Sicher durch die Motorradsaison: „Von Fahrsicherheitstrainings profitieren nicht nur Anfänger und Wiedereinsteiger“

Foto: Lukas Gojda, Fotolia

Sicher durch die Motorradsaison:„Von Fahrsicherheitstrainings profitieren nicht nur Anfänger und Wiedereinsteiger“.

(pr-nrw) Wer mit dem Motorrad unterwegs ist, hat ein viermal größeres Risiko, bei einem Unfall tödlich zu verunglücken als ein Autofahrer. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe: Ein Motorrad muss stets in der Balance gehalten werden und es bietet bei einem Crash keinerlei Schutz. Das souveräne Beherrschen der Maschine und das Tragen einer optimalen Schutzausrüstung sind für Bikerinnen und Biker deshalb die beste Lebensversicherung. Gerade zu Beginn der Motorradsaison gehört deshalb alles auf den Prüfstand: Bike, Fahrfitness und Ausrüstung. Worauf es dabei ankommt, dazu informierten Experten kurz vor dem „heißen“ Pfingstwochenende am Lesertelefon. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:

In welchen Situationen passieren die meisten Unfälle?
Andreas Grünewald: Außerorts, auf Landstraßen – und meist ohne Beteiligung eines „Unfallgegners“. Solche sogenannten Alleinunfälle sind nach unserer Erfahrung oft auf mangelnde Kurvenkompetenz zurückzuführen: Biker fahren zu schnell und mit falscher Blickführung in die Kurve, geraten wegen zu geringer Schräglage auf die Gegenfahrbahn oder verlieren die Kontrolle über die Maschine. Das Erlernen und Trainieren der Lenk- und Bremstechnik, verbunden mit einer optimierten Blickführung, ist eine wichtige Aufgabe für Aus- und Weiterbilder – vor allem, weil die Hersteller mit technischen Neuerungen wie Kurven-ABS oder besseren Reifen immer bessere Voraussetzungen für sicheres Fahren schaffen.

Wir fahren Pfingsten in einer größeren Gruppe eine Tour. Worauf kommt es dabei besonders an?
Matthias Haasper: Auf klare, verbindliche Absprachen, die Sie vor Beginn der Tour treffen. Die zentralen Punkte: Kein Wettbewerb untereinander, keine Überholmanöver in der Gruppe, Abstand halten und versetzt fahren. Bei längeren Touren sollten zudem regelmäßige Pausen eingeplant werden. Und ganz wichtig: In Gruppen neigt man dazu, dem Vordermann „blind“ zu folgen – eine gefährliche Form von Teamgeist! Jeder bleibt im Rahmen der besprochenen Regeln voll für sich selbst verantwortlich. Ausführliche Infos liefert die Broschüre „Team Touring“ des Instituts für Zweiradsicherheit, die Sie unter www.ifz.de kostenfrei herunterladen können.

Welche Assistenzsysteme gibt es bei Motorrädern heute?

Jürgen Bente: Das wichtigste Assistenzsystem ist sicherlich das Antiblockiersystem. Mittlerweile haben die Hersteller es zum Kurven-ABS weiterentwickelt, das eine Kontrolle bei voller Bremskraft auch in Schräglage ermöglicht. Je nach Motorradtyp können weitere Systeme die Sicherheit unterstützen, zum Beispiel eine Traktionskontrolle, die das Ausbrechen des Hinterrads beim Beschleunigen unterbindet. Eine Wheelie- und Stoppie-Kontrolle sorgt dafür, dass Vorderrad und Hinterrad möglichst im Fahrbahnkontakt bleiben. Hinzu kommen Systeme wie Kurvenlicht, auf Knopfdruck einstellbare Fahrwerke und Sicherheitsfeatures wie ein E-Call-System, das bei einem Unfall einen Notruf einschließlich GPS-genauem Standort absetzt.

Kann ich ein E-Call-System nachrüsten?

Jürgen Bente: Bei vielen neueren Modellen ist das System bereits werksseitig eingebaut – es lässt sich jedoch in den meisten Fällen problemlos nachrüsten. E-Call kann besonders bei Alleinunfällen Leben retten, aber auch wenn ein Motorradfahrer zu einem Unfall dazu kommt, kann er über seine SOS-Taste die Notrufzentrale erreichen.

