Mangel an Kinder-Medikamenten in der Region
"Behandeln Sie dieses Medikament wie Gold"

Viele Medikamente für Kinder sind derzeit schwer oder sogar überhaupt nicht erhältlich. Foto: bnenin - stock.adobe.com
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Bretten (swiz) "Kranke Kinder können zum Teil nicht ausreichend mit Antibiotika-Säften versorgt werden." Diesen besorgniserregenden Satz von Ende April ist man bei Nachrichten aus Entwicklungsländern leider oft schon gewöhnt. Dass sich die Äußerung von Jakob Maske, Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) jedoch auf Kinder in Deutschland bezogen hat, ließ allerorten aufhorchen und einen Sturm der Entrüstung losbrechen.

Kind hatte 41 Grad Fieber

Patricia Böckle aus Bretten hat diesen Mangel bei ihrer Tochter Lisa Marie leider hautnah miterleben müssen. Die Fünfjährige hatte Mitte Februar Scharlach bekommen und wurde mit einem Antibiotika-Saft behandelt. Die Krankheit heilte ab. Mitte März kamen die Halsschmerzen allerdings wieder. Auch das Fieber stieg schnell an "und als das Thermometer dann knapp 41 Grad anzeigte, natürlich am Abend, wenn kein Kinderarzt mehr geöffnet hat, bin ich mit meiner Tochter in die Klinik gefahren", erinnert sich Böckle. Und weiter: "Dort haben wir nach einem Abstrich im Rachenraum erfahren, dass es sich um Streptokokken handelt. Verschrieben wurde uns dann Penicillin als Antibiotikum." In der Notapotheke wurde ihnen dann aber mitgeteilt, dass dieses Mittel generell nicht für kleine Kinder geeignet sei.

"Behandeln Sie dieses Medikament wie Gold"

"Zurück im Krankenhaus wurde uns ein anderes Antibiotikum verschrieben. Die Apothekerin sagte uns in der Folge aber, dass dieses Antibiotikum schon seit Wochen nicht mehr verfügbar ist. Und zwar nicht nur hier, sondern bis nach Stuttgart", erinnert sich die junge Mutter. Wieder im Krankenhaus hätte sie für ihre Tochter dann schließlich nach langem Hin und Her die letzte Flasche Antibiotikum für Kleinkinder dosiert bekommen, die dort noch vorrätig war. "'Behandeln Sie dieses Medikament wie Gold', haben sie uns damals noch gesagt, 'es ist unsere einzige Flasche'", sagt Patricia Böckle mit einem Kopfschütteln. Gewirkt hat das Medikament übrigens dennoch nicht. Hilfe brachte dann schließlich der Kinderarzt von Lisa Marie in Philippsburg. Er verschrieb dem Kind ein Antibiotikum, das es noch im benachbarten Ort gab und das Lisa Marie schließlich heilte.

"Mangel bei Medikamenten von A bis Z"

Die schlechte Verfügbarkeit von Medikamenten für Kinder ist auch für Ariane Maaß von der Hirsch Apotheke in Bretten nichts Neues. Sie berichtet im Gespräch mit der Brettener Woche von "einem Mangel an Medikamenten, sowohl für Kinder als auch allgemein bei allen Medikamenten von A bis Z." Besonders dramatisch sei die Situation aber bei kranken Kindern, da man nicht so einfach auf andere Medikamente ausweichen könne. "Aktuell sind bei mir über 330 Medikamente als nicht lieferbar gemeldet."

"Antibiotika fehlen europaweit"

Zu den betroffenen Medikamenten gehören laut Maaß unter anderem Antibiotika (vor allem antibiotikahaltige Säfte), Magenmittel, Aspirin, bestimmte Augentropfen, Psychopharmaka, insulinhaltige Mittel, Schmerzmittel, Nasentropfen, Cholesterinsenker sowie Schlaf- und Beruhigungsmittel. "Die Gründe für den Mangel sind bedingt durch viele Faktoren. Es fehlen beispielsweise Ausgangsstoffe, die aus China oder Indien stammen. Manchmal sind es auch die Fläschchen, die nicht lieferbar sind", sagt Maaß. Der Hauptgrund für den Mangel an Medikamenten sei jedoch der Kostenfaktor. „Medikamente sind in Deutschland zu günstig“, so Maaß. Deshalb würden andere Länder, die höhere Preise zahlen, bevorzugt beliefert werden. "Eine Ausnahme bilden Antibiotika, die europaweit fehlen." Um die Versorgungslücke zu überbrücken, ergreift Maaß verschiedene Maßnahmen. Sie rufe andere Apotheken an, um zu prüfen, ob diese noch die benötigten Medikamente vorrätig haben. Zudem halte sie Rücksprache mit Ärzten, worauf man ausweichen könne. Die Apothekerin hat sogar schon Schmerzzäpfchen selbst hergestellt, jedoch fehlten oft die Grundstoffe oder sie seien sehr teuer, berichtet sie.

