Verwirrende Symptome, späte Diagnose
ADHS bei Frauen – das verkleidete Leiden

Von ADHS betroffene Frauen spüren die Symptome ihrer Erkrankung häufig erst mit dem Eintritt in das Berufsleben. Dank einer medikamentösen Therapie ist die Krankheit jedoch vielfach gut behandelbar. | Foto: JPfeifer
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  • Von ADHS betroffene Frauen spüren die Symptome ihrer Erkrankung häufig erst mit dem Eintritt in das Berufsleben. Dank einer medikamentösen Therapie ist die Krankheit jedoch vielfach gut behandelbar.
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(wlm) Wer an ADHS denkt, hat meist ein klares Bild vor sich: Hippelige, überaktive Jungs, die allen um sich herum auf die Nerven gehen und die ihre Impulsivität kaum oder nur schlecht kontrollieren können. Dass es aber auch Mädchen mit ADHS gibt, wird häufig übersehen, denn ihr Verhalten ist meist ganz anders als das der Jungen. Doch was sich in der Kinder- und Jugendzeit unbemerkt vor sich hin entwickelt, kann im Erwachsenenalter zu erheblichen seelischen Problemen führen. Frauen mit ADHS haben vielfach eine noch längere Leidensgeschichte hinter sich als Männer. Denn die Symptome ihrer Krankheit verstecken sich. Gut zu wissen, dass die Erkrankung – einmal richtig erkannt – dank einer medikamentösen Therapie auch nach einer späten Diagnose gut behandelbar ist.

Nicht erkannte ADHS im Erwachsenenalter

Gutmütig, still, problemlos. Ein bisschen verträumt war sie vielleicht. Und in sich gekehrt. Sie funktionierte, war der Liebling der Lehrer und beliebt bei den Klassenkameraden. Wer denkt da schon an ADHS? Keiner ahnte, dass das Leben die junge Frau später – so ab 20 etwa – vor nahezu unlösbare Aufgaben stellen sollte. Kaum aus dem Elternhaus heraus, bricht sie mehrere Ausbildungen ab, hält es in keinem Job aus, gerät an dubiose, häufig wechselnde Partner, macht Bekanntschaft mit Drogen oder Alkohol und kann weder ihr Leben, noch ihre Wohnung aufräumen. Sie ist nicht dumm, hat sogar einen recht hohen IQ und eine bemerkenswerte Kreativität. Daher spürt sie ihre Probleme, nimmt sie als persönliches Versagen wahr, gerät darüber in Panik, entwickelt Depressionen und schließlich Ängste vor dem Leben an sich und dem was kommen mag. Schließlich – nach langen inneren Qualen – begibt sie sich in Therapie und wird behandelt. Wegen Depressionen, Drogenabhängigkeit, sie wird als bipolar diagnostiziert, narzisstisch, Borderline-Persönlichkeitsstörung oder als angstgestört. So richtig diese Diagnosen für die Einzelsymptome sein mögen – bei näherem Hinsehen liegt dem Krankheitsbild etwas anderes zu Grunde: Eine nicht erkannte ADHS im Erwachsenenalter.

Haushalt, Beruf, Familie organisieren? Wie denn?

ADHS verschwindet nicht einfach nach der Pubertät oder beim Erwachsenwerden. Etwa zwei Drittel der ADHS-Kinder nehmen ihre Symptome mit in die Erwachsenenwelt. Eine der erfahrensten ADHS-Expertinnen, die Psychiaterin und Psychotherapeutin Dr. med Jana Engel verdeutlicht: "Während Jungs auffallen, wird bei Mädchen die Erkrankung nur selten richtig diagnostiziert und therapiert. Denn Mädchen zeigen andere Symptome, sind eher ruhig, zurückgezogen, unaufmerksam-verträumt, nur selten aufdringlich und unbeherrscht". Im Erwachsenenalter treten die Folgen um so heftiger zu Tage: Einer aktuellen Studie zu Folge leiden Frauen mit ADHS häufiger an Depressionen, Angsterkrankungen und bipolaren Störungen als Männer, sie entwickeln ein höheres Risiko für Alkohol- oder Cannabis-Missbrauch und haben ein doppelt so hohes Risiko für Übergewicht als nicht-betroffene Frauen. Aber warum treten die Probleme erst so spät mit solcher Dramatik zu Tage? Die Antwort liegt in den steigenden Anforderungen. Mag es nach der Schule, in der Ausbildung und in den ersten Jahren der Eigenständigkeit gerade noch gut gegangen sein, beginnen die Schwierigkeiten meist schon mit der ersten Wohnung, spätestens aber mit der Familiengründung. Wenn ADHS-belastete Frauen, dem klassischen Rollenbild folgend, Familie und Beruf vereinbaren wollen, wenn sie Haushalt, Kindererziehung, Schulveranstaltungen, Kindergarten, Hund, Katze, Maus und Mann organisieren müssen, werden ihre Probleme offensichtlich. Unter ADHS leidenden, häufig sehr chaotischen Frauen fällt es häufig schon schwer, nur sich selbst zu organisieren. Trotz bestem Willen schaffen sie es oft nicht, ihren selbstgestellten Anforderungen nachzukommen. Diese vorgebliche Unfähigkeit erfüllt sie immer stärker mit täglicher Versagensangst. Erst wenn es gar nicht mehr geht, wird der Weg zum Arzt eingeschlagen.

Genau hinschauen bei der Diagnose

Der jedoch tut sich mit der richtigen Diagnose häufig schwer. Denn ADHS verschleiert sich, umgibt sich mit Begleiterkrankungen und führt so leicht in die Irre. "In meine und in die Praxen von Kollegen kommen viele Patientinnen mit depressiven Symptomen, mit Angststörungen, diagnostizierter bipolarer Störung oder Borderline-Symptomatik. Darunter liegt vielfach jedoch eine ADHS-Erkrankung, die sich verkleidet", so Dr. Engel. Die richtige Diagnose ist in diesen Fällen jedoch entscheidend, denn ADHS lässt sich durch eine Behandlung mit Methylphenidat (MPH) und begleitender Psychotherapie vielfach erfolgversprechend therapieren. Schlägt diese MPH-Therapie an, können bisherige antidepressive Mittel häufig reduziert oder sogar völlig abgesetzt werden. Auch die Begleiterkrankungen gehen vielfach zurück. Konkret bedeutet dies eine Stabilisierung der Gefühlswelt der Patientinnen. Sie können ihr Leben strukturierter und mit einer besseren Stressresistenz führen und erleben es häufig "als hätte jemand einen Vorhang beiseite gezogen". Es ist nie zu spät, eine solch grundlegende Erkrankung anzugehen und dank genauer Diagnose und mit passender Therapie in den Griff zu bekommen.

Autor:

Kraichgau News aus Bretten

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