„Kein Festhalten an etwas Altem"
Knittlingerin setzt sich für Rückkehr von G9 ein

Leonie Hudetz aus Knittlingen sammelt Unterschriften für die Inititative "G9 jetzt" und hofft auf weitere Mitstreiter. | Foto: hk
  • Leonie Hudetz aus Knittlingen sammelt Unterschriften für die Inititative "G9 jetzt" und hofft auf weitere Mitstreiter.
  • Foto: hk
  • hochgeladen von Havva Keskin

Knittlingen/Königsbach-Stein (hk) 2012 hat in Baden-Württemberg erstmals ein Abiturjahrgang das achtjährige Gymnasium (G8) abgeschlossen. Während G8 einst als Reform des neunjährigen Gymnasiums (G9) hin zu einer modernen und wettbewerbsfähigen Bildung galt, wird die Reform in jüngster Zeit zunehmend kritisiert. Diese Kritik mündete nun unter anderem darin, dass im November 2022 eine Elterninitiative die Sammlung von Unterschriften für ein Volksbegehren gestartet hat. Ziel der Initiative "G9 jetzt" ist eine Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren. Leonie Hudetz aus Knittlingen gehört zu den Eltern, die sich wie ihre Mitstreiter dafür einsetzen, dass künftig das Abitur wieder nach neun Jahren abgelegt werden kann.

Ansprechpartnerin für G9-Petition

Die 36-Jährige hat drei Kinder, von denen das Älteste seit diesem Schuljahr das Edith-Stein-Gymnasium in Bretten besucht, erzählt sie im Gespräch mit der Brettener Woche. Beruflich ist sie als Apothekerin tätig. "Ich bin durch Berichte in den Medien und eine Rundmail der Schule auf die Initiative aufmerksam geworden", sagt sie über die Elterninitiative für G9 in Baden-Württemberg, die sich nach eigenen Angaben "für ein zeitgemäßes reformiertes jahrgangsübergreifendes Lernen und Reifen an allgemeinbildenden Gymnasien in Baden-Württemberg" einsetzt. Das Prozedere der Initiative – ein Formular ausdrucken, unterschreiben und ins Rathaus bringen – fand die 36-Jährige "ziemlich kompliziert". "Unterschreiben ist okay. Aber damit ins Rathaus rennen und es dann noch per Post verschicken?", sagt sie und fügt hinzu: "Dann machen nur die mit, die wirklich motiviert sind." Der Gedanke, dass ihre Kinder mehr Zeit haben könnten, Kinder zu sein, anstatt dreimal in der Woche in die Mittagsschule zu gehen, habe sie schließlich dazu bewogen, sich zu engagieren. Seitdem sammelt sie Unterschriften und bringt die unterschriebenen Formulare ins Gemeindebüro. "Das ist eine extreme Erleichterung für die Leute, die die Initiative unterstützen wollen, zumal das Büro nicht immer geöffnet ist", sagt sie. So schlüpfte sie in die Rolle der regionalen Ansprechpartnerin für die G9-Petition.

„Mehr Zeit, sich mit den Unterrichtsinhalten zu befassen“

G9 gibt es in Baden-Württemberg nur noch als Modellprojekt an rund 40 staatlichen Schulen – eine davon ist das Lise-Meitner-Gymnasium (LMG) in Königsbach-Stein. Auf die Frage, warum das LMG am neunjährigen Gymnasium festhält, stellt Schulleiter Hartmut Westje-Bachmann klar: „Es ist kein Festhalten an etwas Altem, denn es ist inhaltlich nicht mit dem früheren G9 vergleichbar.“ Neben dem achtjährigen Gymnasium bietet das LMG seit dem Schuljahr 2013/14 einen neunjährigen Bildungsgang an, der zum Abitur führt – und den Schülern die Möglichkeit gibt, zwischen G8 und G9 zu wählen. Damit gehört das LMG zu den Gymnasien in Baden-Württemberg, denen die Teilnahme am G9-Schulversuch genehmigt wurde. Dabei sei G9 eine Weiterentwicklung des allgemeinbildenden Gymnasiums der achtjährigen Form und keine Rückkehr zum früheren neunjährigen gymnasialen Bildungsgang. Konkret bedeutet dies, dass der Unterricht in G9 auf dem G8-Lehrplan beruht und eine Streckung der Unterrichtszeit von acht auf neun Jahre bedeutet. „So haben unsere Schüler mehr Zeit, sich mit den Unterrichtsinhalten zu befassen“, erklärt der Schulleiter. Im Vergleich zu G8 gibt es folglich weniger Unterrichtsstunden während des Schuljahres. Konkret wirkt sich das so auf den Schulalltag aus, dass LMG-Schüler bis zur siebten Klasse keinen Nachmittagsunterricht haben, dafür aber ein Schuljahr mehr. Die freien Nachmittage würden es den Schülern ermöglichen, außerschulischen Aktivitäten nachzugehen, wodurch sie auch über die Schule hinaus viel lernen könnten, so Westje-Bachmann.

