Wo Inklusion zur Normalität wird
Inklusives Café "Mühlwerk Sinneswandel" in Flehingen wird eröffnet

Das Mühlwerk Sinneswandel setzt sich für gelebte Inklusion ein und möchte einen Begegnungsraum für alle schaffen.  | Foto: kuna
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  • Das Mühlwerk Sinneswandel setzt sich für gelebte Inklusion ein und möchte einen Begegnungsraum für alle schaffen.
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Oberderdingen-Flehingen (kuna) „Wer sich einbringen kann, der ist motiviert und gibt sein Bestes“, erklärt Felix Rominski. Was zunächst recht allgemein klingen mag, findet im Mühlwerk Sinneswandel im Oberderdinger Stadtteil Flehingen einen tieferen Sinn: Dort wurde am Donnerstag, 5. September, ein neues Café eingeweiht, das Menschen mit schwerer Behinderung in den Arbeitsalltag integriert und so ein Stück Normalität bieten soll – ein "Stück vom Glück", wie die Initiatoren es nennen.

Café nimmt Betrieb am 14. September auf

Die Wahl der Berufes sei wichtiger Teil der persönlichen Entfaltung, die schließlich auch im Grundgesetz fest verankert ist, erinnert Rominski, stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins Mühlwerk Sinneswandel bei der Einweihungsfeier. Vier junge Menschen, die aufgrund ihres Grades an Behinderung nicht in einer Werkstatt arbeiten können, sollen in dem inklusiven Café – das am Samstag, 14. September, seinen Betrieb aufnehmen wird – Teil eines sinnhaften Ganzen werden. „Wer im Café oder in der Backstube nur eine kleine Aufgabe übernimmt, trägt zum großen Ganzen bei“, erläutert Rominski die Idee.

Spenden und Sponsorengelder

Treibende Kraft hinter dem Projekt ist eine 2017 entstandene Initiative von Eltern, deren Kinder eine schwere Behinderung haben, erklärt Manuela Rominski. Sie ist die geschäftsführende Gesellschafterin der gemeinnützigen Trägergesellschaft Mühlwerk Sinneswandel gUG, die sich aus dem gleichnamigen Förderverein heraus entwickelt hat. Durch Spenden und Sponsorengelder sei das bauliche Projekt, das sich auf einem denkmalgeschützten Areal befindet, ermöglicht worden.

Durch Normalität Inklusion leben

Dass das Gebäude in der Gochsheimer Straße 101, Teil einer ehemaligen Sägemühle aus dem 18. Jahrhundert, nun vollkommen barrierefrei ist, fällt auf den ersten Blick gar nicht auf. Denn von außen wirkt es zunächst wie ein ganz gewöhnliches, modernes Café. Manuela Rominski bekräftigt: Das Café soll dadurch überzeugen, dass man gerne hingeht – die Behinderungen der jungen Menschen wolle man im alltäglichen Betrieb gar nicht in den Vordergrund stellen. Erst durch diese Normalität könne Inklusion überhaupt gelebt werden.

Weitere Option anbieten für freie Entfaltung der Persönlichkeit

Die Realität für Menschen mit schwerer Behinderung sehe oft ganz anders aus, führt sie aus. Menschen, die als „nicht werkstatttauglich“ eingestuft werden, wie es behördensprachlich genannt wird, würden ihren Alltag meist nur unter Schwerstbehinderten verbringen, erklärt Manuela Rominski. „Das nennt man Exklusion“, stellt sie fest und führt weiter aus: „Es wird genau geschaut, wie leistungsfähig jemand ist und ob man ökonomisch verwertbare Arbeit verrichten kann.“ Normalität zu leben, stehe dann immer unter Vorbehalt und sei abhängig davon, ob genügend Betreuer vorhanden sind oder ob die äußeren Umstände – zum Beispiel die Barrierefreiheit – gegeben sind. Das Mühlwerk Sinneswandel setzt an dieser Stelle an und möchte bei der freien Entfaltung der Persönlichkeit eine weitere Option anbieten, so Felix Rominski, der das Café als eine Ergänzung zum bestehenden Angebot betrachtet.

