Schulängste, Phobien und Personalmangel
Auswirkungen der Pandemie sind bei Kindern in der Region groß

Vor allem der Sprachunterricht für Kinder wurde durch die Maskenpflicht deutlich erschwert.  Foto: Oksana Kuzmina - stock.adobe.com
  • Vor allem der Sprachunterricht für Kinder wurde durch die Maskenpflicht deutlich erschwert. Foto: Oksana Kuzmina - stock.adobe.com
  • hochgeladen von Christian Schweizer

Bretten (ger) Für die meisten Menschen ist Corona höchstens noch ein leises Hintergrundrauschen. Für alle aber, die beruflich mit Kindern zu tun haben, kommen die Folgen der vergangenen zwei Jahre jetzt erst richtig zum Vorschein. Die gemeinsam vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) und dem Robert Koch-Institut (RKI) durchgeführte Corona-Kita-Studie hat ergeben, dass die pandemiebedingten Schließungen der Kitas unnötig waren. Außerdem kommt sie, wie auch zum Beispiel die Copsy-Studie (Corona und Psyche) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, zu dem Schluss, dass Kinder und Jugendliche unter den Eindämmungsmaßnahmen besonders gelitten haben.

"Corona hat viele Familien bis ins Mark getroffen"

Ein Eindruck, den Menschen aus der Praxis bestätigen können. Eine pädagogische Fachkraft mit jahrzehntelanger Erfahrung aus einem Brettener Kindergarten, die anonym bleiben möchte, führt im Gespräch mit der Brettener Woche aus, was sie wahrnehme: „Die Bedrohung durch Corona hat viele Familien bis ins Mark getroffen“, sagt sie. So seien die Eltern besorgt und angespannt gewesen, weshalb vielen Kindern die sonst übliche Unbeschwertheit gefehlt habe. Die Kinder seien in ihrer sozialen-emotionalen Entwicklung nicht so vorangekommen wie sonst. Durch die Unregelmäßigkeiten in der Betreuung hätten zudem keine verlässlichen Beziehungen entstehen können. Und Kinder, in deren Familien Deutsch nicht die erste Sprache sei, hätte die Sprachförderung extrem gefehlt.

"Proaktives Vorgehen bei Sprachförderung gefordert"

Der DAF – Internationaler Freundeskreis Bretten setzt sich regelmäßig für die Belange von Kindern und Jugendlichen ein und hat sich zu diesem Thema in einem Brief unter anderem an den Brettener Oberbürgermeister Martin Wolff gewandt. Der DAF-Vorsitzende Gerhard Junge-Lampart wollte in dem Schreiben wissen, welche Konsequenzen in der Kommunalpolitik aus den Studien-Erkenntnissen gezogen werden. Konkret fragte er, was die Stadt für die Sprachförderung von Kindern im Vorschul- und Grundschulalter mache und forderte in dieser Hinsicht ein proaktives Vorgehen.

Eklatanter Fachkräftemangel

Der OB verweist in seinem Antwortschreiben darauf, dass die Sprachförderung in allen Kindergärten in die tägliche Arbeit integriert sei. Sowohl Bundes-, als auch Landesprogramme würden dafür genutzt sowie die „alltagsintegrierte Sprachförderung“, die „in allen Einrichtungen jeden Tag“ stattfinde. Allerdings führt Oberbürgermeister Martin Wolff auch die aktuelle Situation der Kindergärten in Deutschland ins Feld, die allesamt unter eklatantem Fachkräftemangel leiden: „Wir als Stadt Bretten und auch der DAF müssen im Jahr 2022 zur Kenntnis nehmen, dass die Verhältnisse in den Einrichtungen so sind, dass man froh sein muss, wenn das vorhandene, gesunde Personal die Betreuung in den für die Eltern notwendigen Zeiten gewährleisten kann.“ Und weiter: "Die Sprachförderung, gerade im Kindergarten, liegt der Stadt Bretten am Herzen, aber die aktuelle Situation lässt diese bedauerlicherweise etwas in den Hintergrund treten."

"Wir brauchen fest angestellte Heilpädagogen"

Den Personalmangel in den meisten Einrichtungen bestätigt die Brettener Erzieherin. Die Fachkräfte leisteten jetzt schon gute Arbeit in der Sprachförderung, aber um neu aufgelegte Programme zu verwirklichen, müssten Kräfte von außen kommen. „Die werden befristet für die Dauer des Programms angestellt. Das macht aber derzeit niemand, wo es unbefristete Stellen in großer Zahl gibt“, erläutert sie. Eine Maßnahme gegen die schlechte Personalsituation wäre in ihren Augen, dass jeder größere Kindergarten einen fest angestellten Heilpädagogen bekäme, der sich gezielt um besonders förderbedürftige Kinder kümmert. Wenn die Fachkräfte in den Kitas jetzt feststellten, dass ein Kind einen Förderbedarf habe, würden mit Anträgen, und bis man einen Termin für eine Therapie bekomme, gut neun Monate vergehen. Viel zu lange für Kinder, die eine schnelle Unterstützung brauchen.

"Bei vielen ging es drunter und drüber"

Auch Wolfgang Halbeis, Schulleiter der Johann-Peter-Hebelschule in Bretten, bestätigt die negativen Auswirkungen der vergangenen zwei Jahre. „Die Unterschiede sind natürlich groß. Ganz viele Familien haben die Zeit gut überbrückt. Aber es gibt auch eine nicht unerhebliche Menge, bei denen es drunter und drüber gegangen ist, ganz unabhängig von der sozialen Schicht“, sagt er. Darunter habe bei manchen Kindern die soziale Kompetenz gelitten, Schulängste und soziale Phobien würden verstärkt auftreten. Vor allem den Sprachunterricht habe die Maskenpflicht, auch wenn sie medizinisch sinnvoll war, behindert. „Ein englisches th („tee-aitch“) kann ich mit Maske nicht wirklich lehren.“ Und je kleiner Kinder seien, desto wichtiger sei für sie in der Kommunikation auch die Mimik, so Halbeis. Leistungsdefizite könnten die Schulen aber dank der finanziellen Mittel aus dem „Rückenwind“-Programm des Landes ganz gut auffangen. „Da sind in Bretten vor allem die weiterführenden Schulen hervorragend versorgt“, so Halbeis, der auch als geschäftsführender Schulleiter im Schulbezirk Bretten fungiert.

Griff zu Handy und Tablet noch selbstverständlicher

Den von vielen so gelobten digitalen Schub, den die Corona-Krise mit sich gebracht hat, sehen beide Pädagogen kritisch. Der Online-Unterricht habe nicht alles ausgleichen können, konstatiert Halbeis. „Kinder brauchen Begegnung und die unmittelbare Auseinandersetzung mit Lehrern und Mitschülern.“ Die Schulen seien mit Hard- und Software ausgestattet worden, „aber was passiert in ein paar Jahren, wenn die Tablets alt sind? Das ist für mich die Frage“, so Halbeis. Und der Griff zu Handy und Tablet sei nun noch selbstverständlicher als zuvor, werde aber keineswegs nur für Recherche und Lernprogramme genutzt. Viele Kinder seien vor Bildschirmen „geparkt“ worden und die Medien gehören weiter zu ihrem Alltag, hat auch die Erzieherin beobachtet. „Gerade für kleine Kinder, die für einen Lernerfolg ihre Erfahrungen in Aktion machen müssen, ist das gar nicht zuträglich.“

Autor:

Katrin Gerweck aus Bretten

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