„Ganztagsschule ist Antwort auf aktuelle Probleme“
Info-Veranstaltung zu Ganztagsanspruch mit Landtagsvizepräsident Daniel Born

Aaron Treut, Dietrich Gerhards, Brigitte Dingler, Peter Krüger, Daniel Born und Susanne Kiefner (von links) sprachen über den Rechtsanspruch auf Ganztagsschule, der ab 2026 besteht.  | Foto: ger
  • Aaron Treut, Dietrich Gerhards, Brigitte Dingler, Peter Krüger, Daniel Born und Susanne Kiefner (von links) sprachen über den Rechtsanspruch auf Ganztagsschule, der ab 2026 besteht.
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Maulbronn (ger) Der Rechtsanspruch für Grundschulkinder auf Ganztagesbetreuung kommt: Ab dem Schuljahr 2026/27 wird er, begonnen mit Klasse 1, eingeführt, stufenweise folgen bis 2029/30 die weiteren Klassen. Zu einer Infoveranstaltung mit anschließender Podiumsdiskussion zu dem Thema hatte der SPD-Ortsverein Maulbronn in die Feuerwache geladen.

Vorteile des Ganztags liegen auf der Hand, aber Umsetzung ist große Herausforderung für Kommunen

Daniel Born, Vizepräsident des Landtags in Baden-Württemberg und unter anderem Sprecher für frühkindliche Bildung der SPD-Fraktion, stellte vor rund 30 interessierten Personen in einem kurzen Vortrag die rechtlichen Grundlagen vor. Was der Rechtsanspruch für Eltern und Kinder bedeutet und wie das in einer Kommune wie Maulbronn umgesetzt werden könnte, darüber äußerten sich im Anschluss der Maulbronner Bürgermeister Aaron Treut, Dietrich Gerhards, Schulleiter der Grundschule Eisingen, Peter Krüger, Konrektor der Gemeinschaftsschule (GMS) Illingen-Maulbronn, und Brigitte Dingler, die an der GMS Illingen-Maulbronn als Schulsozialarbeiterin für die Klassen eins bis vier tätig ist. Die Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Susanne Kiefner moderierte die Runde. Dabei wurde deutlich, dass die Vorteile des Ganztags zwar auf der Hand liegen. Die Umsetzung aber im Hinblick auf Personal, Finanzierung und Zeitplan für die Kommunen eine weitere große Herausforderung, wenn nicht Überforderung darstellt.

Positiver Einfluss auf Bildungsbiografien

Daniel Born konstatierte, für ihn sei die Ganztagsschule, die in den meisten europäischen Ländern Standard sei, ein „Herzensthema“. Viele Familien stünden vor einem Problem, wenn das Kind in die Schule käme. Denn in vielen Kindertageseinrichtungen gibt es längere Betreuungszeiten als in der Grundschule. Studien würden außerdem zeigen, dass Ganztagsschulangebote einen nachhaltigen, positiven Einfluss auf die Bildungsbiografien von Kindern haben. Damit sorgten sie für mehr Chancengerechtigkeit. Ferner seien sie eine bedeutsame Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und damit auch ein entscheidender Standortfaktor, auch im Hinblick auf den nötigen Zuzug von Fachkräften.

Keine Pflicht, Ganztagsangebote in Anspruch zu nehmen

Der Rechtsanspruch umfasst acht Stunden an fünf Werktagen in der Woche und gilt auch in den Ferien. Es muss nicht zwingend eine Ganztagsschule sein, der Anspruch bezieht sich auf die Förderung in einer Tageseinrichtung, kann also auch mit einem Hort oder anderen Betreuungsangeboten gedeckt werden. Die Kommunen entscheiden über die Angebote. Wichtig: Es gibt keine Pflicht, Ganztagesangebote in Anspruch zu nehmen. Das betonte auch Daniel Born, der jedoch im Hinblick auf Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit die gebundene, rhythmisierte Ganztagesgrundschule favorisiert. In ihr werden Unterricht, Pausen und Freizeitangebote flexibel über den ganzen Tag verteilt. Alle Kinder erhalten ein warmes Mittagessen, Hausaufgaben und Üben werden innerhalb des Ganztags erledigt. „Ich möchte die Kinder nicht ihren Eltern wegnehmen“, betonte Born. Allerdings würden sich einerseits die klassischen Familienstrukturen immer weiter auflösen, andererseits würden die Unterrichtsstunden oft nicht für das ausreichen, was auf dem Lehrplan steht.

„Ganztagsschule ist die Antwort auf die Probleme, die wir gerade haben.“

Die Schulsozialarbeiterin Brigitte Dingler bestätigte diesen Eindruck. Alle Kinder, die zu ihr kämen, hätten einen Unterstützungsbedarf in irgendeiner Form. Es gebe Familien, in denen die Eltern bei den Hausaufgaben nicht unterstützen könnten. Kinder wiesen Defizite im Sozialverhalten auf, weil die Familie sehr zurückgezogen lebe oder weil sie immer allein vor digitalen Medien gelassen würden, auch würden viele in der sprachlichen Entwicklung zurückliegen. Gerhards, jetzt Rektor der Grundschule Eisingen, schilderte, wie er vor 20 Jahren als junger Konrektor an einer Werkrealschule in Pforzheim den Ausbau zur Ganztagesschule mitgemacht habe. Für Brennpunktschulen habe es damals optimale Bedingungen dafür gegeben, sowohl was die Finanzierung, als auch die Verfügbarkeit von genügend Lehrkräfte anbelangte. Seine Erfahrung damit sei: „Die Ganztagsschule ist die Antwort auf die Probleme, die wir gerade haben.“ In seinen Augen sei es ein Verbrechen, auch auf volkswirtschaftlicher Ebene, wenn man die Chancen für die Kinder jetzt nicht nutzen würde, auch wenn man natürlich enorm investieren müsse.

