Speerspitze für kommende Generationen
G9-Elterninitiative hat Landtag mehr als 100.000 Unterschriften für Volksantrag übergeben
Bretten/Region (hk) Der Elterninitiative „G9 jetzt!“ ist es doch noch gelungen, die erforderliche Zahl von Unterschriften für einen Volksantrag zu sammeln. Dafür hatten die Initiatorinnen insgesamt ein Jahr Zeit. Kurz vor Ablauf der Frist sah es noch so aus, als würden nicht genügend Unterschriften zusammenkommen: Ende August fehlten rund 40 Prozent des erforderlichen Quorums.
Wie die Initiatoren nun am Montag bekanntgaben, wurden bis zum Ende der Einreichungsfrist insgesamt 106.950 amtlich bescheinigte Formblätter gesammelt. Noch kein Volksantrag in Baden-Württemberg habe eine so überwältigende Zustimmung erhalten – noch dazu initiiert von Bürgern, ohne Unterstützung von Verbänden, Organisationen oder Großsponsoren, teilte die G9-Initiative mit. Damit der Landtag den Gesetzentwurf der Initiative im Plenum berät, waren die Unterschriften von 0,5 Prozent aller Wahlberechtigten nötig. In Baden-Württemberg sind das rund 39.000 Unterschriften.
Bereits im Oktober konnten fast 78.000 Unterschriften in Stuttgart an die Landtagspräsidentin Muhterem Aras übergeben werden – und mittendrin war Leonie Hudetz aus Knittlingen. Als engagierte Mutter hatte sie sich der Bewegung angeschlossen und dafür gekämpft, dass das Abitur wieder nach neun Jahren abgelegt werden kann (wir berichteten). "G9 jetzt!" fordert nach eigenen Angaben, ein zeitgemäß reformiertes G9 an den allgemeinbildenden Gymnasien in Baden-Württemberg als Regelweg – mit einer G8/G9-Wahlmöglichkeit.
Überwältigende Dynamik in den letzten Wochen
Auch Leonie Hudetz befürchtete im Sommer, dass es der Initiative nicht gelingen würde, die erforderliche Anzahl von Formularen zu sammeln, bestätigen zu lassen und einzureichen. „Ich hatte das Gefühl, alleine nicht viel erreichen zu können und bin anfangs oft gegen Wände gelaufen. Aber irgendwann hat sich der Knoten gelöst“, sagt sie mit einem Lachen im Gespräch mit der Brettener Woche/kraichgau.news und blickt auf ihren "partner in crime" in dieser Sache, den Rinklinger "Tausendsassa" Lars Vollmer. Der hat sich dem Engagement von Hudetz angeschlossen, nachdem er in der Brettener Woche von den Bemühungen der Knittlingerin erfahren hatte.
Die Dynamik der letzten Wochen sei überwältigend gewesen, sagen beide im Redaktionsgespräch, man habe sich zeitweise vor unterschriebenen Formblättern kaum retten können. Insgesamt knapp über 1.500 Formulare habe Vollmer ihr auf den letzten Metern noch beschert, berichtet Hudetz.
"Selbstlos geben, ohne etwas dafür zu erwarten"
Doch wie kam es dazu? Vollmer: "Ich habe Leonie als jemanden aufgefasst, der selbstlos gibt, ohne etwas dafür zu erwarten – das hat mich inspiriert." Die Motivation, sich selbst zu engagieren, erklärt Vollmer mit persönlichen Beweggründen: "Von meiner Tochter, die in die neunte Klasse am Melanchthon-Gymnasium in Bretten geht, weiß ich, dass sie kaum noch ihren Hobbys nachgehen kann. Neben zweimal Nachmittagsunterricht pro Woche und den umfangreichen Hausaufgaben, muss sie parallel für bis zu drei Arbeiten und Tests pro Woche lernen. Diese Erkenntnis, dass ein junger Mensch in diesem Alter nicht die Möglichkeit hat, seine Persönlichkeit so zu entwickeln, wie ich es zum Beispiel damals durfte – das hat mich gestört. Da kam mir in den Sinn, dass etwas im System nicht stimmen kann", so Vollmer. Und „um dem Ganzen noch eins draufzusetzen“, so Vollmer weiter, sei Baden-Württemberg das einzige und letzte Bundesland, in dem es noch das G8-Schulsystem gebe. Diese für ihn „unerklärliche Tatsache“ habe den Vater zweier Töchter dazu bewogen, Kontakt zu Leonie Hudetz aufzunehmen.