„Mehr Stunden, mehr Lehrer“

Der Schulleiter ist überzeugt, dass seine Schüler durch die entzerrte Schulzeit Inhalte besser aufnehmen können. „Und sie sind am Ende tatsächlich geistig reifer.“ Von den Deutschlehrern am LMG wisse er, dass die Schüler aufgrund ihrer intellektuellen Reife im Deutschunterricht viel besser literarische Texte erschließen. Auch Leonie Hudetz ist davon überzeugt, dass viele Schüler nach acht Jahren Gymnasium nicht ausreichend auf die Anforderungen eines Hochschulstudiums vorbereitet sind. "Das kann doch nicht der Sinn des Abiturs sein, dass man dann vor dem Studium erst noch Vorsemester benötigt, oder?", fragt sie. Und betont, dass die Initiative verschiedene Modelle befürworte, die zum Beispiel auch weiterhin einen G8-Zug ermöglichen würden. "Leistungsstarke Kinder könnten dann zum Beispiel immer noch ein Jahr früher das Abitur erreichen", sagt sie.
Studien hätten im Übrigen gezeigt, so Westje-Bachmann, dass G9-Schüler zwar nicht signifikant besser, aber eben auch nicht schlechter als G8-Jahrgänge abschneiden würden. „Sie haben jedoch einen viel besseren Blick auf das große Ganze“, weiß der Schulleiter. „Natürlich kostet es mehr Geld“, ergänzt er. „Wenn wir mehr Stunden haben, brauchen wir auch mehr Lehrer.“ Doch der Schulleiter sieht das Geld gut angelegt. Deshalb stehe das LMG mit Überzeugung hinter G9 und die Schule habe erneut einen Antrag auf Verlängerung der Teilnahme am G9-Schulversuch gestellt. Im August 2025 würde die aktuelle Phase auslaufen. Seit das LMG die Wahlmöglichkeit anbiete, sei der G8-Zug mangels Nachfrage noch nie zustande gekommen – eine „deutliche Aussage“, wie der Schulleiter findet.

"In Bretten steckt großes Potenzial"

"Ich würde mich riesig freuen, wenn noch viel mehr Knittlinger mitmachen", meint Hudetz. Wer aber sein unterschriebenes Formular nicht selbst zum Rathaus bringen und anschließend per Post an die Initiative senden möchte, darf es bei ihr zu Hause in den Briefkasten werfen. Über die Internetseite der Initiative (www.g9-jetzt-bw.de) findet man auch ihre E-Mail-Adresse, um in Kontakt zu treten. Die Initiative hat ein Jahr Zeit, um Unterschriften von mindestens 0,5 Prozent aller Wahlberechtigten im Land zu sammeln. Das entspricht etwa 39.000 Personen. Wahlberechtigte ab 16 Jahren können das Volksbegehren auch unterschreiben. "Vielleicht hilft dieser Artikel dabei, Menschen zu finden, die wie ich in ihren Gemeinden Unterschriften sammeln", hofft sie und fügt hinzu: "Besonders in Bretten mit den ganzen Ortsteilen steckt ja ein richtig großes Potenzial, viele Unterschriften zu sammeln. Es wäre toll, wenn sich auch hier noch jemand als Ansprechpartner findet."
Wenn innerhalb eines Jahres genügend Unterschriften gesammelt werden, führt das Volksbegehren dazu, dass ein Gesetzentwurf für "G9 jetzt" im Plenum des Landtags diskutiert werden muss. "Und dann", so hofft Leonie Hudetz, "könnte auch Baden-Württemberg als letztes westliches Bundesland endlich wieder zu G9 zurückkehren".

Autor:

Havva Keskin aus Bretten

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

12 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.