Expert*Innen zu: Welt-Hirntumor-Tag 2023
Wichtig beim Glioblastom ist die individuelle Ausrichtung der Therapie
Bei der Behandlung eines Glioblastoms, der häufigsten und aggressivsten Form von bösartigen, primären Hirntumoren bei Erwachsenen, gilt es keine Zeit zu verlieren. Glioblastome wachsen sehr schnell und dringen in gesundes Hirngewebe ein. Für die Betroffenen bleibt kaum Zeit, sich auf die neue Situation einzustellen. Umso wichtiger sind Informationen über die Behandlung, unterstützende Angebote und den Umgang mit dieser schweren Erkrankung. Expertinnen und Experten aus mehreren deutschen Fachkliniken beantworteten in der Sprechzeit Fragen von Interessierten und Betroffenen. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:
Gibt es eine Möglichkeit der Früherkennung oder bestimmte Risikofaktoren für ein Glioblastom?
Dr. med. Marie-Thérèse Forster: Da es sich bei Glioblastomen um sehr rasch wachsende Tumore handelt, gibt es keine Möglichkeit der Früherkennung. Selbst jährliche Screening-MRTs könnten diese in vielen Fällen nicht erfassen. Viele Betroffene fragen nach Risikofaktoren, um zu verstehen, weshalb sie an einem Glioblastom erkrankt sind. Allerdings gibt es für die bislang untersuchten Risikofaktoren keinen Hinweis, dass sie an der Entstehung von Glioblastomen maßgeblich beteiligt wären. Wir wissen lediglich, dass die Häufung von Glioblastomen mit zunehmendem Lebensalter steigt.
Wie kann eine möglichst schnelle Diagnose sichergestellt werden?
Dr. med. Tobias Martens: Der erste Schritt besteht immer in einer Bildgebung, wenn möglich eine Magnetresonanztomographie (MRT) unter Verwendung eines Kontrastmittels. Wenn sich hierbei der Verdacht auf das Vorliegen eines Glioblastoms oder eines Tumors allgemein ergibt, sollte zeitnah eine weitestmögliche mikrochirurgische Entfernung des Tumors oder zumindest eine Gewebesicherung in Form einer Biopsie erfolgen.
Wie lange dauert es von der Diagnose bis zum Beginn der Behandlung?
Jörg Illert: Oft macht sich der Tumor durch neurologische Ausfallserscheinungen oder einen epileptischen Anfall bemerkbar. Nach dem Auftreten solch gravierender Symptome wird meistens rasch ein MRT durchgeführt. Sobald die Diagnose eines Hirntumors gestellt wurde, vergehen für gewöhnlich nur wenige Tage bis zum ersten Schritt der Behandlung – der chirurgischen Entfernung des Tumors oder der Entnahme einer Gewebeprobe.
Wie riskant ist die operative Entfernung des Tumors?
Prof. Dr. med. Julian Prell: Wir verfügen heute in der Neurochirurgie nicht nur über sehr viel Erfahrung mit solchen Operationen, sondern auch über technische Hilfsmittel, von denen frühere Generationen von Operateuren nicht einmal zu träumen wagten. Spezielle OP-Mikroskope mit Fluoreszenzdarstellung, Ultraschall, Neuronavigation und vor allem die intraoperative Funktionsüberwachung mit neurophysiologischem Monitoring bis hin zur Wachoperation machen es heute möglich, solche Tumoren in den meisten Fällen radikal zu entfernen, ohne den Patienten oder die Patientin hohen Risiken auszusetzen.
Welchen Einfluss hat die Untersuchung des Tumorgewebes auf die Therapie?
Dr. med. Tobias Martens: Wir wissen mittlerweile, dass sich hinter der Diagnose Glioblastom Tumore mit unterschiedlichen genetischen Merkmalen verbergen, was für die Prognose wichtig sein kann.
Aber auch die Therapie kann dadurch beeinflusst werden. So profitieren zum Beispiel Patienten mit einem bestimmten Merkmal, der so genannten MGMT Methylierung, besser von einer Chemotherapie als andere. Ebenso gibt es Mutationen, die mit bestimmten Antikörpern behandelt werden können. Diese Therapien befinden sich beim Glioblastom jedoch noch in der klinischen Erprobung und sollten nur im Rahmen von Studien angewendet werden.
Erhalten alle Patientinnen und Patienten eine Strahlen- und Chemotherapie?
Dr. med. Anna-Luisa Luger: Nach der Entfernung des Tumorgewebes beziehungsweise der Biopsie erfolgt zunächst eine Strahlentherapie, die in der Regel mit einer Chemotherapie mit dem Wirkstoff Temozolomid kombiniert wird. In Einzelfällen kann auch eine Kombinationstherapie mit einem zusätzlichen Chemotherapeutikum erfolgen. Nach Abschluss der Strahlentherapie wird die Chemotherapie als Erhaltungs-Chemotherapie weitergeführt. Grundsätzlich gilt jedoch: Die Behandlung des Glioblastoms folgt keinem festen Schema – wichtig ist die individuelle Ausrichtung der Therapie.
Findet die gesamte Behandlung in der Klinik statt?
Dr. med Julia Gerhardt: Der erste Behandlungsschritt, also die operative Therapie oder die Biopsie, findet im stationären Rahmen statt. Strahlen- und Chemotherapie sowie die Therapie mit TTFields können bei gutem klinischen Zustand regulär ambulant erfolgen.
Wann beginnt die Behandlung mit TTFields – und wie funktioniert sie?
