Expert*innen informierten: Welt-Hirntumor-Tag
„Angehörige sind ein wichtiger Teil des Behandlungsteams“
Glioblastome zählen zu den aggressivsten Hirntumoren überhaupt. Ihr schnelles Wachstum lässt den Betroffenen und ihrem Umfeld kaum Zeit, sich auf die radikal veränderte Lebensperspektive einzustellen. Besonders in der aufreibenden Zeit unmittelbar nach der Diagnose haben Patient:innen und Angehörige viele Fragen, angefangen von der Behandlungsstrategie über Unterstützungsangebote bis hin zu den konkreten Auswirkungen der Erkrankung auf Alltag, Pflege und Lebensqualität. Anlässlich des diesjährigen Welt-Hirntumor-Tags informierten Expert:innen des Zentrums der Neurologie und Neurochirurgie am Universitätsklinikum Frankfurt zur Diagnose und Behandlung des Glioblastoms. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Nachlesen:
Welche frühen Symptome können bei einem Glioblastom auftreten?
Priv.-Doz. Dr. med. Michael Burger: Die Art der Beschwerden hängt von der betroffenen Stelle im Gehirn ab und kann daher sehr vielgestaltig sein. Häufig treten sogenannte neurologische Ausfallerscheinungen wie eine Lähmung oder ein Gesichtsfelddefekt auf. Es kann aber auch zu epileptischen Anfällen oder neuen, bislang ungewohnten Kopfschmerzen kommen.
Sollte ich solche Symptome immer neurologisch abklären lassen?
Priv.-Doz. Dr. med. Michael Burger: Besprechen Sie neue Beschwerden im ersten Schritt mit Ihrer Hausärztin oder Ihrem Hausarzt. Er oder sie kann Sie über das weitere Vorgehen beraten und bei Bedarf an einen Facharzt oder eine Fachärztin überweisen.
Wie wird die Diagnose gestellt?
Priv.-Doz. Dr. med. univ. Marie-Thérèse Forster: Häufig kann bereits aufgrund eines bildgebenden Verfahrens, zum Beispiel einer Magnetresonanztomographie (MRT) eine Verdachtsdiagnose gestellt werden. Für die definitive Diagnose braucht es jedoch stets die histologische und molekulargenetische Untersuchung von entnommenem Tumorgewebe.
Welche Rolle spielt das Ergebnis der Biopsie?
Priv.-Doz. Dr. med. univ. Marie-Thérèse Forster: Die Gewinnung von Tumorgewebe mittels Biopsie oder – im Idealfall – im Zusammenhang mit der Entfernung des Tumors ist essenziell für die Diagnose. Hierbei gilt es, ausreichend Tumormaterial für die molekulargenetische Diagnostik zu gewinnen, um Patient:innen neben der Standardtherapie gegebenenfalls eine zusätzliche individuelle Therapie im Rahmen von Studien anbieten zu können.
Welche Behandlungsverfahren stehen bei einem neu diagnostizierten Glioblastom zur Verfügung?
Priv.-Doz. Dr. med. Michael Burger: Nach der Entfernung des Tumorgewebes beziehungsweise der Biopsie erfolgt zunächst eine Strahlentherapie. Diese sollte mit einer Chemotherapie mit dem Wirkstoff Temozolomid kombiniert werden. In Einzelfällen kann auch eine Kombinationstherapie mit CCNU und Temozolomid erfolgen. Nach Abschluss der Strahlentherapie wird die Chemotherapie als Erhaltungs-Chemotherapie weitergeführt. Diese kann mit TTFields kombiniert werden, wobei elektrische Wechselfelder genutzt werden, um die Zellteilung noch vorhandener Tumorzellen zu beeinflussen. TTFields wurde als Behandlungsoption kürzlich neu in die Therapieleitlinien aufgenommen.
Was bedeutet „interdisziplinäre Behandlung“ bei einem Glioblastom?
Priv.-Doz. Dr. med. univ. Marie-Thérèse Forster: „Interdisziplinäre Behandlung“ bedeutet, dass der Fall jedes Patienten und jeder Patientin mit Expert:innen aller an der Behandlung beteiligten Disziplinen diskutiert wird und eine gemeinsame Behandlungsplanung stattfindet. Dazu zählen Neurochirurgie, Neuroradiologie, Neuroonkologie, Strahlentherapie, bei Bedarf auch Hämatoonkologie. Jeder einzelne Fall wird einmal in der Woche in einer so genannten Tumorkonferenz besprochen. In Einzelfällen finden darüber hinaus zusätzliche interdisziplinäre Besprechungen zwischen diesen Terminen statt.
Wie hoch ist das Risiko, dass bei der Hirn-OP wichtige Hirnfunktionen beeinträchtigt werden?
Priv.-Doz. Dr. med. univ. Marie-Thérèse Forster: Zumeist sind wichtige Hirnfunktionen bereits durch den Tumor beeinträchtigt. Eine Operation zielt darauf ab, einerseits den Tumor zu entfernen, andererseits mittels dieser Entfernung Funktionen zu erhalten oder sogar wiederherzustellen, indem die Raumforderung des Tumors im Gehirn beseitigt wird. Um das Risiko einer Beeinträchtigung von Hirnfunktionen durch die Operation selbst so gering wie möglich zu halten, führen wir bei Tumoren, die beispielsweise nahe an den motorischen Bahnen oder nahe an Bahnen für die Sprachfunktion liegen, während der Operation die Überwachung dieser Funktionen durch. Dadurch kann das Risiko neuer neurologischer Beeinträchtigungen durch die Operation selbst sehr gering gehalten werden.