Meine Maschine fühlt sich zu groß für mich an. Wie kann ich die Sitzposition verbessern?
Matthias Haasper: Innerhalb gewisser Grenzen lässt sich die Sitzposition auf die Größe des Fahrers oder der Fahrerin anpassen. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder Sie lassen die Sitzbank von einem Fachbetrieb „abpolstern“, wobei Körpergröße, Gewicht und Sitzkomfort berücksichtigt werden müssen. Oder Sie lassen das Fahrwerk vom Fachmann tieferlegen. Beispiel: Der Einbau eines Tieferlegungskits mit längeren Zughebeln sowie das Verschieben der Gabelholme um zehn Millimeter verringert die Sitzhöhe um rund vier Zentimeter.

Bieten Airbag-Westen einen wirksamen Schutz?
Matthias Haasper: Airbag-Jacken oder Airbag-Westen können einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit im Fall der Fälle leisten. Die verfügbaren Modelle unterscheiden sich grundsätzlich in der Art des Auslösers: Bei Systemen mit Reißleine löst der Airbag, sobald sich der Fahrer bei einem Sturz oder Aufprall von der Motorradsitzbank trennt. Der Widerstand ist in der Regel groß genug, um ein unbeabsichtigtes Auslösen – etwa beim Absteigen – auszuschließen. Die Alternative sind Systeme mit Crash-Sensoren. Diese sind entweder ausschließlich in die Airbag-Jacke integriert oder zusätzlich am Motorrad angebaut, wobei die Signale dann per Funk an die Airbag-Jacke weitergeleitet werden. Funksysteme lösen schneller aus, können also einen besseren Schutz beim Erstkontakt mit einem Hindernis bieten.

Worauf sollte ich noch bei der Ausrüstung achten?
Andreas Grünewald: Mangels Knautschzone und Wetterschutz kommt es beim Motorradfahren auf die bestmögliche Schutzkleidung an. Das fängt beim Helm an, der in jedem Fall ein Integral- oder Systemhelm sein sollte. Offene Pilothelme ohne Schutz der Kinnpartie sind nicht zu empfehlen. Bei der Bekleidung kommen Protektoren zum Einsatz, Lederbekleidung ist wohl am geeignetsten was die Abriebfestigkeit betrifft, aber auch Bekleidung aus kombinierten Materialien oder textile Bekleidung mit Protektoren erfüllen heutzutage die wichtigsten Sicherheitsstandards. Die Füße schützen kraftstoff- und ölresistente Motorradstiefel mit einer Schalthebelverstärkung – selbst gute Militärstiefel reichen da nicht aus. Derzeit wird übrigens an einem europäischen Bekleidungslabel in Form eines kleinen Motorradpiktogramms gearbeitet, das bereits ab 2019 motorradtaugliche Bekleidung sichtbar ausweisen könnte.

Was genau wird bei einem Fahrsicherheitstraining vermittelt?

Andreas Grünewald: Trainings des DVR orientieren sich an den neuesten Erkenntnissen der Unfallforschung und decken so die realen Risikoszenarien und den Einfluss der technologischen Entwicklung ab. Zunächst erhalten die Teilnehmer einen Eindruck von den wichtigsten fahrphysikalischen Besonderheiten eines „Balancefahrzeugs“, um in Gefahrensituationen Manöver zur Gefahrenabwehr einleiten oder wenigstens die Unfallfolgen mindern zu können. Immer wichtiger wird das Erlernen einer richtigen Lenktechnik – Stichwort Kurvenkompetenz und Schräglage. Zudem wird der richtige Umgang mit den – häufig noch unvertrauten – Fahrerassistenzsystemen trainiert. In diesem Zusammenhang beobachten wir derzeit eine Trendwende: Das rasche Ausweichen in Gefahrensituationen, vor allem innerorts, tritt wegen der fraglichen Durchführbarkeit immer mehr in den Hintergrund. Dafür steht schnelles, starkes Bremsen immer mehr im Fokus der Fahraufgaben. Neuerdings bietet der DVR auch ein Motorradsicherheitstraining auf der Straße an, um ein Training unter realen Bedingungen zu ermöglichen.

Wer bietet Fahrsicherheitstrainings in meiner Nähe an?

