Expert*innen informierten: Parkinson
Umfassende Therapie für eine komplexe Krankheit
Auf rund 400.000 schätzt die Deutsche Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG) die Zahl der Menschen, die in Deutschland mit Parkinson leben. Ihnen allen ist gemeinsam, dass ihre Krankheit über Jahre immer stärker zu Lasten der Lebensqualität geht. Die Therapie der Erkrankung wird anspruchsvoller und umfasst zunehmend auch nicht-motorische Symptome, zum Beispiel Schlafstörungen, Depression, Verdauungsprobleme oder kognitive Defizite. Einen entsprechend umfassenden Therapieansatz bietet seit einigen Jahren die multimodale Parkinson-Komplexbehandlung. Wann eine solche Behandlung infrage kommt, wie sie verläuft und welche Elemente sie umfasst, dazu informierten Expertinnen und Experten in der Sprechzeit. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten in der Zusammenfassung:
Warum verändert sich die Wirkung der Parkinson-Medikamente im Laufe der Erkrankung?
Prof. Dr. med. Andres Ceballos-Baumann: Die Einnahme von Levodopa-Tabletten oder Kapseln führt zu schwankenden Wirkstoffspiegeln im Blut mit hohen Spitzenwerten und niedrigen Tiefstwerten. Zu Beginn der Erkrankung werden diese Schwankungen noch ausgeglichen, doch später wird eine kontinuierliche Zufuhr von Levodopa immer wichtiger. Hier gibt es jedoch Grenzen, sodass es zu einem abrupten Wechsel von guter Beweglichkeit zu Unbeweglichkeit kommen kann – den On- und Off-Phasen. In den On-Phasen sind wegen des hohen Dopaminangebots zudem unkontrollierbare Überbewegungen möglich. Hinzu kommen altersbedingt zunehmende Unverträglichkeiten bei manchen Parkinson-Medikamenten sowie Veränderungen in der Durchblutung des Gehirns. Levodopa kann dann nicht mehr so gut dorthin gelangen, wo es gebraucht wird.
Welche Behandlungsangebote bestehen – außer Medikamenten – in der frühen Phase der Krankheit noch?
Dr. med. Pantea Pape: Vor allem sollten Betroffene gar nicht erst abwarten, bis für Parkinson typische Funktionsstörungen auftreten. Vielmehr sollte von Beginn an intensiv daran gearbeitet werden, Motorik, Kraft, Ausdauer und Koordination gezielt zu trainieren. Das gilt auch für die Stimme und damit die sprachliche Kommunikation, die bei Menschen mit Parkinson oft im Laufe der Zeit schwieriger wird. Ein aktiver Lebensstil und die Nutzung der vielen nicht-medikamentösen Therapieangebote können helfen, die Lebensqualität trotz und mit der Krankheit zu bewahren. Sprechen Sie über diese Angebote mit Ihrem behandelnden Arzt/Ihrer Ärztin.
Was sind erste Anzeichen dafür, dass meine Therapie überprüft und angepasst werden sollte?
Prof. Dr. med. Wolfgang Jost: Die medikamentöse Therapie sollte immer dann überprüft werden, wenn neue Symptome auftreten oder die bisherigen nicht mehr gut behandelt sind. Dabei sind sowohl motorische Symptome – etwa Bewegungsarmut, Steifheit und Tremor – als auch nicht-motorische Störungen zu berücksichtigen, zum Beispiel neuropsychiatrische, kardiovaskuläre, gastrointestinale oder urogenitale Symptome. Eine Überprüfung ist zudem sinnvoll, wenn diese Symptome in den frühen Morgenstunden, nur nach Belastung oder kurz vor der Einnahme der nächsten Medikation auftreten, aber auch wenn die bisherige Einstellung mit starken Wirkschwankungen oder Nebenwirkungen einher geht. Wichtige Nebenwirkungen sind zum Beispiel neuropsychiatrische Symptome wie Depression, motorische Unruhe und Halluzinationen.
Bei welchen Symptomen kommt eine Komplexbehandlung für Parkinsonpatienten infrage?
PD Dr. med. habil. David Thomas Weise: Eine Komplexbehandlung kommt grundsätzlich in Betracht, wenn Symptome der Erkrankung oder Folgen der Therapie ambulant nicht ausreichend gut behandelt werden können. Dazu zählen unter anderem eine schwankend gute Beweglichkeit, möglicherweise verbunden mit Überbewegungen, eine Häufung von Stürzen, aber auch Nebenwirkungen oder Verträglichkeitsprobleme der Therapie. Diese reichen von Schluckstörungen, Blutdruckschwankungen und Durchfall bis zu Halluzinationen, zunehmenden kognitiven Störungen und anderen nicht-motorischen Symptomen wie zum Beispiel Schmerzen.
Welche Patienten profitieren besonders vor einer Parkinson-Komplextherapie?