Wie lange werde ich in der Klinik bleiben müssen?
Priv.-Doz. Dr. med. Michael Burger: Die meisten Patienten erholen sich schnell von der Operation und können bereits ungefähr eine Woche nach diesem Eingriff entlassen werden. Manche Patienten benötigen dafür etwas länger – dann kann zunächst eine Rehabehandlung sinnvoll sein. Sowohl die Akutklinik als auch die Rehaklinik können gemeinsam mit dem Sozialdienst den Patienten im Übergang in den „neuen Alltag“ helfen und beraten.
Können Erhaltung-Chemotherapie und TTFields zu Hause durchgeführt werden?
Priv.-Doz. Dr. med. Michael Burger: Sowohl die Erhaltungs-Chemotherapie als auch die Therapie mit TTFields können zu Hause durchgeführt werden. Die ambulant behandelnden Ärzt:innen planen sowohl die Chemotherapie als auch die Therapie mit TTFields und unterstützen die Patient:innen, falls Probleme auftreten sollten.
Wie kann ich mir den Alltag mit TTFields vorstellen?
Priv.-Doz. Dr. med. Michael Burger: Um eine ausreichende Wirksamkeit der TTFields erreichen zu können, müssen die Pads auf der Kopfhaut mindestens 18 Stunden täglich getragen werden. Erfahrungsgemäß kommen Patienten in gutem Zustand damit rasch zurecht. Für ältere Patienten sowie Patienten mit gravierenden motorischen oder neuropsychologischen Defiziten kann der Umgang mit dem System jedoch eine Herausforderung darstellen. Zu Beginn und auch während der Therapie mit TTFields erfolgt eine engmaschige Betreuung, damit die Pads vom Patienten und seinen Angehörigen an die richtige Stelle platziert werden.
Was beinhaltet die psychoonkologische Behandlung?
Priv.-Doz. Dr. med. univ. Marie-Thérèse Forster: Ziel einer psychoonkologischen Behandlung ist es, Patient:innen bei der Bewältigung ihrer individuellen Belastungssituation zu unterstützen und zu begleiten. Die Einbeziehung der Familie, insbesondere bei Patienten mit minderjährigen Kindern spielt dabei eine wichtige Rolle. In den Gesprächen geht es daher häufig um pragmatische Hilfestellungen, zum Beispiel bei der Beantwortung offener Fragen, dem Umgang mit belastenden Gedanken und Gefühlen oder Hilfestellung bei der Kommunikation innerhalb des sozialen Umfeldes. Auch die Weitervermittlung an Selbsthilfegruppen, zusätzliche psychosoziale Unterstützungsangebote oder bei Bedarf an psychoonkologisch geschulte Psychotherapeuten ist Teil der Beratung.
Wie kann ich mich als Angehörige*r auf die pflegerischen Aufgaben vorbereiten?
Priv.-Doz. Dr. med. Michael Burger: Im „Behandlungsteam“ spielen die Angehörigen eine ganz wichtige und zentrale Rolle. Für eine erfolgreiche Behandlung ist eine enge Zusammenarbeit sowohl mit dem Hausarzt als auch der betreuenden Klinik notwendig. Bei schwerer betroffenen Patienten ist die frühzeitige Einbindung eines ambulanten Palliativdienstes sinnvoll.
Wie kann ich mich mit anderen Betroffenen austauschen?
Priv.-Doz. Dr. med. univ. Marie-Thérèse Forster: Ein exzellenter Anlaufpunkt ist die Deutsche Hirntumorhilfe. Darüber hinaus gibt es verschiedene Möglichkeiten an Neuroonkologischen Zentren, etwa im Rahmen einer Sport- oder Kunsttherapie, wie dies in Frankfurt der Fall ist.
Welche weiteren Unterstützungsangebote gibt es für Betroffene und Angehörige?
Priv.-Doz. Dr. med. univ. Marie-Thérèse Forster: Viele Neuroonkologischen Zentren bieten neben der psychoonkologischen Beratung und Behandlung auch Unterstützung durch den Sozialdienst, Palliativmedizin, Ernährungsberatung und Seelsorge an.
Die Expert:innen am Lesertelefon waren:
• Priv.-Doz. Dr. med. univ. Marie-Thérèse Forster, MBA; Fachärztin für Neurochirurgie, Spezielle Neurochirurgische Onkologie, Leitende Oberärztin und 2. stellvertretende Direktorin der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie am Universitätsklinikum Frankfurt der Goethe-Universität, Frankfurt/Main
• Priv.-Doz. Dr. med. Michael Burger; Facharzt für Neurologie, Oberarzt am Dr. Senckenbergischen Institut für Neuroonkologie, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie am Universitätsklinikum Frankfurt der Goethe-Universität, Frankfurt/Main
Autor:Kraichgau News Ratgeber aus Bretten |
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