Jugendämter brauchen Vertrauen
Kinderschutz stellt hohe Anforderungen
Region (enz) Gestern Abend (24. August) lief der „Fall Bruckner“ im Ersten, und viele Menschen haben zugeschaut und Anteil genommen, wie Corinna Harfouch als Frau vom Jugendamt für den kleinen Joe und seine Mutter die Weichen für eine bessere Zukunft zu stellen versucht. Katharina Bruckner steht dabei für viele Menschen mit einem anspruchsvollen Beruf – zum Beispiel für die 26 Bezirks-Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) beim Jugendamt Enzkreis.
Ratlose Eltern, Familienkrisen und Schulprobleme
„Oft gerät aus dem Blick, welch vielfältige und oft erfolgreiche Unterstützung für Kinder, Jugendliche und Familien hier geleistet wird“, sagt Christopher-Tom Reimann, der den ASD koordiniert: „Die Fachkräfte beraten Mütter, Väter und alle Personen mit Erziehungsfragen, sie organisieren alltagspraktische Hilfen und Entlastung für Familien, sie fördern Kinder in ihrer Entwicklung – oder sie sorgen im Zweifelsfall wie bei Joe zeitweilig auch für den notwendigen Schutz von Kindern.“ Das Spektrum ist dabei breit: ratlose Eltern, Familienkrisen, Schulprobleme, Gewalt, Alkohol- und Drogenerkrankungen.
Gemeinsam nach Lösungen suchen
„Wir wissen, dass Eltern in der Regel das Beste für ihre Kinder wollen“, betont Reimann. Manchmal jedoch seien der Alltag oder die eigene Biografie so belastend, dass Erziehung nicht alleine gelingt. „Häufig hilft es dann, jemanden an seiner Seite zu haben. Deshalb setzen wir bei Problemen in erster Linie darauf, die Eltern in ihrer Erziehung zu stärken und zu unterstützen und mit ihnen gemeinsam nach Lösungen zu suchen“, erläutert Reimann.
Hilfebedarf aufgrund psychischer Belastungen
Die Zahl der Familien, die auf diese Unterstützung angewiesen sind, steigt stetig: 2021 waren es im Enzkreis 1.079 individuelle Hilfen im Enzkreis. 279 von ihnen wurden stationär betreut, bei den anderen griffen ambulante Hilfen. „Wir beobachten, dass bei jungen Menschen der Hilfebedarf aufgrund psychischer Belastungen, Störungen oder seelischer Behinderungen deutlich stärker zunimmt als aufgrund eines Bedarfes, der sich aus mangelndem erzieherischen Verhalten der Eltern ergibt“, berichtet Christopher-Tom Reimann.
Schwierige Abwägungen
Wann ist Hilfe in der Familie noch aussichtsreich, und wann ist der Punkt erreicht, wo Sicherheit und Schutz des Kindes die zumindest vorübergehende Trennung von den Eltern erfordern? Welche Risiken birgt eine Trennung für den weiteren Lebensweg des Kindes? „Diese Fragen machen fast immer schwierige Abwägungen nötig“, sagt Nicole Montes Alves, die eines von drei Teams im ASD leitet: „Wir versuchen, uns zunächst ein umfassendes Bild zu machen und die Situation aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten.“
In 34 Fällen wurden Kinder in Obhut genommen
Allein lasse sich die Entscheidung nicht treffen, denn schließlich habe sie weitreichende Folgen für das Kind. „Die Beratung jedes einzelnen Falls mit den Kollegen und Kolleginnen ist deshalb unverzichtbarer Bestandteil unserer täglichen Arbeit“, betont Montes Alves. Und die nimmt ebenfalls zu: 146 Meldungen zu möglichen Kindeswohlgefährdungen gingen im vergangenen Jahr beim Jugendamt ein, in 34 Fällen führte dies dazu, dass die Kinder oder Jugendlichen in Obhut genommen wurden.
Jugendamt nicht als Drohkulisse betrachten
Was also braucht der ASD, um so erfolgreich arbeiten zu können wie Katharina Bruckner? Nicole Montes Alves hat darauf eine klare Antwort: „Wir brauchen genügend und gut qualifiziertes Personal, das durch Supervision, Beratung und Fortbildung in dieser schwierigen Aufgabe ausreichend unterstützt wird. Und wir brauchen Bürgerinnen und Bürger, für die das Jugendamt nicht Drohkulisse ist; die Eltern ermutigen, sich bei Fragen und Problemen auch hier Hilfe zu suchen. Das ist oft schon der erste Schritt zur Lösung.“
Autor:Kraichgau News aus Bretten |
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