Jürgen Bente: Unter www.dvr.de/sht finden Sie aktuelle Trainingstermine einschließlich Informationen über die Anbieter, Trainingsinhalte und die Zahl noch freier Plätze. Die dort aufgeführten Angebote erfüllen allesamt die Anforderungen, die der DVR an praxisgerechte Sicherheitstrainings stellt.

Gibt es Trainings speziell für Bikerinnen?
Jürgen Bente: Auch das Institut für Zweiradsicherheit ifz bietet eine Übersicht über die aktuellen Trainingsangebote an. Unter dem Kapitel „Training“ finden Sie unter www.ifz.de auch eine Suchfunktion, mit der Sie sich Trainings für Bikerinnen anzeigen lassen können. Leider sind die Angebote noch nicht so umfangreich, wie wir uns dies aus der Perspektive der Verkehrssicherheit wünschen.

Nach zwölf Jahren Pause habe ich mir eine neue Reiseenduro zugelegt. Gibt es spezielle Trainings für Wiedereinsteiger beziehungsweise Tourenbiker?
Matthias Haasper: Gerade nach einer langen Pause bietet ein Training eine hervorragende Gelegenheit, „wieder reinzukommen“ und Neues dazuzulernen – schließlich hat sich in all den Jahren auch die Technik weiterentwickelt. Unter www.ifz.de findet jeder das passende Training für seinen Bedarf: Von eintägigen Basistrainings über spezielle Wiedereinsteigerkurse über Enduro- oder Rollertrainings finden sich auf dem Portal auch mehrtägige Trainings, und auch solche auf der Rennstrecke dürfen nicht fehlen. Übrigens: Viele Berufsgenossenschaften übernehmen für ihre Mitglieder einen Teil der Trainingskosten bis hin zur vollen Kostenübernahme!

Wie kann ich beim Fahren mit Sozius sicherer werden?
Matthias Haasper: Das geht schon beim Festhalten los: Der Beifahrer hält sich im Hüftbereich des Fahrers fest und darf ruhig Tuchfühlung zum Fahrer aufnehmen, damit beide eine Einheit bilden. Der Beifahrer lässt seine Füße immer auf den Rasten, auch in Kurven oder wenn beispielsweise an Ampeln angehalten wird! Sozia oder Sozius fahren auf dem Zweirad aktiv mit und sollten das Verkehrsgeschehen mitverfolgen, dabei aber plötzliche Bewegungen vermeiden. Für die runde Kurvenfahrt ist die Blickführung des Mitfahrenden entscheidend: In Linkskurven links und in Rechtskurven rechts am Fahrer vorbeischauen und auf Linie mit dem Fahrer bleiben. Vereinbaren Sie für die Verständigung Zeichen, zum Beispiel: Klopfen gegen die rechte Schulter bedeutet „Langsamer fahren“, auf den rechten Oberschenkel „Anhalten“. Apropos: Erst wenn der Fahrer einen sicheren Stand hat und das Kommando gibt, darf ab- oder aufgestiegen werden. Guten Halt bieten dabei die Schultern des Fahrers. Wegen der höheren Zuladung müssen Fahrwerk und Reifenfülldruck vor der Fahrt angepasst werden. Brems- und Überholvorgänge fallen länger aus als im Solobetrieb, abrupte Manöver sollten vermieden werden. Sanftes Anfahren, Schalten und Bremsen sind angesagt – stärkere Beschleunigung nur nach Absprache und auf ein Zeichen hin.

Mein 17-jähriger Sohn will mit dem Motorradfahren anfangen. Was ist Ihr Tipp, damit er möglichst sicher fährt?
Andreas Grünewald: Ein guter Anfang ist die Auswahl einer Fahrschule mit möglichst hoher Kompetenz im Vermitteln der zweiradspezifischen Besonderheiten. Fahrlehrer, die selbst mit dem Motorrad die Fahrstunden begleiten, können diese Besonderheiten meist besser vermitteln. Ihr Sohn sollte zudem bereits zu Beginn der Fahrausbildung über eigene zweiradspezifische Motorradschutzkleidung verfügen. Mit der in den meisten Fahrschulen angebotenen Leihbekleidung geht man viele Kompromisse bei Passgenauigkeit und Tragekomfort ein.

Autor:

Christian Schweizer aus Bretten

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