedizinischen und digitalen Gesundheitsanwendungen spielt der Austausch von medizinischen Daten eine wichtige Rolle. Diese sensiblen Daten müssen in besonderer Weise geschützt werden. Daher gilt: Der Teilnehmer hat und behält die Hoheit über seine Daten. Ärzte und Gesundheitscoaches können auf die Daten im Online-Portal nur dann zugreifen, wenn der Patient dies ausdrücklich erlaubt. Die ärztliche Schweigepflicht gilt im Übrigen auch für die Gesundheitscoaches. Die Daten werden ausschließlich auf Servern in Deutschland gespeichert und SGB V-konform verarbeitet. Dabei werden die Personendaten getrennt von den Gesundheitsdaten aufbewahrt. Eine Identifikation von Personen durch unbefugte Dritte ist so nicht möglich.“ Bernd Altpeter, Geschäftsführer DITG GmbH Deutsches Institut für Telemedizin und Gesundheitsförderung

Die Expertinnen und Experten am Lesertelefon waren:
• Gabriele Arendt-Theling, Telemedizinischer Gesundheitscoach, Deutsches Institut für Telemedizin und Gesundheitsförderung, Düsseldorf
• Dr. med. Karin Burk, Fachärztin für Allgemeinmedizin und Palliativmedizin, Beratende Spezialistin im Gesundheitsmanagement der AXA Krankenversicherung, Köln
• Dr. med. Winfried Keuthage, Facharzt für Allgemeinmedizin, Diabetologe DDG, Ernährungsmediziner BDEM, Schwerpunktpraxis für Diabetes und Ernährungsmedizin Münster
• Katja Niedermeier, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Diabetologin LĀK und DDG, Diabetologikum Duisburg
• Dr. med. Hans-Martin Reuter, Facharzt für Innere Medizin, Diabetologe DDG, Ernährungsmediziner DGEM, Ambulantes Medizinisches Zentrum Jena - Gemeinschaftspraxis für Innere Medizin - Diabetologische Schwerpunktpraxis
• Manuela Ullrich, Telemedizinischer Gesundheitscoach, Deutsches Institut für Telemedizin und Gesundheitsförderung, Düsseldorf

Autor:

Kraichgau News aus Bretten

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