Ein gelber Luftballon schreibt Zeitgeschichte

Als die kleine Stefanie aus Dossenheim bei Heidelberg im Alter von 6 Jahren 1977 hartnäckig bei den Eltern während eines Sommertagsumzugs einen Luftballon einforderte, den ein "Luftballonmann" verkaufte, konnte sie nicht ahnen, welchen Einfluss dieser Ballon auf ihr Leben nehmen sollte. Stefanie war noch nicht in der Schule und konnte weder lesen noch schreiben-also füllte ihre Tante die anhängende Karte aus und gab die Adresse von Stefanie preis. Der Luftballon trat seine Reise an und flog 500km östlich über die innerdeutsche Grenze bis in die Nähe von Meißen. Aufgefunden von einem älteren Herrn auf dem Feld einer LPG, gab dieser die Karte seiner Enkelin, der ebenfalls sechsjährigen Anke. So begann eine deutsch-deutsche Brieffreundschaft, die zum einen eine ganz persönliche Geschichte darstellt, aber auch die Teilung und die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten dokumentiert aus dem Blickwinkel zweier heranwachsender Mädchen.
Stefanie Wally, Schulreferentin am Regierungspräsidium, hat ihre Geschichte in einem Buch veröffentlicht. Am Freitag, den 27.11. war sie zu Gast am ESG und stellte ihr Buch und ihre Geschichte vor. Es war ein bewegender Abend, der viel Einblick gab in eine ganz besonders berührende Geschichte, denn die beiden Mädchen wurden Freundinnen fürs Leben und begleiten sich gegenseitig seit nun 40 Jahren. Aber auch politisch und geschichtlich ist diese Freundschaft hoch brisant. Welche Fragen haben sich die älter und größer werdenden Schülerinnen gestellt, die nicht eine herkömmliche Grenze trennte, sondern eine schier unüberwindliche? Erst im Alter von 17 Jahren, nach 11 Jahren des Schreibens, standen sich die Mädchen das erste Mal gegenüber, als Stefanie mit der Schule eine Reise nach Westberlin unternahm und sich mit Anke in Ostberlin treffen konnte. Ein Jahr später konnte Stefanie tatsächlich ihre Freundin in der Nähe von Meißen besuchen und auch den Großvater kennenlernen, der die Karte damals weitergegeben hatte.
Natürlich waren es auch alltägliche Themen wie Jungs, Mode und die Schule, die in den Briefen zur Sprache kamen. Aber Stefanie bekam auch mit, dass ihre Freundin Anke in ihrer Berufswahl eingeschränkt war, weil sie Westkontakte hatte. Anke hätte in die Partei eintreten und ihren Kontakt zu Stefanie abbrechen müssen - bewundernswerterweise ließ sie sich darauf nicht ein. Ja, selbst eine Ausreise über Ungarn wurde ins Auge gefasst. Später, als die Grenzen offen waren, stellte sich heraus, dass die Stasi über die Kontakte bestens informiert war. "Ich konnte an der Akte meines Bruders ablesen, dass sie uns die ganze Zeit beobachtet haben", sagt Anke in einem Telefonat.
Schülerinnen und Schüler der Klassen 8 bis 10 sowie viele am Schulleben Beteiligte hörten gespannt der lebendigen Erzählung von Stefanie Wally zu, die auch aus ihrem Buch vorlas.
Die Geschichte ist berührend, weil allein schon eine so lang andauernde Freundschaft etwas Wunderbares ist. Aber diese Freundschaft stand unter einem besonderen Vorzeichen und so hat dieser kleine gelbe Luftballon eben Zeitgeschichte geschrieben.
Schulleiterin Annelie Richter dankte der Autorin sehr bewegt für diesen politisch und persönlich interessanten und gelungenen Leseabend.
Stefanie Wally: Akte Luftballon. Elisabeth Sandmann Verlag, 19,95 Euro.

Autor:

Christine Kutzner-Apostel aus Bretten

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