Prof. Dr. med. Björn Hauptmann: All jene Patienten, die neben einer Anpassung der Medikation auch intensive und hochfrequente, übende und aktivierende Therapien benötigen, zum Beispiel Logopädie, Physio-, Ergo-, Musik- oder Sporttherapie. Sehr wichtig ist für viele Patienten zudem die im ambulanten Rahmen oftmals nicht mögliche Verhaltensbeobachtung, so dass komplexe Probleme wie Schwankungen in der Beweglichkeit oder nicht-motorische Symptome, etwa Stimmungsschwankungen, Ängste, Schlafstörungen oder Schmerzen, besser erkannt und behandelt werden können. Bei spezifischen Problemlagen kann neben den vorgenannten Therapien auch eine psychotherapeutische Betreuung oder neuropsychologische Testung angeraten sein.
Was genau ist eine multimodale Therapie?
Dr. med. Ilona Csoti: Multimodal bezeichnet die Kombination mehrerer Behandlungsmethoden, die je nach individuellen Bedürfnissen des Patienten eingesetzt werden können, um die komplexen motorischen und nichtmotorischen Begleitsymptome der Parkinson-Krankheit optimal zu behandeln. Durch die Kombination verschiedener Behandlungsansätze können multimodale Therapien oft effektiver sein als einzelne Behandlungsformen allein. Entsprechend multidisziplinär besetzt ist auch das Team: Unter der Leitung eines Facharztes für Neurologie steuern, überwachen und optimieren Ärzte und Therapeuten verschiedener Fachrichtungen gemeinsam mit spezialisierten Pflegekräften den Behandlungsverlauf.
Wie kann ich mir den Behandlungsverlauf konkret vorstellen?
Prof. Dr. med. Björn Hauptmann: Zu Beginn der mindestens zweiwöchigen Behandlung erfolgt eine Aufnahmeuntersuchung als Grundlage für den Therapieplan, der allen Beteiligten am Folgetag vorliegt. In der Regel finden neben den Visiten pro Tag drei bis vier Therapien statt, manche davon in Gruppen. Zusätzlich erfolgen Schulungen und es gibt in themenspezifischen Gruppen die Möglichkeit, sich mit anderen Patienten zu Themen wie der Pumpentherapie oder der Tiefen Hirnstimulation auszutauschen. Auch abendliche Freizeitangebote gehören zum Programm. Einmal in der Woche besprechen Therapeuten, Ärzte und der Pflege den Behandlungsverlauf, um bei Bedarf den Therapieplan anzupassen. Falls erforderlich, wird auch eine Unterstützung durch den Sozialdienst initiiert. Etwaige Anpassungen des Medikamentenplanes werden im Rahmen der täglich stattfindenden Visiten besprochen. Am Ende des Aufenthaltes erfolgt jeweils eine ärztlich und therapeutische Abschlussuntersuchung mit Empfehlungen für die Weiterbehandlung zu Hause.
Muss ich die Kosten für eine Parkinson-Komplexbehandlung selbst tragen?
Dr. med. Ilona Csoti: In der Regel übernehmen die Krankenkassen in Deutschland die Kosten für eine stationäre multimodale Komplextherapie bei Parkinson. Voraussetzung ist, dass eine akutstationäre Aufnahme aufgrund der Erkrankung notwendig ist, damit eine Neueinstellung der Medikation erfolgen kann. Darum kümmern sich der behandelnde Arzt und die Klinik, in der die Behandlung stattfindet. Der Patient muss allerdings die gesetzlich vorgeschriebene Zuzahlung leisten, die jedoch auf höchstens 28 Euro pro Kalendermonat begrenzt ist. Nimmt der Patient bestimmte Wahlleistungen in Anspruch, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, sind diese privat zu zahlen.
An wen wende ich mich, wenn ich eine Parkinson-Komplexbehandlung in Anspruch nehmen will?
RA Friedrich-Wilhelm Mehrhoff: Am besten sprechen Sie darüber mit Ihrem behandelnden Neurologen/Ihrer Neurologin. Er/Sie kann Sie über die Abläufe einer solchen Komplexbehandlung informieren und dann für Sie die weiteren Schritte in Zusammenarbeit mit der Krankenkasse einleiten.
Wie finde ich eine Klinik, die auf die Parkinson-Komplexbehandlung spezialisiert ist?
RA Friedrich-Wilhelm Mehrhoff: Die Deutsche Parkinson Vereinigung (dPV) führt eine Liste der Kliniken, die auf die Parkinson- Komplexbehandlung spezialisiert sind. Sie können sich gerne direkt an die dPV wenden – die Kontaktdaten finden Sie im Netz unter www.parkinson-vereinigung.de.
Kann die Parkinson-Komplexbehandlung bei Bedarf wiederholt werden?
PD Dr. med. habil. David Thomas Weise: Eine Parkinson-Komplexbehandlung kann wiederholt werden, wenn weiterhin oder erneut Symptome auftreten, die ambulant nicht zufriedenstellend beherrschbar sind.
Wird im Rahmen einer Parkinson-Komplextherapie auch überprüft, ob eine Tiefe Hirnstimulation oder eine Pumpentherapie sinnvoll sind?
