Interview mit Karl-Heinz Burgey, Vorsitzender des Heimat- und Kulturvereins
Vernunftehe statt Liebesheirat
Walzbachtal (kn) Karl-Heinz Burgey ist in Walzbachtal ein bekanntes Gesicht. Über zwei Amtszeiten hinweg prägte er die wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Entwicklung der Gemeinde mit ihren beiden Teilorten Wössingen und Jöhlingen als Bürgermeister. Bei der Wahl des Verwaltungs-Oberhaupts im letzten Jahr war er dann nicht angetreten. Nun kommt er als Vorsitzender des Heimat- und Kulturvereins Walzbachtal wieder auf die öffentliche Bühne zurück. Im Interview spricht Burgey über die Pläne des Vereins und die damalige Fusion der Orte Wössingen und Jöhlingen.
Sie haben der Gemeinde 16 Jahre als Bürgermeister gedient. Da könnte man meinen, Sie ziehen sich zurück und genießen den Ruhestand. Wie kam es dann doch zum Engagement im Heimat- und Kulturverein?
Bereits vor dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst habe ich gesagt, ich freue mich auf die Zeit ohne massiven Zeit- und Ergebnisdruck, gleichwohl möchte ich mich weiter engagieren - allerdings konsequent aus der aktuellen Kommunalpolitik heraushalten. Heute reizt mich der Blick zurück, aufarbeiten und darstellen, wie Entwicklungen in unseren Dörfern zustande kamen, was sie beeinflusst hat, wie sie sich auswirken. Der Vorsitz im Heimatverein war nicht Teil meiner Ruhestandsplanung - das hat sich so ergeben, als der bisherige Vorsitzende überraschend sein Amt niedergelegt hat.
Wie viele Menschen sind im Verein engagiert?
Der Heimatverein Walzbachtal besteht seit zehn Jahren, wir haben knapp 90 Mitglieder.
Nachdem die Zahl der "aktiven Mitglieder" zurückgegangen war, haben wir jetzt eine Initiative gestartet, um Mitglieder neu zur Mitarbeit zu motivieren und neue Mitglieder zu gewinnen.
Wo sehen sie die originäre Aufgabe eines solchen Vereins und damit auch seinen Wert für die Gemeinde Walzbachtal?
Als Aufgabe des Heimat- und Kulturvereines sehe ich, die Geschichte der Dörfer aufzuarbeiten und sie nachvollziehbar für alle darzustellen. Dazu gehören dann Ausstellungen, Erarbeitung von themenbezogenen Dokumentationen, in Abstimmung mit der Gemeinde auch der Aufbau eines Archives. Das inhaltliche Feld reicht von der Erfassung von Kleindenkmalen, über die Geschichte der örtlichen Vereine und Organisationen, zur Geschichte der örtlichen Kirchen, oder Betreuungseinrichtungen (wie zum Beispiel für Kinderbetreuung). Ein Schwerpunt bilden auch die örtlichen Gebräuche und Traditionen, Ereignisse und Anekdoten - vor allem aber auch die Menschen, die das Geschehen in den Dörfern gestaltet und geprägt haben.
Der Wert unserer Arbeit für die Gemeinde ergibt sich daraus, dass wir "mit Abstand" das Vergangene aufarbeiten, betrachten und erklären können. Gemeinde und Kommunalpolitik sind vollauf damit beschäftigt, die heutigen Lebensbedingungen zu gestalten und die Gemeinde zukunftssicher zu entwickeln. Daraus soll sich ein für alle sehr fruchtbares "Rollenspiel" ergeben.
Sie, beziehungsweise der Verein, plant ja eine große Ortschronik Jöhlingen/Wössingen. Wie weit ist dieses Projekt gediehen und wie viel Arbeit liegt noch vor Ihnen?
Das Projekt "Ortschronik" wird nicht vom Verein, sondern von der Gemeinde geplant.