"Betrieb ermöglichen, in den Ganztagsschule dann hineinwachsen kann"

„Die Ganztagsbetreuung darf keine Mogelpackung sein“, betonte Gerhards. Mit dem Hort in Eisingen habe er sich zwar für ein sparsameres Modell entschieden, da dort auch Personal ohne pädagogische Ausbildung beschäftigt sein dürfe, doch habe er konkret die passenden Menschen dafür vor Augen gehabt. Seine Vision sei: „Die Kommune muss erstmal den ganztägigen Betrieb ermöglichen, in den die Ganztagesschule dann hineinwachsen kann.“ Und in der Ganztagesschule benötige man dann idealerweise multiprofessionelle Teams aus Lehrkräften, Sozialarbeitern, Logopäden, Ergotherapeuten und mehr.

Kommunen fehlt Geld für Ausbau

Dass Idee und Realisierung auseinanderklaffen, verdeutlichte Bürgermeister Treut. Von 160 Schülern in der Kernstadt Maulbronn würden 50 die Betreuung in Anspruch nehmen, im Ortsteil Zaisersweiher seien von 59 Schülern gar 30 in der Betreuung. Die Stadt bezuschusse das mit 45.000 Euro, dazu kämen Fördermittel vom Land sowie die Gebühren, die die Eltern bezahlten: 245 Euro im Monat, wenn man das zeitliche Angebot voll in Anspruch nimmt. Das, so Susanne Kiefner, müsse man sich auch erst einmal leisten können. Wie hoch der Bedarf ab 2026 sei, wisse man noch gar nicht, sagte Treut. Aber: „Schon jetzt reichen die Räumlichkeiten nicht aus.“ Denn Betreuung könne aus verschiedenen Gründen nicht einfach in vorhandenen Klassenzimmern stattfinden. Der Kommune fehle es an Geld, den nötigen Ausbau zu stemmen. Dazu käme, dass an vielen Schulstandorten schlicht gar kein Platz sei, um Räumlichkeiten anzubauen. „Bund und Land stülpen den Kommunen hier etwas über. Und wir müssen es umsetzen, wissen aber nicht wie“, bemängelte der Bürgermeister, der darin auch einen Grund für die steigende Unzufriedenheit im Land sieht und den Landtagsabgeordneten Born bat, das mit ins Parlament zu nehmen.

Baden-Württemberg hat rote Laterne bei Ganztagsbetreuung

Daniel Born verwies darauf, dass Baden-Württemberg beim Ganztag mit 28 Prozent die „rote Laterne“ in Deutschland habe. In anderen Bundesländern liege die Quote bei bis zu 80 Prozent, selbst Bayern habe 60 Prozent. Natürlich sei es auch ein großes Problem, das nötige Personal – man geht von bis zu 8.000 Kräften mehr aus – zu finden. Was das Geld angeht: Der Südwesten habe in 2023 einen Finanzüberschuss von sechs Milliarden Euro gehabt. „Die Finanzierung muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden“, sagte Born. Treuts Argument, dass der „Länderfinanzausgleich“ das verhindere, also dass die reichen Länder denen, die finanziell nicht so gut dastehen, Gelder zukommen lassen müssen, wollte Born nicht gelten lassen. Man müsse eben mehr in Bildung investieren.

Ausufernde Mediennutzung als Problem

Peter Krüger, Konrektor der GMS Illingen-Maulbronn, die schon eine Ganztagesschule ist, berichtete, dass der Lehrerberuf in den letzten zehn bis 15 Jahren viel schwieriger geworden sei. Der Grund sei, dass die Schere in der Gesellschaft zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander gehe. Es fehle die gesunde mittlere Schicht. Den eklatanten Wandel in der Gesellschaft machte er außerdem an der ausufernden Mediennutzung fest. Die Kinder seien oft mit Smartphone und Co allein gelassen, täglich habe man mit (Cyber-)Mobbing zu tun. „Womöglich verlieren wir damit eine ganze Generation“, befürchtete er. Die Lehrkräfte seien nach fünf oder sechs Stunden ausgelaugt wie „ein ausgepresster Schwamm“. Die Ganztagsbetreuung sieht er trotz der angespannten Personalsituation als die richtige Richtung an, die Schere zu verringern und Alternativen zu digitaler Freizeitbeschäftigung zu bieten. „Wir müssen Prioritäten setzen“, folgerte Susanne Kiefner am Ende des Austauschs. „Schließlich sind Kinder unsere Zukunft.“

Autor:

Katrin Gerweck aus Bretten

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