Prof. Dr. med. Wolfgang Jost: In der Regel wird bereits in der Frühphase der Erkrankung über das gesamte Spektrum der therapeutischen Möglichkeiten informiert, auch über die Tiefe Hirnstimulation und die Pumpentherapie. So haben Patientinnen und Patienten Zeit, sich mit diesen Therapieformen zu befassen, bevor sie tatsächlich eingesetzt werden können. Bei der Parkinson-Komplextherapie werden diese Optionen im Rahmen der Therapieüberprüfung bei Bedarf noch einmal genau vorgestellt und besprochen, Für und Wider sorgsam abgewogen. Oft ergibt sich die Möglichkeit, sich während des Therapieaufenthalts mit anderen Betroffenen auszutauschen, die eine solche Therapie bereits erhalten.
Kann meine Frau mich während der Therapie begleiten?
Prof. Dr. med. Andres Ceballos-Baumann: Ob eine solche Begleitung möglich ist, bedarf der Abklärung mit der jeweiligen Krankenkasse und der durchführenden Klinik. In jedem Falle aber sind die Angehörigen, die oftmals auch pflegerische Aufgaben im Alltag übernehmen, in die Therapie einbezogen, zum Beispiel wenn es um das Thema Alltagsbewältigung, Pflege oder weitere ambulante Maßnahmen nach Ende der Komplexbehandlung geht.
Wie geht es nach einer Parkinson-Komplexbehandlung weiter?
Dr. med. Pantea Pape: Nach der Rückkehr in ihr häusliches Umfeld sollten Sie die in der Therapie erlernten Techniken und Therapien unbedingt kontinuierlich fortführen. Bei bestehender Indikation wird Ihr behandelnder Neurologe/Ihre Neurologin zusätzlich ambulante Therapien anbieten. Eine besondere Rolle fällt der Einbindung der Angehörigen zu, die häufig als wichtige Therapiesäule unterstützend wirken. Als hilfreich hat sich zudem die Teilnahme an Treffen von Parkinson-Selbsthilfegruppen oder an sportlichen Gruppenangeboten speziell für Menschen mit Parkinson erwiesen.
An wen kann ich wenden, um mich über das Thema Parkinson-Komplextherapie auszutauschen?
RA Friedrich-Wilhelm Mehrhoff: Innerhalb der Deutschen Parkinson Vereinigung gibt es eine Reihe von Patienten, die bei Bedarf gerne über ihre persönlichen Erfahrungen mit einer solchen Komplexbehandlung mit Ihnen sprechen. Auch über das Parkinson-Forum www.mit-parkinson.de der dPV und ihre regionalen Selbsthilfegruppen können Sie Ansprechpartner finden.
Welche ambulanten Therapieangebote gibt es für Menschen mit fortgeschrittenem Parkinson?
Dr. med. Pantea Pape: Menschen mit Parkinson können im späteren Krankheitsverlauf sehr unterschiedliche Symptome und damit einen sehr individuellen Unterstützungsbedarf haben. Für sie ist zum Beispiel wichtig, dass die Angebote in der Nähe sind, so dass sie in ihrem gewohnten Umfeld bleiben können. Manche Behandlungen können auch bei den Betroffenen zuhause durchgeführt werden. Besonders wichtig ist bei fortgeschrittenem Parkinson die Stimm- und Schlucktherapie: Sie verbessert die Kommunikation und senkt die Gefahr, sich an Flüssigkeiten oder Nahrung zu verschlucken.
Die Expertinnen und Experten in der Sprechzeit waren:
• Prof. Dr. med. Andres Ceballos-Baumann; Facharzt für Neurologie, Chefarzt - Neurologie und Klinische Neurophysiologie, Chefarzt - Parkinson Fachklinik, Schön Klinik München Schwabing
• Dr. med. Ilona Csoti; Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Ärztliche Direktorin des Parkinson-Zentrums, Gertrudis-Klinik Biskirchen
• Prof. Dr. med. Björn Hauptmann; Facharzt für Neurologie, Professur für Neurowissenschaften an der MSH-Medical School Hamburg, Chefarzt der Fachklinik für Parkinson und Bewegungsstörungen und stellvertretender Ärztlicher Direktor des Neurologischen Zentrums der Segeberger Kliniken
• Prof. Dr. med. Wolfgang Jost; Facharzt für Neurologie, Chefarzt der Parkinson Klinik Ortenau
• RA Friedrich-Wilhelm Mehrhoff; Geschäftsführer der Deutschen Parkinson Vereinigung e.V., Neuss
• Dr. med. Pantea Pape; Fachärztin für Neurologie, Rehabilitationswesen, Physikalische Therapie und Balneologie, Verkehrsmedizin, Chefärztin der Klinik für Neurologische und Fachübergreifende Frührehabilitation, St. Marien-Hospital Köln
• PD Dr. med. habil. David Thomas Weise; Facharzt für Neurologie, Zusatzbezeichnung Neurologische Intensivmedizin, Chefarzt der Klinik für Neurologie, Schmerztherapie und Schlafmedizin, Asklepios Fachklinikum Stadtroda
Autor:Kraichgau News Ratgeber aus Bretten |
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