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Expert*innen informierten zu: Parkinson
Intensivierte Therapien tragen zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit bei

Parkinson: Unkontrollierbares Zittern - ein Leitsymptom bei Parkinson. Foto: adobe stock | Foto: adobe stock
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„Erschöpft sind die Therapiemöglichkeiten bei Parkinson eigentlich nie“

Die Diagnose Parkinson wirft bei Betroffenen vor allem zwei große Fragen auf: Wie kann die Therapie das Fortschreiten der Erkrankung bremsen? Und wie gelingt es trotz der Erkrankung ein aktives, selbstbestimmtes Leben zu führen? Zu den Behandlungsmöglichkeiten bei Parkinson und zur Vereinbarkeit von Beruf und Erkrankung informierten anlässlich des diesjährigen Welt-Parkinson-Tags Fachärzte und Experten der Deutschen Parkinson Vereinigung in der Sprechzeit. Hier ein Überblick über die wichtigsten Fragen und Antworten:

Parkinson-Therapie

Wie sieht die Parkinson-Therapie zu Beginn aus?
Prof. Dr. med. Siegfried Martin Muhlack: Am Anfang steht eine eingehende Aufklärung und Beratung von Patienten und Angehörigen über die Erkrankung und die vorgesehene Behandlungsstrategie. Die medikamentöse Parkinson-Therapie hängt von verschiedenen Faktoren ab, zum Beispiel der Ausprägung vorhandener motorischer und nicht-motorischer Defizite, dem biologischen Alter, den Begleiterkrankungen, der Berufstätigkeit und der Umsetzbarkeit einer mehrfachen Medikationseinnahme am Tag. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Auftreten von etwaigen Nebenwirkungen der Medikamente. Zudem empfehle ich bereits von Beginn an eine physiotherapeutische Mitbehandlung. Weitere Bausteine können je nach Bedarf Ergotherapie, Logopädie, Psychotherapie und medizinisches Gerätetraining sein.

Warum kommt es mit der Zeit zu Wirkungsschwankungen der Medikamente?
Prof. Dr. med. Siegfried Martin Muhlack: Mit zunehmender Krankheitsdauer verlieren die Gehirnzellen mehr und mehr die Fähigkeit, den Medikamentenwirkstoff L-Dopa zu speichern und kontinuierlich abzugeben. Das bedeutet, der Patient ist immer mehr auf die unmittelbare Zufuhr von L-Dopa durch die Tabletteneinnahme angewiesen. Hinzu kommt, dass die Aufnahme von L-Dopa vielen Einflussfaktoren unterliegt, zum Beispiel eine beeinträchtigte Magen-Darmpassage oder eine Fehlbesiedlung des Magens und des Dünndarms. Außerdem konkurrieren L-Dopa und die Aminosäuren aus der Nahrung bei der Nahrungsaufnahme um den aktiven Transport.

Wie äußern sich Wirkungsschwankungen?
Prof. Dr. med. Rüdiger Hilker-Roggendorf: Hauptsächlich, indem der Patient zunächst nach der Einnahme seiner Tablettendosis eine Besserung seiner motorischen Probleme bemerkt – die „On-Phase“ –, später aber bereits vor der Einnahme der nächsten Dosis wieder eine deutliche Verschlechterung der Symptome auftritt- die „Off-Phase“. Dieser Wechsel der Symptomschwere ist zunächst zeitlich mit der Tabletteneinnahme verbunden, kann aber später im weiteren Krankheitsverlauf auch scheinbar unabhängig von der Medikamenteneinnahme auftreten. Auch nicht-motorische Störungen wie Schweißneigung, Abgeschlagenheit, Müdigkeit und vorübergehende Stimmungsstörungen wie Angst und Depression können Anzeichen von Wirkschwankungen der Medikamente sein.

Welche Alternativen gibt es, wenn Wirkungsschwankungen zunehmen?
Prof. Dr. med. Dirk Woitalla: Eine Vielzahl von Medikamenten ist in einer retardierte Variante verfügbar: Sie setzen den Wirkstoff verzögert frei und tragen so zu einer gleichmäßigen Wirkstoffzufuhr bei. Daneben kann der Abbau der Wirkstoffe in den Medikamenten auch durch den Einsatz von Enzymhemmern verzögert werden, sogenannten COMT- oder MAO-Hemmern. In fortgeschrittenen Fällen steht eine Pumpentherapie mit dem Dopaminagonisten Apomorphin oder mit Levodopa zur Verfügung. Auch die Tiefenhirnstimulation kann bei Patienten mit Wirkungsschwankungen eine Therapieoption sein.

Wie häufig sollte die medikamentöse Therapie überprüft werden?
Prof. Dr. med. Dirk Woitalla: In der Regel empfehlen wir unseren Patienten eine Vorstellung alle drei Monate. So ist sichergestellt, dass der behandelnde Arzt das Auftreten von Komplikationen feststellen und rechtzeitig gegensteuern kann.

