Gemeinden und Naturschützer warnen: Kartellstreit bedroht nachhaltige Waldwirtschaft
In den nächsten Jahren könnten sich die gewohnten Verhältnisse in den Wäldern von Kraichgau und Nordschwarzwald einschneidend ändern. Nach Ansicht von Gemeinden und Naturschutzverbänden sind Naherholung sowie Klima- und Naturschutz in Gefahr, rein wirtschaftlichen Interessen untergeordnet zu werden.
Kraichgau (ch) In den nächsten Jahren könnten sich die gewohnten Verhältnisse in den Wäldern von Kraichgau und Nordschwarzwald einschneidend ändern. Nach Ansicht von Gemeinden und Naturschutzverbänden sind Naherholung sowie Klima- und Naturschutz in Gefahr, rein wirtschaftlichen Interessen untergeordnet zu werden. Zugleich fürchten vor allem mittelgroße Gemeinden mit einem bedeutenden Waldanteil große finanzielle Verluste. Eine dieser Gemeinden ist Walzbachtal.
Wald als reiner Wirtschaftsbetrieb?
„Dem Haushalt der Gemeinde droht ein Einnahmeausfall von bis zu 100.000 Euro jährlich“, sagt Bürgermeister Karl-Heinz Burgey. Was dem Rathauschef die Sorgenfalten auf die Stirn treibt, sind die von den Holzabnehmern mittels Bundeskartellamt angestoßenen Forstreformen. Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit findet seit über 15 Jahren ein juristisches Fingerhakeln zwischen dem Bundeskartellamt und einigen Bundesländern, darunter auch Baden-Württemberg, statt. Es geht, vereinfacht gesagt, um die Frage, ob der Wald ein reiner Wirtschaftsbetrieb ist oder ob er noch andere, für das Allgemeinwohl unverzichtbare Funktionen hat.
Mehr Wettbewerb im Wald
Auslöser war eine 2002 erhobene Beschwerde des Verbands Deutsche Säge- und Holzindustrie (DeSH) gegen die unter anderem in Baden-Württemberg praktizierte gemeinsame Forstverwaltung und Holzvermarktung. Die sogenannten Einheitsforstämter, mit denen das Land, vertreten durch die Stadt- und Landkreise, nicht nur den Staatswald bewirtschaftet, sondern auch den Großteil des Kommunal- und Privatwalds, sind den Beschwerdeführern ein Dorn im Auge. In Walzbachtal betreut zum Beispiel Revierförster Christian Wachter 845 Hektar Gemeindewald und 251 Hektar Staatswald. Für die Befürworter eine Voraussetzung nachhaltiger Waldbewirtschaftung, für die Gegner Grund zur Klage: Die gemeinsame Holzvermarktung verleihe den Waldbesitzern eine unzulässige Marktmacht, was den Wettbewerb beeinträchtige und insbesondere bei Nadelstammholz zu überhöhten Preisen führe.
Landratsamt und Naturschützer warnen
„Wir sind der Ansicht, dass der Wettbewerbsgedanke im bisherigen Verfahren wesentliche Aufgaben im Forstbereich nicht angemessen berücksichtigt hat, so zum Beispiel den Naturschutz und die Erholungsfunktion“, widerspricht Umweltdezernent Professor Jörg Menzel vom Landratsamt Karlsruhe. Ein Einwand, den der Geschäftsführer des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Mittlerer Oberrhein, Hartmut Weinrebe, teilt. Er befürchtet eine „heillose Zersplitterung der Waldbewirtschaftung“ mit „katastrophalen Auswirkungen für den Naturschutz“.
Gewinnstreben gegen Naturschutz
Weinrebe verweist auf negative Erfahrungen in Hessen. Dort hätten einzelne Kommunen die Forstbewirtschaftung komplett an gewinnorientierte Privatunternehmen vergeben. Zu Lasten des Naturschutzes, denn seither würden bevorzugt gewinnbringende Nadelhölzer und nicht einheimische Baumarten angebaut, statt einen ausgewogenen und an den Klimawandel angepassten Mischwald zu pflegen. Der Erhalt wertvoller alter Bäume und Totholzbestände zum Schutz bestimmter, für den Nährstoffkreislauf wichtiger Tierarten wie Fledermäusen, Käfern und Pilzen spiele in diesem Gewinnstreben keine Rolle.
"Bevölkerung zahlt den Preis"
Im Extremfall gefährde eine „mechanisierte Kahlschlagswirtschaft“ die Qualität des im Waldboden gespeicherten Trinkwassers und erhöhe die Hochwassergefahr, so Weinrebe. Denn nur ein geschlossener Waldbestand könne zugleich Schadstoffe aus dem Regen herausfiltern und größere Niederschlagsmengen speichern. Die Bevölkerung zahle den Preis. Nicht nur durch eine mindere Naherholungsqualität aufgrund vernachlässigter Waldwege und eines gestörten Waldbilds, in dem Frühblüher oder alte Buchen- und Eichenbestände wie die „Lange Richtsstatt“ in Wössingen und die „Fraueneiche“ in Jöhlingen keinen Platz mehr haben. Sondern auch infolge unterlassenen Klimaschutzes. Denn eine Zerstückelung der Wälder beraube sie ihrer Fähigkeit, in zunehmend heißen Sommern für Temperatur- und Feuchtigkeitsausgleich zu sorgen. Damit erhöhe sich indirekt die Sterblichkeit von alten und kranken Menschen, befürchtet der BUND-Geschäftsführer.
"Bewährte Struktur wird zerschlagen"
Gleichwohl untersagte das Bundeskartellamt 2015 dem Land nicht nur die gemeinsame Forstverwaltung, sondern auch die bislang für kommunale und private Waldbesitzer sehr günstigen forstlichen Dienstleistungen wie forsttechnische Betriebsführung und jährliche Betriebsplanung. „Damit wird eine über Jahrzehnte bewährte Struktur zerschlagen“, kritisiert der Oberderdinger Bürgermeister Thomas Nowitzki. Eine Beschwerde des Landes dagegen ist derzeit in zweiter Instanz beim Bundesgerichtshof (BGH) anhängig. Dieser hat seine ursprünglich für letzte Woche erwartete Entscheidung verschoben.
"Bisherige Standards halten"
Derzeit versuchen die Gemeinden, gemeinsam mit den Kreisverwaltungen möglichst viele, auch kostendämpfende Vorteile von früher in die ab Mitte nächsten Jahres erwartete neue Forstorganisation hinüber zu retten. Ziel sind neue kreisweite Forstverwaltungen unter dem Dach der Landratsämter. Damit, so Umweltdezernent Dr. Jörg Menzel, „könnten am ehesten die bisherigen Standards gehalten werden.“ Gelingt dies, will auch Oberderdingen beitreten. „Weil ich die Vorteile sehe“, betont der Bürgermeister.
Autor:Chris Heinemann aus Bretten |
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