Welche Auswirkungen haben Altverschuldungen der Kommunen in der Corona-Krise?
Handlungsfähige Kommunen benötigt
Bretten (bea) Verschuldung, Überschuldung, Corona. Werden altverschuldete Kommunen beim Thema „gleiche Lebensverhältnisse in Deutschland“ alleingelassen? So lautete die Frage, die eine Redakteursgruppe an Innenminister Horst Seehofer stellte. Seine Antwort lautete, dass dafür die Handlungsfähigkeit einer Kommune entscheidend sei. Jedoch müssten nicht nur Schulden abgebaut, sondern eine Neuverschuldung verhindert werden. Daher biete der Bund mit den Ländern an, krisenbedingte Einnahmeausfälle der Gewerbesteuer zu kompensieren und die Förderung von Unterkunftskosten zu erhöhen.
"Wer bestellt, sollte auch bezahlen"
Zu dieser Aussage erhebt der Walzbachtaler Bürgermeister Timur Özcan seine Stimme. „Die Unterstützung der Gemeinden von Bund und Land, insbesondere in dieser schwierigen Situation, ist gut und wichtig“, sagt er. Allerdings stelle dies keine langfristige Lösung, vor allem für die Altschulden der Gemeinden dar. „Die finanziellen Einbußen aufgrund von Corona sind heute noch nicht darstellbar. Mit einer stärkeren Belastung der Kommunen ist jedoch fest zu rechnen“, so Özcan. Die Kommunen benötigten daher eine Entschuldung und die anschließende Einhaltung des Konnexititäts-Prinzips: „Wer bestellt, sollte auch bezahlen." So könnten die Gemeinden weiterhin alle weisungsfreien und weisungsgebundenen Pflichtaufgaben des Bundes und des Landes vollumfänglich umsetzen. Alles andere helfe nur kurzzeitig. „Aus eigener Kraft, wie aktuell die gelebte Praxis aussieht, ist dies nicht länger möglich“, sagt der Bürgermeister. Zudem seien die freiwilligen Aufgaben und damit die Attraktivität einer Gemeinde für die Zukunft immer weniger bis gar nicht mehr leistbar. Dies stelle ebenfalls ein großes Problem dar, so Özcan.
Walzbachtal schon vor Corona angeschlagen
„Walzbachtal war schon vor Corona finanziell stark angeschlagen. Daher haben Gemeinderat und Verwaltung bewusst auf große und teure Projekte verzichtet“, sagt Özcan. Dementsprechend könnten geplante, kleinere Projekte auch umgesetzt werden. Größere Vorhaben würden jedoch für eine längere Zeit nicht möglich sein, da es die finanzielle Situation, insbesondere nach den Auswirkungen der Pandemie, nicht zulassen werde. Umso mehr kommt der Hilferuf von vielen Gemeinden, das Problem der kommunalen Altschulden zu lösen.
Sparsamer beim Haushalten
„Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte“, sagt Neulingens Bürgermeister Michael Schmidt. Die Länder seien in der Verantwortung für die Altschuldenproblematik der Gemeinden, doch oft müsse das Konnexitätsprinzip erst über die kommunalen Spitzenverbände angemahnt werden. „Andererseits muss man schon genau hinschauen, woher die Altschulden ursächlich herrühren. Einen pauschal vorgetragenen Strukturwandel kann man auch nicht für jede Fehlentwicklung heranziehen, denn manche Versäumnisse liegen auch in jahrzehntelangen Fehlentwicklungen, einem suboptimalen Agieren nicht erst seit kurzem auf einzelnen kommunalen Ebenen und der jeweiligen Länder“, so Schmidt. Die südlichen Bundesländer und deren Kommunen verhielten sich insgesamt sparsamer beim Haushalten und leisteten sich manche Ausgaben nicht, die doch naheliegend bei den Bürgern auf Zustimmung treffen würden. Das Beispiel der Hauptstadt und kostenloser Kindertagesstätten sei solch ein Punkt, so Schmidt.