Einzigartig im Landkreis

Das Mühlwerk Sinneswandel sei in diesem Sinne einzigartig im Landkreis Karlsruhe – wohl in ganz Baden-Württemberg, ergänzt Andrea Schwarz, Landtagsabgeordnete der Grünen, die zur Einweihungsfeier ebenfalls den Weg nach Flehingen gefunden hat.

"Umstände müssen sich ändern"

Konfrontiert mit dem Unterstützungsbedarf der eigenen Kinder stellen Eltern sich aber auch die Frage: Was ist Behinderung überhaupt? „Eine Behinderung findet Verstärkung in den Umständen“, erläutert Felix Rominski und verweist als Beispiel auf Treppenstufen, die für Rollstuhlfahrer unüberbrückbar sind. „Die Umstände müssen sich ändern, nicht die Menschen“, stellt er fest. Die Barrierefreiheit des neuen Cafés soll daher durch einen Aufzug sichergestellt werden, findet aber auch Ausdruck in der geräumigen Backstube mit höhenverstellbaren Arbeitsplatten oder durch eine "Toilette für alle", die auf die Bedürfnisse von Menschen mit schweren Behinderungen ausgelegt ist.

Noch Unwägbarkeiten in der Bürokratie

Rominski deutet jedoch auch auf Schatten hin, die derzeit noch über dem Projekt schweben würden. So gebe es noch in der finanziellen Unterstützung durch das Landratsamt, das bei der Förderung von Menschen mit Behinderung zuständig ist, noch einige Unwägbarkeiten. Das Café setzt auf eine 1 zu 2-Betreuung und auf fest angestelltes pädagogisches Personal. So können alltägliche Arbeiten recht kleinteilig und ganz ohne zeitlichen und ökonomischen Druck erledigt werden, erklärt Sarah Barresi, Vorsitzende des Fördervereins, sei es im Service, in der Backstube oder auch im Brötchenservice, der für die Zukunft angedacht ist. Letzterer wird dann zu festen Zeiten Brötchen in den Seniorenwohnpark Flehingen vorbeibringen, der sich in direkter Nachbarschaft befindet.

Seniorenwohnpark in der Nachbarschaft

Der Wohnpark ist ein Projekt des Sozialwerkes Bethesda aus Neulingen, das auch Eigentümer des Sägemühlen-Areals ist. Seit zwei Jahren wohnen dort in altersgerechten und barrierefreien Bungalows Seniorinnen und Senioren ab 60 Jahren. Die Mühle habe man bei den Planungen für den Wohnpark mit erworben, erklärt Peter Mayer, Vorsitzender des Sozialwerkes Bethesda, jedoch ohne eine konkrete Vorstellung für eine mögliche Nutzung zu haben. Von der Idee des inklusiven Cafés sei man dann direkt angetan gewesen, erinnert er sich.

Projekt schon preisgekrönt

Dass das Projekt bereits jetzt großen Anklang findet, beweist nicht nur die Auszeichnung mit dem "mitMenschPreis 2024" vom Evangelischen Fachverband für Teilhabe vom Mai 2024, das Projekte auszeichnet, die sich in besonderer Weise für die Inklusion von Menschen mit schwerer Behinderung einsetzt. Dank der enormen Spendenbereitschaft kann nun auch ein Veranstaltungs- und Tagungsraum im Obergeschoss verwirklicht werden. Diese wolle man aber erst in Betrieb nehmen, sobald der Aufzug eingebaut ist, so Manuela Rominski.

Frühstücksangebot ab Oktober

Im Vordergrund steht nun zunächst das Café, das am Samstag, 14. September, seinen Betrieb aufnehmen und dann immer von Mittwoch bis Sonntag geöffnet sein wird. Die genauen Öffnungszeiten will das Mühlwerk Sinneswandel rechtzeitig bekannt geben. Ab Oktober soll außerdem ein Frühstücksangebot das Café ergänzen.

Das Mühlwerk Sinneswandel setzt sich für gelebte Inklusion ein und möchte einen Begegnungsraum für alle schaffen.  | Foto: kuna
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Autor:

Kathrin Kuna aus Bretten

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