Dem Krieg entronnen, vom Warten zermürbt
Sie sind vor Bomben, Todesdrohungen, Hunger und Zerstörung geflohen. Nicht wenige haben ihr Leben riskiert, um es zu retten. Inzwischen haben einige syrische Bürgerkriegsflüchtlinge auch in Bretten Zuflucht gefunden. Ein Besuch bei zwei Familien.
Bretten (ch) Die Jabaras wohnen in der oberen Etage eines Mietshauses in der Brettener Innenstadt. Die 15-jährige Tochter Gazal öffnet und bittet die Gäste lächelnd ins Wohnzimmer. Der 20-jährige Sohn Hasan spricht schon gut Deutsch. Seine 18-jährige Schwester Sara bietet Kaffee und Tee an. Mutter Ghofran und Vater Ahmad schweigen. Hasan erklärt: Die Eltern warten seit über einem Jahr auf ihren Sprachkurs, während die Kinder in der Schule schnell Deutsch gelernt haben.
Als die sechsköpfige Familie aus Aleppo im Dezember 2015 die Brettener Wohnung bezog, hatte sie bereits eine dreieinhalbjährige abenteuerliche Flucht über die Türkei, Ägypten und mit einem jener völlig überfüllten Flüchtlingsboote nach Italien hinter sich. „Ich bin wegen der Kinder hier“, lässt der Vater über seinen Sohn ausrichten. Er selbst sei einer der Gründe, sagt Hasan. Als er 17 wurde, sollte er zum Mitkämpfen gezwungen werden. „Wir hörten jeden Tag das Schießen, an der Uni wurden Studenten getötet, jeder kam und raubte uns Geld.“ Der Vater besaß früher drei Modegeschäfte, alles verloren. Tochter Sara zeigt ein Handyfoto vom zerbombten Haus der Familie. Alle sind froh, in Deutschland in Sicherheit zu sein. Stolz präsentieren die Jugendlichen eine Plastikkarte: „Aufenthaltserlaubnis bis 2018“ steht darauf.
Die Kinder schmieden Pläne: Hasan und Sara haben syrisches Abitur und möchten Informatik beziehungsweise Augenmedizin studieren. Gazal spielt Piano und möchte Ingenieurin werden. Das Nesthäkchen, der zehnjährige Sophey, träumt von einem Job als Pilot. Derweil sitzt ihr Vater auf Kohlen. Als agiler Kaufmann ist er das lange Warten nicht gewöhnt. Das Nichtstun zermürbt. Immer wieder telefoniert er, geht hinaus, kommt wieder herein. Über einen Deutsch sprechenden türkischen Bekannten lässt er die Besucher fragen, was man brauche, um einen syrischen Imbiss aufzumachen. Ob sie sich vorstellen, irgendwann nach Syrien zurückzukehren? Hasan zögert: „Wenn es keine Diktatur mehr gibt, vielleicht.“ Zum Abschied lässt sein Vater ihn noch sagen: „Wir danken Deutschland für das Asyl.“
Ortswechsel. Iyad und seine Ehefrau Manar haben gerade ein kleines Zimmer in der Gemeinschaftsunterkunft im ehemaligen Grünen Hof in Diedelsheim bezogen: drei Betten, eine Reihe Metallspinde, ein Tischchen und drei Stühle, immerhin ein separates Bad. Auch sie kommen aus dem vom Regime kontrollierten Stadtzentrum Aleppos. Die beiden 27-Jährigen sind erst Anfang August 2015 geflohen, nur 18 Tage später hatten sie über die Balkanroute Passau erreicht. Beide sprechen fließend Englisch. Sie haben Medizin studiert, ihm fehlt das letzte Examen zum Augenarzt, sie hat zwei von drei Ausbildungsjahren zur Chirurgin absolviert.
Eigentlich wollten sie bleiben, um zu helfen. „Wir sind angehende Ärzte“, sagt Manar. „Wir hofften, dass es bald zu Ende sein würde, aber es wurde immer schlimmer“, ergänzt ihr Mann. Einen Aufenthaltsstatus haben sie noch nicht. Damit sie ihr Fachwissen lebendig halten können, wurden ihnen Praktika bei Brettener Ärzten vermittelt. Das mildert ein wenig die Ungewissheit des Wartens.
Beide setzen große Hoffnungen in ihre neue Heimat: „Wir wollen uns hier ein normales Leben aufbauen“, sagt Iyad und fügt hinzu: „Deutschland ist das aufgeschlossenste Land auf dem Kontinent.“ Wie er zu dieser Aussage kommt? „Wir haben Internet“, erwidert der angehende Mediziner und deutet auf sein Handy.
Unterstützung beim Fußfassen
Anerkannten Flüchtlingsfamilien fehlt es an vielem – zum Beispiel Hausrat, Bekleidung oder Geld, um einen deutschen Führerschein zu machen. Wer helfen möchte, kann sich an das Netzwerk Flüchtlingshilfe in Bretten, Telefon 07252/9739797, E-Mail wie-eitel@web.de oder das Landratsamt Karlsruhe, Katharina Schuh, Telefon 0721/936/66360, E-Mail katharina.schuh@landratsamt-karlsruhe.de wenden. Dort wird die Hilfe unbürokratisch koordiniert.
Autor:Chris Heinemann aus Bretten |
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