"Erschwert die tägliche Arbeit erheblich"

Der Brettener Kinderarzt Dr. Matthias J. Gelb bestätigt den Engpass auch aus den Erfahrungen in seiner Praxis. Insbesondere gebe es einen Mangel an Antibiotika-Säften, Fiebermedikamenten für Kinder, antibiotischen Augentropfen und Medikamenten gegen Allergien. „Mal fehlt der eine, dann schlagartig der andere Antibiotika-Saft“, berichtet Gelb. Dies erschwere die tägliche Arbeit erheblich, vor allem in Anbetracht der massiven Infektwelle, die, wie Gelb vermutet, auf die Aufhebung der Pandemie-Richtlinien zurückzuführen ist. "So ist Scharlach geradezu explodiert."

Eltern müssen oft mehrere Apotheken abklappern

Eltern müssten oft mehrere Apotheken abklappern, um die benötigten Medikamente zu erhalten. Besonders problematisch werde die Situation während des Notdienstes an Wochenenden und Feiertagen. Im Einzugsgebiet gebe es nur eine Notdienstapotheke, wodurch es regelmäßig vorkomme, dass Eltern 50 Kilometer oder mehr fahren müssten, um die benötigten Medikamente für ihre Kinder zeitnah zu bekommen.

"Apotheke der Welt" war einmal

Der Mediziner habe noch zu seinen Anfangszeiten erlebt, dass Deutschland einst die „Apotheke der Welt“ war. "Das hat sich jedoch leider radikal geändert", so Gelb. Die Mehrzahl der Medikamente und deren Grundstoffe würden heutzutage wohl aus betriebswirtschaftlichen Gründen in Asien produziert. „Aus meiner Sicht gehört die Arzneimittelproduktion auch zur kritischen Infrastruktur und sollte zumindest in den Euro-Raum zurückverlegt werden“, betont der Kinderarzt. Als kurzfristige Lösung könnte eine strategische Reserve durch den Bund oder das Land eingerichtet werden, um die Medikamentenversorgung sicherzustellen, schlägt er vor.

"Medikament der zweiten oder dritten Wahl"

Den Engpass an Medikamenten für Kinder bemerkt auch Dr. Johannes Garvelmann, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin in Bretten. "Als Kinderarzt, der ausschließlich privat praktiziert, habe ich den Luxus, mir für jede Behandlung so viel Zeit wie nötig zu nehmen." Einen Teil dieser Zeit investiere er darin, die Apotheke anzurufen, um zu erfragen, ob das von ihm verordnete Medikament vorrätig sei. Falls nicht, erkundige er sich nach verfügbaren Alternativen. „Das erspart viel Frust auf Seiten der Eltern und der Apotheker. Dennoch passiert es gelegentlich, dass ich eine Medikamentenalternative verschreiben muss, die nicht optimal ist“, berichtet Garvelmann. Dies betreffe insbesondere Antibiotika, bei denen es vorkommen könne, dass ein Kind ein Medikament der zweiten oder dritten Wahl erhalte, welches das das vermutete Erregerspektrum nicht optimal erfasse.

"Hoffnung auf die Selbstregulierung des Marktes führte zu Abhängigkeit"

Die Gründe für die Medikamenten-Knappheit liegen auch für ihn auf der Hand: "Wie in vielen anderen Bereichen ist man mit Hoffnung auf die Selbstregulierung des Marktes in eine Abhängigkeit von wenigen Ländern – im Arzneimittelbereich insbesondere Indien und China – sowie von funktionsfähigen Lieferketten geraten", betont Garvelmann. Auch die mittel- und langfristigen Lösungsansätze lägen auf der Hand: "staatliche Herstellung und Bevorratung der gebräuchlichsten Arzneimittel und aller erforderlichen Grundstoffe in Europa."

Autor:

Christian Schweizer aus Bretten

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