Sind die Möglichkeiten einer medikamentösen Therapie irgendwann erschöpft?
Prof. Dr. med. Christoph Redecker: Die medikamentöse Behandlung wird komplizierter, doch erschöpft sind die Therapiemöglichkeiten bei eine Parkinson-Erkrankung eigentlich nie. Vielmehr sprechen einige Symptome im Verlauf der Erkrankung nicht mehr so gut auf die medikamentöse Behandlung an und das therapeutische Fenster für eine gute Symptomunterdrückung wird kleiner. Unter Umständen können auch nicht-motorische Symptome wie eine Gedächtnisstörung oder eine Störung der Kreislaufregulation stärker in den Vordergrund treten. Spätestens dann lohnt sich eine stationäre Aufnahme, um zum Beispiel im Rahmen einer Parkinson-Komplextherapie alle Behandlungsoptionen noch einmal abzuklären und das Potenzial der aktivierenden Therapien voll auszuschöpfen. Dann kann auch entschieden werden, ob eine Pumpentherapie die Behandlung verbessern kann oder ob andere Maßnahmen wie eine Tiefe Hirnstimulation sinnvoll sind.

Für wen kommt eine Tiefe Hirnstimulation in Betracht?
Prof. Dr. med. Michael Barbe: Die Tiefe Hirnstimulation (THS) kann eingesetzt werden bei über den Tag auftretenden Wirkschwankungen, also On-Off-Phasen mit teilweise auch Überbewegungen. Voraussetzung ist ein gutes Ansprechen im L-Dopa-Test vor der Operation. Ebenso dürfen keine starken Gedächtnisstörungen oder psychiatrische Beschwerden bestehen. Bereits in der Frühphase der Erkrankung kann die THS bei Patienten mit starkem Tremor eingesetzt werden, sofern dieser nur unzureichend auf Medikamente anspricht. Prinzipiell gilt: Ob eine THS sinnvoll ist, muss immer im Einzelfall entschieden werden – unter Einbezug der Erwartungen der Patient*innen und der Angehörigen. Eine gute Beratung ist daher wirklich essenziell.

Wann ist eine Pumpentherapie sinnvoll?
Prof. Dr. med. Rüdiger Hilker-Roggendorf: Eine Pumpentherapie der Parkinson-Krankheit kann dann sinnvoll sein, wenn durch eine herkömmliche medikamentöse Einstellung alleine die Wirkschwankungen der Medikamente nicht mehr ausreichend behandelt werden. Durch die kontinuierliche Gabe von Levodopa oder Apomorphin – ein sogenannter Dopaminagonist – über ein Pumpensystem wird dabei das Gehirn sehr gleichmäßig mit dem Anti-Parkinson-Wirkstoff versorgt, wodurch die für den Patienten oft sehr belastenden Wirkschwankungen erheblich reduziert werden können.

Mich macht die Erkrankung zunehmend depressiv. Wo bekomme ich Unterstützung?
Univ.-Prof. Dr. med. Richard Dodel: Bei depressiven Symptomen, die länger als zwei Wochen andauern, sollten Sie sich professionelle Hilfe holen, insbesondere, wenn Sie auch Gedanken haben, dass das Leben nicht mehr lebenswert sei oder Sie Selbstmordgedanken haben. Bitte sprechen Sie zunächst aktiv Ihren Hausarzt auf Ihre Probleme an oder wenden Sie sich an einen Psychiater. Wenn Ihre Parkinson-Krankheit von einem Neurologen behandelt wird, wenden Sie sich bitte an ihn.
Es ist wichtig, dass Sie hier eine angemessene Behandlung erhalten, da dies der wesentliche Faktor ist, der Ihre Lebensqualität beeinflusst.

Wie muss ich mir eine Parkinson-Komplextherapie vorstellen?
Prof. Dr. Candan Depboylu: Die Parkinson-Komplextherapie stellt eine mindestens 16-tägige stationäre Behandlungsmöglichkeit für Patienten mit einem Parkinson-Syndrom dar. Sie verbindet multimodal eine medikamentöse Therapie mit Elementen aus Physiotherapie und Physikalischer Therapie, Sport- und Ergotherapie, Neuropsychologie und Logopädie.

Vereinbarkeit von Parkinson und Beruf

Muss ich meinen Arbeitgeber über die Diagnose informieren?
RA Friedrich-Wilhelm Mehrhoff: Grundsätzlich besteht keine rechtliche Verpflichtung, den Arbeitgeber über die Diagnose zu informieren. Bei ausgewählten Berufen, zum Beispiel Taxifahrer oder Busfahrer, erlischt jedoch mit der Diagnosestellung die Erlaubnis zur Personenbeförderung. Dann ist auf jeden Fall der Arbeitgeber zu informieren.

