MPR Bretten: Fluchtgeschichten im Religionsunterricht

Sara ist 19 Jahre alt und kommt aus Aleppo in Syrien. Azra ist eine Mutter von drei Kindern und kommt aus dem Kosovo. Beide waren in der Max-Planck-Realschule in Bretten zu Gast, um Schülern der zehnten Klassen ihre Fluchtgeschichten zu erzählen.

Bretten (gh) Die schrecklichen Bilder aus Aleppo sind täglich in den Nachrichten. Die Großmutter der 19-jährigen Sara lebt immer noch dort, ohne Strom und fließendes Wasser. Mit ihr telefoniert sie regelmäßig und hofft, dass sie den Wahnsinn irgendwie überlebt. Sara ist mit ihren Eltern und drei Geschwistern vor drei Jahren schon geflohen. Zuerst über die Türkei nach Ägypten, wo sie in einer syrischen Schule ihr Abitur gemacht hat. Danach ging die Flucht weiter, weil ihr Vater dort keine gute Arbeit gefunden hat und er die Familie nicht ernähren konnte. Sie entschlossen sich zur Fahrt übers Mittelmeer in Richtung Europa und saßen acht Tage lang zusammengepfercht mit 200 anderen in einem Boot. Bei Sturm gerieten sie in Seenot und hatten doch Glück. Ein schwedisches Transportschiff hat sie aufgenommen, Kinder und Gepäck wurden durch die Luft geworfen. Ein anderes Boot konnte nicht aufgenommen werden und geriet außer Sicht.

Von Ägypten zuerst nach Sizilien, dann nach München

Die schwedische Fähre brachte sie nach Sizilien. Dort lebten sie in einer großen Sporthalle und konnten wenige Wochen später mit dem Zug über Mailand nach München fahren. Inzwischen lebt Sara mit ihrer Familie in Bretten in einer Wohnung, die sie über die Moschee vermittelt bekamen. „Deutschland ist gut für uns“, sagt sie, „wir leben in Frieden“. Dennoch steht etwas Unsicherheit in ihrem Gesicht. Auf die Frage nach ihren Zukunftsplänen antwortet sie hoffnungsvoll: Sie wolle Bauingenieurin werden und wenn der Krieg zu Ende ist, will sie nach Aleppo zurückkehren, um dort beim Wiederaufbau zu helfen.

Schwierige Situation für Azra

Azra hat Saras Geschichte für die Schüler übersetzt, sie spricht sechs Sprachen. Sie wurde dann aber auch nach ihrer eigenen Geschichte gefragt. Und sie erzählte, wie sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern vor zwei Jahren aus dem Kosovo geflohen ist. Das Leben dort sei nicht normal, meint sie. Alles ist korrupt, man hat keine faire Chance auf dem Arbeitsmarkt, und freie Meinungsäußerung sei auch sehr schwierig. Azra macht sehr viel und bringt sich mit Übersetzungstätigkeiten ein, wo immer es geht. Früh morgens bringt sie ihre Kinder in Kindergarten und Schule. Sie hat auch schon ein Praktikum in der Altenpflege gemacht und würde gerne arbeiten. Aber noch darf sie es nicht, außerdem droht ihnen die Abschiebung in ihr Herkunftsland. Sie hätten im August schon ausreisen sollen, doch der Internationale Freundeskreis Bretten, die evangelische Kirche und der Bürgermeister haben einen Härtefallantrag für sie gestellt. Nun hoffen und bangen sie jeden Tag.

Aufmerksame und mitfühlende Schüler

Die Schüler der zehnten Klassen sind aufmerksam den Geschichten der jungen Frauen gefolgt, waren betroffen und haben Fragen gestellt: Wie die Situation auf dem Flüchtlingsboot war und ob sie etwas vom Schicksal des zweiten Bootes weiß, wollte ein Schüler wissen. Die Dramatik dieser Situation stand im Raum als Sara nur schweigend den Kopf schüttelte. Die Verständigung zwischen den Frauen und den Schülern war trotz Sprachproblemen sehr intuitiv und emotional. Eine Schülerin meinte abschließend: „Danke, dass ihr uns alles so offen erzählt habt. Es ist gut, wenn man jemanden wirklich kennen lernt und nicht nur anonym über die Flüchtlinge redet.“ Drei Schülerinnen wollen sich nun spontan im Café International in Bretten engagieren. Und die beiden Frauen wollen sich mit selbst gebackenen Leckereien bei der Klasse für die gute Aufnahme bedanken.

Autor:

Christian Schweizer aus Bretten

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