Behandlungsfehler ist nicht ungewöhnlich: Leserbrief zum Artikel „Schwerbehindert nach Ärztefehler”

In einer Zeitung, die ich bisher als weitestgehend seriös erlebte, diesen reißerischen Aufmacher zu sehen, der wohl eher in die „Bild-Zeitung” gehört, ließ mich auch den dazugehörigen Artikel lesen. Dieser wiederum führte zu einem Leserbrief.
Ja, das Schicksal dieses kleinen Jungen und seiner Familie ist hart. Die Pauschalisierung, schlechte Recherche und die Aussagen der Großmutter sind eine ganz andere Sache. Schauen wir uns die ganze Sache doch einmal genauer an: Paul, mit 524 Gramm geboren – das entspricht entweder einer sehr frühen Schwangerschaftswoche und/oder einer mangelhaften Versorgung über die Plazenta im Bauch der Mutter. Während und nach der Geburt solch kleiner Kinder ist großer personeller und technischer Aufwand vonnöten, um die Kinder optimal versorgen zu können. Die Unreife sämtlicher Organsysteme wie zum Beispiel Herz, Blutdruck, Lunge, Magen-Darm, Niere und Gehirn steht im Vordergrund und birgt zahlreiche Probleme, die der Unterstützung bedürfen. Allerdings ist das nicht die einzige Herausforderung, denn die Familie des kleinen Patienten, seine Eltern, Geschwister und Großeltern sind fassungslos und bedürfen ebenso einer Unterstützung, die auf der Kinder-Intensivstation geleistet wird. Trost, Zuspruch, Kontaktaufnahme zum Kind, Anleitung und Mithilfe zur Versorgung, Halten Känguruhen und so weiter, all das wird 24 Stunden am Tag möglich gemacht.

Die Gefäßverbindung (Ductus arteriosus), die sich bei Paul nicht verschlossen hat, ist ein weiteres häufiges Problem von Frühgeborenen. Die Therapie eines medikamentösen Verschlusses gelingt recht häufig, in manchen Fällen ist jedoch ein operativer Verschluss notwendig. Vom Operateur, dessen Hand so groß ist wie der gesamte Patient, wird diese filigrane Millimeterarbeit mit enormem personellem und technischem Aufwand durchgeführt. Wie vor jeder anderen Operation erfolgt auch hier die Aufklärung von Seiten der Anästhesie und Chirurgie, die mögliche Komplikationen und Folgen nennt (von denen man natürlich hofft, verschont zu bleiben). Der Behandlungsfehler, der bei dieser OP entstand, ist den Umständen geschuldet und nicht ungewöhnlich. Er wurde offenbar rasch erkannt und Maßnahmen zur Behebung eingeleitet.

Auch im weiteren Verlauf bleibt Paul ein sehr kleines und unreifes Frühgeborenes mit zahlreichen weiteren Problemen wie zum Beispiel dem Darmverschluss. Diese Komplikation trifft durch die Unreife der Organsysteme zahlreiche Frühgeborene. Die OP dieses Darmverschlusses hat Paul wohl recht gut überstanden. Die im Bericht erwähnte Reanimation ist eine weitere Komplikation. Lange Beatmungsdauer, ein „Steiferwerden” der beatmeten Lunge, möglicherweise Probleme mit der Sauerstoffversorgung im Körper könnten einen Pneumothorax („gerissener Lungenflügel”) auslösen. Die Reanimation war erfolgreich. Reanimationsprotokoll? Sämtliche Maßnahmen und Medikamente werden in der medizinischen Dokumentation des Patienten erfasst. Zur Umlage der hohen Prozesskosten kann und will ich mir kein Urteil erlauben. Ja, Pauls „Fall” ist komplex und für die Familie sicher schwer zu tragen. Der Bericht an sich ist aber für alle, die sich jeden Tag mit viel Engagement um Patienten und ihre Angehörigen kümmern, Freizeit opfern (Personalmangel) und das Unmögliche möglich machen, ein Schlag mitten ins Gesicht.

D. Berger
Bretten

Autor:

Christian Schweizer aus Bretten

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