Gibt es besondere Reha-Angebote, um den Beruf weiter ausüben zu können?
Prof. Dr. med. Michael Barbe: Intensivierte Therapien der Parkinsonbehandlung sind im Verlauf zu bestimmten Zeiten der Erkrankung sinnvoll. Sie reichen von intensivierten ambulanten Therapien wie LSVT BIG über stationäre Parkinsonkomplexbehandlungen bis hin zur klassischen Reha-Behandlung. Hier ist dann neben Ergo- und Physiotherapie sowie Logopädie eine Einstellung der Medikation möglich. Unter stationären Bedingungen können die Medikamente oft schneller angepasst werden als im ambulanten Bereich. Die Erhaltung der Berufstätigkeit ist bei diesen Maßnahmen ein wichtiger Aspekt.

Habe ich als Parkinsonpatient einen Behinderungsgrad – und was bedeutet das arbeitsrechtlich?
RA Friedrich-Wilhelm Mehrhoff: In der Regel wird Parkinsonpatient*innen ein Grad der Behinderung (GdB) zugesprochen. Die Höhe hängt dabei von der Schwere der Symptome ab. Arbeitsrechtlich hat die Anerkennung als Schwerbehinderter für die betroffene Person zunächst einmal keine Auswirkungen. Der Arbeitgeber muss nicht informiert werden. Sollte es sich jedoch um einen besonderen, gefahrengeneigten Arbeitsplatz oder einen Arbeitsplatz mit Personenbeförderung handeln, ist der Arbeitgeber zu informieren. Ab einen GdB von über 50 gilt ein besonderer Kündigungsschutz, und es können zusätzliche Urlaubstage sowie weitere Vergünstigungen in Anspruch genommen werden.

Ein Mitarbeiter meiner Firma ist an Parkinson erkrankt. Was kann ich als Arbeitgeber tun?
RA Friedrich-Wilhelm Mehrhoff: Im Vordergrund steht hier die Überlegung, wie es gelingen kann, einen wertvollen Mitarbeiter trotz seiner Erkrankung weiterhin einzusetzen. Als Arbeitgeber sollten Sie sich den Arbeitsplatz der betroffenen Person gründlich anschauen. Sind feinmotorische Fähigkeiten gefragt, ist es ein stressiger Arbeitsplatz, wie sieht es mit den Pausen aus? Bei der Bewertung sollten Sie die für die Arbeitssicherheit zuständige Person sowie den Betriebsarzt hinzuzuziehen und gemeinsam mit dem betroffene Mitarbeiter über geeignete Maßnahmen beraten. Arbeitgeber haben die Möglichkeit, sich von der Deutschen Parkinsonvereinigung in diesen Fragen beraten zu lassen.

Wo kann ich mich über das Thema Parkinson und Beruf informieren?
RA Friedrich-Wilhelm Mehrhoff: Sowohl Beschäftigte als auch Arbeitgebende finden bei der Deutschen Parkinsonvereinigung Ansprechpartner, die zur Vereinbarkeit von Parkinson und Beruf beraten. Die Beratung umfasst dabei sowohl sozialrechtliche Aspekte als auch praktische Fragen des Berufsalltags und der Arbeitsorganisation. Kontaktdaten finden Sie unter www.parkinson-vereinigung.de.

Die Experten in der Sprechzeit waren:
• Univ.-Prof. Dr. med. Michael Barbe; Facharzt für Neurologie, Leiter des Kölner Parkinsonnetzwerks, Leiter AG Bewegungsstörungen und Tiefe Hirnstimulation, Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Köln
• Prof. Dr. med. Candan Depboylu; Facharzt für Neurologie, Zusatzbezeichnungen Spezielle Neurologische Intensivmedizin, Neurogeriatrie und Somnologie (DGSM), Chefarzt der Neurologischen Klinik Sorpesee, Sundern
• Univ.-Prof. Dr. med. Richard Dodel; Facharzt für Neurologie, Inhaber des Lehrstuhls für Geriatrie an der Universität Duisburg-Essen und ärztlicher Leiter des Geriatrie-Zentrum Haus Berge, Essen
• RA Friedrich-Wilhelm Mehrhoff; Geschäftsführer der Deutschen Parkinson Vereinigung e.V., Neuss
• Prof. Dr. med. Siegfried Martin Muhlack; Facharzt für Neurologie, Facharzt für Psychiatrie, Oberarzt Forschungszentrum, Klinik für Neurologie am St. Josef-Hospital, Bochum, Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum
• Prof. Dr. med. Christoph Redecker; Facharzt für Neurologie, Zusatzbezeichnung Geriatrie, Chefarzt der Klinik für Neurologie und Neurogeriatrie, Klinikum Lippe
• Prof. Dr. med. Rüdiger Hilker-Roggendorf; Facharzt für Neurologie, Neurologische Intensivmedizin, Chefarzt der Klinik für Neurologie, Stroke Unit und Frührehabilitation, Klinikum Vest, Recklinghausen/Marl
• Prof. Dr. med. Dirk Woitalla; Facharzt für Neurologie, Chefarzt der Klinik für Neurologie, St. Josef-Krankenhaus Kupferdreh, Essen

Autor:

Kraichgau News Ratgeber aus Bretten

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