Im Jahr 2024 können wir auf 1.000 Jahre erste urkundliche Erwähnung von Jöhlingen und Wössingen zurückblicken. Daher hat die Gemeinde den Verlag Regionalkultur beauftragt, eine Ortschronik "1.000 Jahre Siedlungsgeschichte Jöhlingen - Wössingen - Walzbachtal" zu erstellen. Eine Reihe von Themen werden von Fachautoren des Verlages erarbeitet (zum Beispiel Frühzeit, Mittelalter, aber auch Nationalsozialismus). Für das Dorfgeschehen ab etwa 1800 gibt es bei der Gemeinde einen Arbeitskreis "Ortsgeschichte", in dem derzeit etwa zwei Dutzend Personen mit unterschiedlichen Themen mitarbeiten, darunter auch mehrere Mitglieder des Heimatvereines. Diese Chronik soll bis Ende 2023 erscheinen - also liegt noch eine Menge an Arbeit vor uns.
Sie haben als ehemaliger Bürgermeister den Blick auf die beiden Teilorte Wössingen und Jöhlingen gehabt und haben diesen Blick nun auch historisch im Heimatverein. Wie sehen sie die Beziehungen der beiden Orte? Ist das eine Zwangsgemeinschaft oder eine Liebesheirat?
Die Siedlungsgeschichte der beiden Dörfer zeigt über die Jahrhunderte viele Gemeinsamkeiten, natürlich auch herrschaftlich und religiös bedingte Unterschiede. Die Arbeit an der Chronik bietet die große Chance, wertfrei die Gemeinsamkeiten und Unterschiede sachlich aufzuarbeiten und die heute bestehenden strukturellen Besonderheiten beider Dörfer zu erklären. Das ist aus meiner Sicht sehr wichtig und soll zum weiteren besseren Verständnis füreinander und zum stärkeren Gemeinschaftsgefühl in der Gemeinde beitragen.
Die Fusion von Jöhlingen und Wössingen zum 1. Januar 1971 war sicher keine "Liebesheirat". Im Zuge der Gebietsreform Baden-Württemberg, die von der Landesregierung 1967 gestartet wurde, hat sich bei den hier Verantwortlichen die Einschätzung herausgebildet: Entweder wir schließen eine "Vernunftehe" und können weiter selbst über die Entwicklung unserer Zukunft entscheiden, oder wir werden "zwangsweise übernommen" (Jöhlingen von Weingarten, Wössingen von Bretten). Die zugesagten zusätzlichen Gelder aus dem Finanzausgleich des Landes ("Fusionsprämie" bei freiwilligen Zusammenschlüssen) haben diese Entscheidung sicher erleichtert. Die Fusion zu Walzbachtal war die erste im damaligen Landkreis Karlsruhe. Eine damals sehr mutige und vorausschauende Entscheidung der Gemeinderäte, die in der Bevölkerung sehr emotional und kontrovers, teilweise auch entschieden ablehnend diskutiert wurde. Aus heutiger Sicht war diese Entscheidung richtig, hat zu einer sehr positiven Entwicklung in beiden Dörfern und der Gesamtgemeinde geführt. Das Leben findet zuallererst im Dorf statt; emotionale Bindungen und Werte können nicht durch eine "Verwaltungsentscheidung" neutralisiert werden. Daher hat jedes Dorf in Teilbereichen weiterhin eigene Gebräuche, seine eigene Identität - und das ist gut so und muss bei weiteren Entwicklungen auch berücksichtigt werden.
Sie wollen sich mit dem Verein auch aktiv in die Planungen zu 50 Jahre Walzbachtal im Jahre 2021 einbringen. Können Sie uns schon einen kleinen Ausblick geben, was die Menschen da erwartet?
Bürgermeister Timur Özcan und der Gemeinderat entwickeln derzeit ihre konkreten Planungen für das Jubiläumsjahr 2021. Dazu gehört ein zentrales Festwochenende vom 18. bis 20. Juni 2021, mit verschiedenen Einzelaktionen im Laufe des Jahres. Der Heimatverein wird sich hier verantwortlich aktiv einbringen, zum Beispiel mit Ortsführungen oder zwei besonderen Ausstellungen. Herzstück unserer Vereinsarbeit wird eine Dokumentation "50 Jahre Walzbachtal", die als "Walzbachtaler Heimatblätter" herausgegeben wird. Diese Dokumentation wird keine Konkurrenz zur späteren Ortschronik, sondern ist als Ergänzung gedacht, mit eigenen inhaltlichen Schwerpunkten. Nach den Sommerferien wird die Planung des Heimatvereines konkretisiert sein.
Die Fragen stellte Brettener Woche-Redaktionsleiter Christian Schweizer.
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Autor:Christian Schweizer aus Bretten |
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