"Jeder hat getan, was er konnte"
„Neben der Aufgeschlossenheit der Schulen, an denen ich für die G9-Initiative werben durfte, hat mir auch Social Media enorm geholfen, auf mein Anliegen aufmerksam zu machen“, sagt Vollmer. Hudetz berichtet, wie sich auch Lehrerinnen und Lehrer bei Elternabenden „aus der Deckung gewagt“ und ihr positive Rückmeldungen gegeben hätten. „Das hat uns darin bestärkt, das Richtige zu tun – und dass es keine ganz blöde Idee ist, die wir umsetzen wollen“, betont sie. „Jeder hat in den vergangenen Wochen getan, was er konnte", erzählt sie weiter. Auch die Zahnärztin Stephanie Zimmermann und die stellvertretende Vorsitzende des Gesamtelternbeirats Ute Erlekotte, beide aus Bretten, hätten ihr stapelweise Formblätter in die Hand gedrückt. Überhaupt hätten die Schulen eine ganz entscheidende Rolle gespielt, berichten Hudetz und Vollmer.
Durch einen zufälligen Kontakt habe sich die Chance ergeben, am Hartmanni-Gymnasium in Eppingen über die G9-Initiative zu sprechen. Obwohl Vollmer als „Schulfremder“ letztlich dort nicht dafür werben durfte, ergab sich durch einen weiteren Kontakt zum dortigen Elternbeirat doch noch ein "Schlupfloch": Der Schriftführer des Elternbeirats sicherte Vollmer seine Unterstützung zu und sammelte in dessen Namen fast 400 Formblätter ein. Dadurch, so Vollmer, habe sich ein sogenannter „Butterfly-Effekt“ offenbart: Individuelle Handlungen und Unterstützung von verschiedenen Seiten hätten letztendlich zu einem kollektiven Erfolg geführt. Dafür sind Hudetz und Vollmer allen, die dazu beigetragen haben, sowie den Ansprechpartnern in den Rathäusern, die sich durch die Formulare gearbeitet haben, von tiefstem Herzen dankbar.
Elterninitiative hat Schulgeschichte geschrieben
Auch viele Familien, deren Kinder bereits nicht mehr in der gymnasialen Oberstufe sind, und somit von der Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium nicht mehr direkt profitieren, hätten ihre Unterstützung mit Unterschriften zum Ausdruck gebracht, sagt Hudetz. Denn diese Eltern hätten aus eigener Erfahrung erlebt, wie negativ sich G8 auf das Familienleben auswirken kann. "Umso mehr sind diese Eltern jetzt bereit, sich als Speerspitze für die kommenden Generationen einzusetzen."
Leonie Hudetz war bei der Übergabe der Unterschriften im Oktober im Landtag persönlich anwesend. Die Stimmung unter den Politikern sei unterschiedlich gewesen, einige seien positiv gestimmt gewesen, anderen hätten noch vorsichtig reagiert. Spätestens in einem halben Jahr muss der Landtag über den Volksantrag entscheiden.
Hudetz und Vollmer sind sich jedenfalls sicher: Die Elterninitiative hat mit ihrem beharrlichen Vorgehen politische Blockaden überwunden und sogar Schulgeschichte geschrieben. hk
Autor:Havva Keskin aus Bretten |
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