Dr. med. Anna-Luisa Luger: Die Behandlung mit TTFields kann ab vier Wochen nach Beendigung der Strahlentherapie gestartet werden und – wie die Erhaltungs-Chemotherapie – zu Hause durchgeführt werden. TTFields nutzt schwache elektrische Wechselfelder, die das Wachstum von Tumorzellen stören können. Dazu werden Elektroden in Form von Klebepads auf der Kopfhaut platziert, die an ein tragbares Gerät angeschlossen sind. Sowohl bei der Erhaltungs-Chemotherapie wie beim Einsatz von TTFields werden die Patientinnen und Patienten von ihren ambulant behandelnden Ärztinnen und Ärzten unterstützt.
Wie kann ich TTFields im Alltag einsetzen? Bin ich trotzdem mobil?
Dr. med. Tobias Martens: TTFields werden durch einen Generator erzeugt, den man in einem kleinen Rucksack oder einer Umhängetasche mitführen kann. Damit ist man mobil und kann ohne wesentliche Einschränkungen durch die Therapie am Alltagsleben teilnehmen.
Was geschieht, wenn es zu einem Rezidiv kommt?
Dr. med Julia Gerhardt: Für den Fall, dass der Krebs wiederkehrt, ist keine Standardtherapie definiert. Zunächst sollte eine eventuell laufende Therapie abgesetzt werden. Vor dem Hintergrund der individuellen Umstände kann eine erneute Operation, Chemo- oder Strahlentherapie erwogen werden. Geprüft werden sollte auch, ob die Teilnahme an einer Studie möglich ist. Dazu kann eine erneute molekulare Diagnostik durchgeführt werden. Und nicht zuletzt können auch freie Therapieversuche diskutiert werden, zum Beispiel mit molekular zielgerichteten Medikamenten, die in anderen Tumorbereichen zugelassen sind.
Habe ich die Möglichkeit, an einer Studie teilzunehmen?
Dr. med. Marie-Thérèse Forster: Zwar empfiehlt die Deutsche Krebsgesellschaft die Teilnahme an Therapiestudien, sofern sie verfügbar sind, doch bei einem erstmalig diagnostizierten Glioblastom ist dies nicht für alle Patientinnen und Patienten gleich sinnvoll. Denn einerseits stellen Strahlen- und Chemotherapie weiterhin den Goldstandard der primären Behandlung dar, andererseits gelten für jede Studie bestimmte Ein- und Ausschlusskriterien, die auf diese Patientengruppe nicht immer zutreffen. Eine wesentlich größere Anzahl an Studien steht im Falle eines erneuten Tumorwachstums zur Verfügung. Grundsätzlich gibt es Hinweise darauf, dass eine Therapie im Rahmen klinischer Studien die Behandlungsergebnisse verbessern kann, unter anderem aufgrund der besonders sorgfältigen Kontrollen und der intensiven Betreuung. Generell werden Studien fast ausschließlich an neuroonkologischen Zentren oder assoziierten Kliniken angeboten, weshalb die Behandlung nach Möglichkeit in diesen Kliniken und Zentren erfolgen sollte.
Was hilft den Betroffenen beim Umgang mit den seelischen Belastungen durch die Erkrankung?
Dr. med. Tobias Martens: Tumorerkrankungen stellen für die Betroffenen eine große seelische Belastung dar. Deshalb spielt vor allem die psychoonkologische Betreuung eine wichtige Rolle, um die Betroffenen im Umgang mit der Krankheit und der veränderten Lebensperspektive zu unterstützen.
Das Angebot einer psychoonkologischen Betreuung richtet sich ausdrücklich auch an die Angehörigen. Sie sind zum einen selbst durch die oftmals schnellen Entwicklungen betroffen und brauchen entsprechende Hilfe. Zum anderen können sie die Patientinnen/Patienten sehr wirksam bei der Krankheitsbewältigung unterstützen.
Welche weiteren Maßnahmen der Unterstützung bietet die Klinik an?
Dr. med. Marie-Thérèse Forster: Die Diagnose Glioblastom geht für die Betroffenen immer auch einher mit sozialen, sozialrechtlichen und wirtschaftlichen Fragestellungen. Eine sozialmedizinische Beratung ist deshalb ein weiterer wichtiger Teil des Behandlungsangebots. Sie kümmert sich um die Einleitung individueller Nachsorgeangebote, Fragen der pflegerischen Versorgung zu Hause sowie die Versorgung mit Hilfsmitteln, unterstützt bei Antragsstellungen und vermittelt Kontakte zu Ämtern, Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen und anderen Institutionen.
Am Lesertelefon in der Sprechzeit waren:
• Priv.-Doz. Dr. med. Marie-Thérèse Forster, MBA; Fachärztin für Neurochirurgie, Spezielle Neurochirurgische Onkologie, Leitende Oberärztin der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie am Universitätsklinikum Frankfurt der Goethe-Universität, Frankfurt/Main
• Priv.-Doz. Dr. med. Anna-Luisa Luger, Fachärztin für Neurologie, Oberärztin am Dr. Senckenbergischen Institut für Neuroonkologie, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie am Universitätsklinikum Frankfurt der Goethe-Universität, Frankfurt/Main
• Prof. Dr. med. Julian Prell, Facharzt für Neurochirurgie, Stellvertretender Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Halle (Saale)
• Jörg Illert, Facharzt für Neurochirurgie, Funktionsoberarzt an der Universitätsklinik und Poliklinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Halle (Saale)
• PD Dr. med. Tobias Martens; Facharzt für Neurochirurgie, Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie, Asklepios Klinik St. Georg, Hamburg
• Dr. med Julia Gerhardt; Fachärztin für Neurochirurgie, Oberärztin Fachbereich Neurochirurgie, Helios Klinikum Berlin Buch
Autor:Kraichgau News Ratgeber aus Bretten |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.