Spät den Haushalt verabschiedet
In Neulingen habe man den laufenden Haushalt erst im Juni verabschiedet, nachdem die Auswirkungen der Krise ein wenig greifbarer gewesen seien. „Im investiven Bereich haben wir die ursprünglichen Planungen für das laufende Jahr bereits im Januar dahingehend eingedampft, dass einige Investitionen auf frühestens 2021 verschoben wurden“, sagt Schmidt. Dies geschah, da die Gemeinde eine allgemeine Konjunktureintrübung befürchtete. „Das betrifft nun den Neubau eines kleinen Kulturzentrums mit Filiale der VR Bank Enz plus in Bauschlott, die Errichtung eines zusätzlichen Kleinspielfelds für den FV 08 Göbrichen und Umbaumaßnahmen im evangelischen Kindergarten Arche Noah in Göbrichen zur Schaffung einer Mensa-Situation“, sagt Schmidt. Haushaltssperren werde die Gemeinde auf der jetzigen Grundlage wohl keine aussprechen, da das Schieben der verbliebenen Maßnahmen künftige Haushalte nur unnötig belasten würde.
Durch mehr Aufgaben klafft kommunales Finanzloch
Die Altschulden seien laut Bürgermeister Thomas Nowitzki aus Oberderdingen nicht erst durch die Corona-Pandemie entstanden. „Deshalb ist es folgerichtig bei dem jetzt für die Gemeinden zwingend erforderlichem Konjunkturpaket diese Regelung nicht einzubeziehen“. Baden-Württembergische Städte und Gemeinden seien mit weniger als einem Prozent davon nicht betroffen. Daher sei die Regelung der Altschulden eine länderspezifische Aufgabe, so Nowitzki.
„Die Neuregelung der Unterkunftskosten ist ebenso zu begrüßen wie der angekündigte Ersatz bei den Gewerbesteuerausfällen. Der hilft nämlich über den Finanzausgleich zwischen den Gemeinden mittelbar auch denen, die keine hohen Gewerbesteuereinnahmen haben“. Das Problem der Gemeinden seien die laufenden Kosten und die zur Verfügung stehenden Einnahmen. „Durch die Übertragung von immer mehr Aufgaben, durch Vorgaben und Standards durch die große Politik bei Bund und Land klafft hier bei den kommunalen Finanzen ein Loch. Es fehlt schlichtweg an einem Ausgleich. Insoweit ist vielfach das Konnexitätsprinzip nicht beachtet worden“, sagt Nowitzki. Natürlich spiele das Anspruchsdenken nach dem Motto „die Gemeinde übernimmt alle Kosten“ eine große Rolle.
Nachtragshaushalt in Oberderdingen wahrscheinlich
Auch die Gemeinde Oberderdingen sei betroffen. Steuerausfälle und Mehrausgaben könnten abschließend noch nicht beziffert werden. „Deshalb werden wir im Herbst den Haushalt 2020 auf den Prüfstand stellen. Einen Nachtragshaushalt halte ich für wahrscheinlich, sehe darin auch die Chance, die in der mittelfristigen Finanzplanung eingestellten Maßnahmen neu zu bewerten“. Einzelne Investitionsmaßnahmen wurden jedoch nicht abgesagt. Bevor ein Projekt im Haushalt eingestellt werde, sei es gut vorberaten und vom Gemeinderat beschlossen worden. Daher seien nicht die Investitionen das Problem, sondern die laufenden Kosten und fehlenden Einnahmen aus dem Steueraufkommen des Finanzausgleichs und der Gewerbesteuer, sagt Nowitzki.
Stadtoberhaupt und Gemeinderat tragen Verantwortung
IIn Bretten befindet Oberbürgermeister Martin Wolff, dass ein Schuldenerlass nichts mit der Corona-Pandemie zu tun habe. Den Corona-Hilfsschirm mit dranzuhängen sei ungut. Es gebe den Länderfinanzausgleich, den kommunalen Finanzausgleich und den Ausgleichsstock für arme Gemeinden. Ein Schuldenschnitt würde an der Allgemeinheit hängen bleiben. Und wer wisse schon, ob eine betroffene Gemeinde nicht „über Gebühr“ gelebt hätte, sagt Wolff. Grundsätzlich hätten Stadtoberhaupt und Gemeinderat die Verantwortung über die Finanzen und müssten auf Sicht entscheiden, um Freiräume für schwierige Zeiten zu schaffen. Er selbst habe seinen Posten mit einem Schuldenberg von 33 Millionen Euro übernommen. „Hätten wir die heute noch, dann hätten wir richtige Probleme“, sagt Wolff. Die hohe Verschuldung, die der Bund coronabedingt eingegangen sei, lasse sich in Zukunft nur durch Einnahmenerhöhung oder Ausgabenreduzierung ausgleichen, wenn die hohe Verschuldung abgebaut werden solle, so Wolff. Doch sei es sehr schwierig einzuschätzen, inwieweit Kommunen davon direkt betroffen sein werden.
Autor:Beatrix Drescher aus Bretten |
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