Leserbrief zum Artikel "Wohnquartier mit 82 Meter hohem Turm"
Was kommt nach dem "Wow"?:

Leserbrief zum Artikel "Wohnquartier mit 82 Meter hohem Turm".

Der Entwurf der BVA-Investorengruppe für die Bebauung des Geländes löst als „Turmbau zu Bretten“ gemischte Reaktionen aus. Der Gemeinderat ist begeistert, die Kommentare aus der Bevölkerung zeigen Skepsis, Ablehnung oder gar Resignation. Dabei enthält das Projekt eine Reihe positiver Aspekte. Die schneckenförmig angeordneten niedrigen Baukörper heben sich wohltuend ab von den in der Stadt verbreiteten gleichförmigen Investorenbauten. Für die Entstehung eines neuen Stadtteils werden durch Nachverdichtung weder Streuobstwiesen noch Ackerland geopfert.

Die Ideen zur Begrünung dagegen sind nicht neu. Für private Bauherren sind Dachbegrünung und verbindliche Anpflanzungen längst Standard. Eine Umsetzung bei Investorenprojekten ist nur konsequent und zu begrüßen.

Hat man als Brettener Bürger noch die Präsentation der Gartenschaupläne und die engagierten Diskussionen an den Stellwänden mit den Mitarbeitern der Stadt im Kopf, wirkt der Turm als Teil des Konzepts befremdlich. Bretten soll grüner, entsiegelter und zukunftsfähiger werden. Nun soll ausgerechnet eine 82 Meter hohe Konstruktion aus Beton und Glas zum Wahrzeichen am Stadteingang werden. Mag sein, dass der auf der B35 daran vorbeirauschende Mensch denkt: „Wow! Was für ein Bau!“. Entscheidend ist, was nach dem „Wow“ kommt. Wer möchte in diesem Turm leben? Vielleicht gibt es Menschen, die sich nicht stören lassen von Lärm, Abgasen und der wenig erbaulichen Aussicht. Ich lese weiter von Plänen für ein Kongresszentrum. Die gesamte Branche ist durch die Coronasituation und Digitalisierung in der Krise. Was sollte einen Veranstalter an die Bundesstrasse locken, wo er in der Nähe zum Beispiel das idyllische Pforzheim-Hohenwart buchen kann? Man kann den Anwohnern einen erfolgreichen Kongressbetrieb nicht wirklich wünschen. Bereits diese wenigen Aspekte genügen, um die Wohnqualität als kritisch einzuschätzen.

Wer trägt die Risiken für Leerstand, wenn der Investor längst weitergezogen ist? Das Konzept Turm und Kongresszentrum ist nicht zeitgemäß und risikobehaftet. Innovativ wären: Co-Working-Angebote, Gründerzentrum, von der Stadt getragenes Quartiersmanagement mit den zukünftigen BewohnerInnen sowie eine intelligente Anbindung an die Stadt durch attraktive Fuß- und Radwege sowie Nahverkehr. Sonst gewinnt Bretten ein Trabantenstädtchen als Fremdkörper und reichlich zusätzlichen Autoverkehr. Das „wow“ ist verpufft. Darum hoffe ich auf ein Nein zum Turm und Kongresszentrum.

Die Stadt Bretten selbst versucht mit der Bewerbung zur Gartenschau eine Antwort auf die Frage zu geben: Wie wollen wir in Bretten in der Zukunft leben? In der Machbarkeitsstudie werden erste Kriterien entwickelt, die für eine Stadtentwicklung taugen könnten (Generationengerecht - Klimasensibel - Lebenswert). Wo kommen diese Kriterien im Projekt vor? Wo bleibt der zweite und dritte alternative Entwurf? Wo findet der Wettbewerb um die besten Ideen für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung in Bretten statt? Bei mir entsteht der Eindruck: Zuerst das Grundstück verkaufen, dann legt der Investor seine Wünsche vor.

Ein Wettbewerb findet nicht statt, die Stadt gibt anscheinend ihren Gestaltungsspielraum weitgehend aus der Hand - zum Schaden der Stadtentwicklung. Geht das anders? Ich baue auf den überzeugend erklärten Willen der Stadt zum Bürgerdialog. Ich hoffe, dass auf den Aufschlag der BVA-Gruppe die Stadt ein Fenster für sachbezogene und respektvolle Diskussionen mit allen Brettenern guten Willens öffnet. Damit am Ende aus dem „Wow“ nicht ein „Auweia“ wird.

Jutta Biehl-Herzfeld
Bretten

Alles zum Thema Melanchthonhöhe Bretten finden Sie auf unserer Themenseite.

Autor:

Kraichgau News aus Bretten

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